Der Rückzug des Internet-Projektes „Agent*In“

Eine Kapitulation vor den Menschenfeinden


CC0 Creative Commons Bearbeitung: HS

Vor einigen Jahren, als die neurechte Szene geräuschvoller wurde und Antifeministen, Gender- und Homosexuellengegner sich aufeinander zubewegten, um Koalitionen zu schmieden, nannte ich in einem Leserkommentar auf einer LGBTI-Nachrichtenseite Gabriele Kuby, die ihre Invektiven immer unverfrorener vortrug, eine Homo-Hasserin. Einige Zeit später verlangte ein Anwaltsbüro der „Alliance Defending Freedom“ von den Betreibern der Seite, diese meine Äußerung vom Netz zu nehmen und drohte bei Unterlassung mit hohen finanziellen Forderungen, die den Bestand der Seite gefährdet hätten. – Die „Alliance Defending Freedom“ ist eine amerikanisch- inzwischen auch international agierende – erzkonservative christliche Organisation deren Ziele u.a. die Bekämpfung der gleichgeschlechtlichen Ehe und Partnerschaften sind.

Eine dreiste Attacke

Ich war damals mit den dreisten Drohkulissen der inzwischen international agierenden neurechten Szene und deren Kombattanten aus dem reaktionär-religiösen Bereich, noch nicht vertraut. Man fragte mich, ob ich meinen Post aufrecht erhalten wolle oder ob man ihn vom Netz nehmen sollte – die mutigen Betreiber der Seite hatten vor, standhaft zu bleiben. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich kleinmütig und eingeschüchtert einknickte und mich nicht solidarisch verhielt – was ja leider das Ziel dieser dreisten Attacke war.

Erst später begriff ich, daß diese Drohung nur zustande gekommen sein konnte, weil Gabriele Kuby und/oder ihre Adepten und Zuarbeiter das Netz kleinteilig durchsuchten nach Namen, Personen, Publikationen und Organisationen, die den rechtskatholisch-evangelikalen Kampf gegen gleiche (Menschen)Rechte nicht hinnehmen wollten. Mit solchen auch juristischen Aktionen versuchte man also den Widerstand, ja schon das Widerwort, im Keim zu ersticken; ein typisch rechts-autoritäres, antidemokratisches Verhalten.

Brosche ins Arbeitslager

Kurze Zeit später drohte mir ein AfD-Mitglied, man werde mich, sofern die Partei an „die Macht gekommen sei“, an weiterer Kritik wie ich sie ausgesprochen hatte, hindern indem man mich in den „ordentlichen Arbeitsprozeß zurückführen werde!“ – Muß ich noch eigens erklären aus welcher Zeit solches Vokabular stammt?

Ein starkes Netz

Gabriele Kuby, die „Alliance Defending Freedom“ und etliche AfD-Mitglieder tauchten auf in dem Wiki-artigen Projekt “Agent*In“; ein Online-Lexikon zum Antifeminismus, das im Juli unter der Ägide der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung an den Start ging. Die Absicht: Fakten und Informationen zu Personen und Organisationen zugänglich zu machen, die Gleichstellungspolitik, sexuelle Selbstbestimmung gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Geschlechterforschung bekämpfen. Schon nach kurzer Durchsicht der oft noch knappen Artikel wurde klar, wie gut vernetzt diese Szene ist, wie stark ihr Auftreten und Einfluß vor allem in der Politik, den Neuen Medien, aber auch in etablierten Presseorganen ist. Schon das war ein Gewinn. Ich nahm mir vor, auch meine Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen.

Das „Agent*In“-Angebot war noch längst nicht umfangreich; aber Ziel war ja, es fortlaufend zu ergänzen und zu erweitern. Dass sich die Macher, allen voran Andreas Kemper, Soziologe an der Uni Münster, der sich seit Jahren bereits ins Sachen Aufklärung über die AfD, insbesondere auch über die rabiaten antifeministischen Strömungen, einen sehr guten Namen gemacht hat, der Kritik aus eben diesen Kreisen aussetzen würden, war zu erwarten. Was nicht zu erwarten war: es entwickelte sich gegen das Projekt, ein „Shit-Storm“ groß-medialen Ausmaßes, eine Empörungs-Kampagne nach dem in der rechten Szene üblichen Muster der Selbstviktimisierung.

Da man ja für sich selbst im Geheimen die Gegner mit welchen Absichten auflistet, mußte die rechte Seite mit ihrer inzwischen berüchtigten Polit-Paranoia eine solche Sammlung von kurzen informativen Dossiers – allerdings öffentlich zugänglich – für ähnlich durchtrieben halten. Diese Klagegesänge übertönten jedoch eher das Heulen und Zähneknirschen über die systematische Entlarvung. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wurde von den Antifeministen gehetzt, gepöbelt, wurden Halb- und Unwahrheiten schamlos verbreitet – schlichtweg Unsinn zu feministischen Themen, Genderfragen und zur Gleichberechtigung von LBGTI-Menschen. Verunglimpfungspropaganda eben! Das enthüllte „Agent*IN“ penibel.

Die üblichen Verdächtigen

Führend bei dieser Kampagne gegen die neue Seite waren natürlich die üblichen Verdächtigen wie die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“, die vielen der im Lexikon genannten Personen immer wieder Gelegenheit gibt, ihre antifeministischen Invektiven zu publizieren. Dazu gehören Birgit Kelle, Beatrix von Storch und auch Gabriele Kuby. In der „Welt“ durfte sich Henryk M. Broder, die gute macho-charmante Achsenmacht, über die „Denunziation“ aufregen, die mit „Agent*In“ betrieben werde. Selbst die angeblich linke „taz“ meldete Bedenken an; dabei war nicht die Methode der Macher von „Agent*In“ unappetitlich, sondern in Wirklichkeit ja das Dargestellte. Wieder einmal wurde der Überbringer der Botschaft beschimpft bis zur Beseitigung – und die Botschaft dahinter ausradiert.

Die mit dem „Agent*In“-Projekt gemeinten beschwerten sich nicht über die knapp gefaßten Inhalte oder bemängelten Fehler, sondern regten sich darüber auf, daß man ihre Meinungen und Aktivitäten beim negativen Namen nannte! Sie führten sich also ertappt – das war eigentlich ein erster großer Erfolg.

Da alle genannte Personen und Organisationen öffentlich agieren, das ist ja ihre Absicht, dürften sie sich nicht über die genaue Beschreibung eben dieser Absichten wundern. Hier wird niemand gegen seinen Willen ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt, in dem er sich nicht bereits spreizt.

Daß nun nicht nur rechte Presse und Internet, sondern auch liberale Blätter ablehnend reagierten auf die Lancierung des neuen Web-Wiki muß man wohl einer fatalen politischen Tendenz zuschlagen: jener „Meinungstoleranz“, die es seit dem lautstarken Auftreten der AfD oder PEGIDAs ermöglicht hat, deren menschenverachtenden, unaufgeklärten Ansichten bis in die etablierten Parteien und den allgemeinen öffentlichen Diskurs zu tragen.

Sturmfluten des Egoismus

So kam man der neuen Rechten (die ja tatsächlich die alte ist) nicht nur mit offenen Armen entgegen, sondern lud sie mehr als den kleinen Finger reichend ein, immer weiter auszuprobieren in welche morastigen Untiefen der Unmenschlichkeit, der Nationalismus und die Menschenverachtung, der rücksichtslose Umgang mit Freiheit Gleichheit und Solidarität – die Kerngedanken der aufgeklärten Demokratie – noch abgesenkt werden konnten. Durch alle Parteien von der CSU bis zur LINKEN gab man der autoritären Gedanken- und Empathielosigkeit nach, besonders in Flüchtlings- und Asylfragen. Man läßt es zu, daß die Sturmfluten der menschlichen, ethnischen und nationalen Egoismen die Ungleichheit weiter festschreiben und die mühselig erreichten zivilisatorischen Fortschritte im mitmenschlichen Umgang zumindest in Frage gestellt werden. So kann im Namen der Toleranz die Intoleranz zur achtbaren „Meinung“ werden.

Angriff der Antidemokraten

Die autoritäre Rechte, deren Exponenten nach Schießbefehlen schreien oder sogar Schiffe chartern, um Flüchtlinge im Mittelmeer zurückzutreiben (was sich fürs erste glücklicherweise als Rohrkrepierer herausstellte), hat ein Ziel. Der Politologe Samuel Salzborn hat es in seiner gerade erschienenen Untersuchung „Angriff der Antidemokraten“ präzise beschrieben:

Die neue Rechte geht dabei wie alle Teilsegmente des Rechtsextremismus, von einer Ungleichheit der Menschen aus.

Dieses Denken trennt Menschen in erste und zweite Klassen und womöglich noch weitere und basiert:

…auf einem homogenisierenden und soziobiologischen Differenzdenken in dem einerseits Menschen nur in ihrer ethnisch-kulturellen Identität – und nicht in ihrer Subjektivität und Individualität – gedacht werden, immer nur als Teil eines (unabänderlichen) Kollektivs, das anderen Kollektiven gegenüber- und entgegensteht, im Sinne einer auch kämpferisch und kriegerisch gedachten Freund-Feind-Dichotomie, die sich mit einem heroischen Männlichkeitsideal zur „männlichen Nation“ amalgamiert.

Mit dem „Männlichkeitsideal“ ist natürlich nicht nur die politische Phantasterei von Björn Höcke zur „Rückgewinnung deutschnationaler Männlichkeit“ gemeint. Ganz konkret geht es auch und vor allem um das Zunichtemachen der gleichen Rechte von Männern und Frauen und von LGBTI-Menschen. Denn auch sie sollen ja den minderwerten Status behalten, den man ihnen bisher zugewiesen hat.

Ein fatales Zeichen

Dafür kämpfen die im Projekt „Agent*In“ aufgezählten und beschriebenen Personen und Organisationen. Der Rückzug vom Netz und die an jene gerichtete explizite Entschuldigung der Böll-Stiftung in einer Stellungnahme, ist eine Kapitulation die leider in den bereits beschriebenen allgemeinen Trend paßt, den Neurechten nachzugeben. Ein fatales Zeichen, das die Gemeinten und Gemeinen natürlich bejubeln – ein Armutszeugnis für die Böll-Stiftung.

Und nicht zuletzt belegt dieser Rückzug auch die Mißachtung der Menschen, die sich mit „Agent*In“ für zivilisatorischen Fortschritt und gegen den Rückschritt engagieren. Das ist einer Organisation, die den Namen Heinrich-Bölls trägt, nicht würdig! Denn hier wurden eben nicht Unbescholtene wie Katharina Blum in die Öffentlichkeit gezerrt und kaputt gemacht – sondern jene benannt und beschrieben die demokratisch-humanen Fortschritt zerstören.

Literatur:

Samuel Salzborn, Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten“. Weinheim-Basel 2017. Beltz-Juventa-Verlag

https://www.boell.de/de/2017/08/07/stellungnahme-des-vorstands-der-heinrich-boell-stiftung-zum-online-lexikon-agentin

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