Die pakistanische Burrito-Hotline – Kapitel 4

Hunger unterbricht das gerade begonnene Interview. Stattdessen wird Essen bestellt und Betsy mischt sich ein.


Betsy ist von unserem Gerede wach geworden, hat sich einen von Hanks alten Pyjamas angezogen und setzt sich zu uns an den Tisch. »Ich habe mordsmäßigen Hunger, Jungs. Hat jemand von euch Lust auf leckere Burritos?«, fragt sie.

»Ich kann gerne was für uns bestellen«, biete ich an. »Gibt’s hier einen Lieferservice?«

»Einen? Zweihundert. Jeder Mexikaner in dieser Straße betreibt Minimum drei Tacodienste«, sagt Hank und drückt mir einen Stapel bunter Flyer, die aus der Küche geholt hat, in die Hand.

»Wunderbar. Welchen nehmen wir?«

»Die besten Burritos macht Joeys Cousin aus Tijuana.«

»Der alte Eduardo. Nur noch ein funktionierendes Auge, drei steife Finger und zieht das rechte Bein nach. Aber wie man einen verdammt guten Burrito zubereitet , das weiß er. Für mich den Diablo vegetariano, Kingsize. Mit extra viel Chili.«

»Den nehme ich ebenfalls. Und du Hank?«

»Ich probiere bei euch. Mir reichen heute ein, zwei Bissen.«

»Irgendwas dazu? Salat, ein Dessert?«

»Er soll uns eine Pulle Tequila einpacken. Und zwar den für die Stammkunden, nicht den selbstgebrannten Fusel, mit dem er seine eigenen Landsleute schleichend vergiftet.«

Betsy kritzelt die Nummer auf den Rand der Sportseite der Tageszeitung von gestern, ich tippe die Ziffern in mein Handy, lasse zwanzig Mal klingeln, bis endlich jemand am anderen Ende an den Apparat geht.

»Joeys Lieferservice«, meldet sich eine Stimme, die nicht Joey gehört. Klingt eher indisch als mexikanisch.

»Ich möchte zwei Burritos bestellen«, sage ich.

»Bitte die Zahl wiederholen.«

»ZWEI!«

»Danke für Ihre Mithilfe. Zwei Burritos. Welche?«

»Diablo vegetariano. Kingsize.«

»Bitte wiederholen Sie den Namen.«

»Diablo vegetariano Kingsize!«

»Danke für Ihre Mitarbeit. Mit extra Zwiebeln und Bohnen?«

»Keine Sonderwünsche. So wie Sie die normalerweise im Angebot haben.«

»Bitte wiederholen Sie Ihre Sonderwünsche.«

»KEINE! Oh, warten Sie: mit extra viel Chili.«

»Also mit extra Chili. Danke. Noch eine weitere Bestellung? Wir haben heute hausgemachten Zitronenpudding im Angebot.«

»Eine Flasche Tequila.«

»Bitte wiederholen.«

»TEQUILA!«

»Danke. Welchen?«

»Den für Stammkunden.«

»Sind Sie Inhaber eines VIP-Ausweises?«

»Hank, der Mann vom Lieferservice fragt, ob du einen VIP-Ausweis besitzt.«

»Wozu brauche ich den beschissenen Ausweis?«

»Für den Tequila.«

»Ist das Joey am Telefon? Richte ihm aus, dass ich seinen Ausweis letzte Woche aus Verzweiflung über seine Habgier zerrissen, unter meine Cornflakes gemischt und runtergewürgt habe.«

»Ist nicht Joey, irgendein Mitarbeiter, der dich vermutlich nicht kennt.«

»Das pakistanische Ölauge? Sag ihm, dass der Schnaps für mich ist. Und dass er mit der Lieferung nicht trödeln soll, sonst besuche ich ihn nämlich gleich in seinem Bretterverschlag, den er hochtrabend Call Center nennt, und hole mir die Pulle persönlich ab.«

»Der Tequila ist für Mister Bukowski«, sage ich. Fünf Sekunden lang Schweigen, dann: »Sie sind ein Freund von Mister Bukowski?«

»Ja, stehe direkt neben ihm. Möchten Sie ihn sprechen?«

»Nein nein! Ich wiederhole Ihre Bestellung: zwei Burritos Diablo vegetariano, Kingsize, extrascharf und eine Flasche Tequila.«

»Den guten«, ergänze ich.

»Natürlich den guten.«

»Wie lange wird das in etwa dauern?«

»40 Minuten. Wir beeilen uns.«

»Adresse haben Sie?«

»5124 De Longpre Avenue.«

»Und bei Bukowski klingeln.«

»Mister Bukowski hat kein Klingelschild. Aber wir kennen seine Wohnungstür. Wer zahlt?«

»Ich.«

»Bar oder Kreditkarte?«

»Gerne bar.«

»Danke für Ihre Bestellung, und dass Sie sich für Joeys Tacodienst entschieden haben«, nuschelt der Pakistaner und legt auf.

»In vierzig Minuten können wir essen«, sage ich.

»Bis dahin bin ich verhungert«, jammert Betsy.

»Du bist ein gefräßiges Luder«, meint Hank. Dann geht er zum Regal, sucht in seinem uralten Radio nach dem Klassiksender, und wir hören das zweite Pianokonzert von Rachmaninoff mit Anna Federova am Flügel und Martin Panteleev als Dirigent.

»Schauderhafte Mucke«, schimpft Betsy, »kannst du nicht mal was Fröhliches auflegen?«

»Sei still!«, antwortet Hank.

»Er ist so ein Griesgram. Und es wird ständig schlimmer mit ihm.« Betsy schaut in meine Richtung, möchte, dass ich ihr beipflichte.

»Ich mag die Russen«, sage ich.

Wir sitzen nun schweigend zu dritt am Tisch, lauschen Federovas virtuosem Spiel, Hank und Betsy trinken süßen Müller-Thurgau, ich transpiriere, weil die Klimaanlage nicht funktioniert, die Fenster wegen des ohrenbetäubenden Straßenlärms geschlossen sind, und die Raumtemperatur deshalb gefühlte fünfzig Grad beträgt. Nach zehn Minuten knarzt das Radio, wird leiser, hat Aussetzer, bis es kurz danach völlig verstummt.

»Drecktsteil«, flucht Hank.

»Kauf dir mal ein neues«, meint Betsy.

»Wollen wir mit dem Interview weitermachen?«, frage ich.

»Von mir aus«, brummt Hank, »wo waren wir stehengeblieben?«

»Wir sprachen über die Behandlung der Mexikaner hier und die der Flüchtlinge bei uns in Europa. Dass wir da viele Parallelen sehen.«

»Ist das eine exklusive Unterhaltung zwischen euch zwei Supergehirnen, oder darf ich als Frau, die ihren gesunden Menschenverstand noch nicht versoffen hat, auch meinen Senf dazu geben?«

»Betsy, klar mich interessiert ebenfalls dein Standpunkt.«

»Tut er nicht«, sagt Hank.

»Doch, er will auch meine Meinung hören.«

»Ich schalte die Diktierfunktion jetzt wieder an, und dann können wir sofort loslegen. Also Betsy, wie ist das für dich mit den Mexikanern?«

»Es gibt zu viele von ihnen.«

»Das sagte Hank vor einer Stunde ebenfalls.«

»Er sagt vieles, wenn der Tag lang ist. Aber er meint es nicht so. Hank liebt die Tacos genauso wie die Spaghettis und die Reisfresser.«

»Ist er nicht ein bekennender Menschenhasser?«

»Alles bloß Fassade. Tief drinnen ist er ein Sensibelchen, das nach außen gerne den harten Mann markiert, aber jedem bei ihm anklopfenden Schnorrer sein letztes Hemd schenken würde.«

»Das ist ja nicht unsympathisch«, sage ich.

»Hey, wenn ihr dummes Zeug über mich quatschen wollt, geht nach draußen auf den Flur. Ich will das nicht hören.« Hank springt auf, läuft vom Tisch zur Wand, zurück zum Tisch, Wand, dann wieder Tisch, er lässt sich auf den Stuhl fallen, seufzt, das alte Möbel ächzt.

»Du hast Recht. Wir wollen ja nicht über dich, sondern über die Mexikaner reden.« Ich schaue kurz zur Decke, weil ich leicht genervt bin.

In der jetzigen Dreierkombi wird es eine Ewigkeit dauern, bis ich das Interview im Sack habe. Innerlich fluche ich, dass sich die zickige Betsy mit an Bord befindet, lasse mir meinen Unmut aber hoffentlich nicht anmerken. Ich werde nachher in der Redaktion anrufen und um ein paar Tage Aufschub bitten. Kann ja niemand von mir ernsthaft verlangen, dass ich mal kurz nach L.A. fliege, unangemeldet bei Bukowski aufkreuze, ihn sofort am ersten Abend interviewe und zwei Stunden später einen fertigen Artikel nach Hause schicke. Falls sie das glauben, dann sind sie bei den Kolumnisten noch verrückter als ich es befürchtet hatte, bevor ich den Job annahm.

»Es gibt also zu viele Mexikaner in L.A.«, sage ich.

»Natürlich«, schreit Betsy und schlägt dabei kräftig mit der Faust auf die Tischplatte.

»Unterstellen wir mal, dass es sich tatsächlich so verhält – Hank meinte vorhin, dass 99% von ihnen friedliche Menschen sind, die rund um die Uhr arbeiten. Worin also besteht das Problem mit den Mexikanern?«

Betsy überlegt einige Sekunden lang, schaut dann erst mich, dann Hank, dann wieder mich an, räuspert sich und sagt: »Sie sind unehrlich. Ja, unehrlich sind sie. Das ist es, was mich am meisten stört.«

»???«

»Ich kannte mal einen aus Juarez, der sich Javier nannte und mir schöne Augen machte. Ein bildhübscher Kerl, Typ Antonio Banderas. Im selben Stockwerk wie ich, schräg gegenüber. Allerdings nicht in diesem abgefuckten Stadtteil East Hollywood, sondern in Westlake , wo ich früher gelebt habe.«

»Das muss lange her sein, Baby«, meint Hank, »du wohnst doch schon seit einer Ewigkeit hier.«

»Elf Jahre«, antwortet Betsy. »Wollt ihr die Geschichte mit Javier nun hören oder nicht?«

»Doch, ist spannend«, sage ich.

»Also, Javier ist vom ersten Tag an scharf auf mich, wirft mir vieldeutige Blicke zu, hält die Türen auf, schleppt meine Einkäufe nach oben, redet mich stets mit Mademoiselle an, fährt voll auf mich ab.«

»Und?«

»Ich ignoriere ihn, tue so, als ob er Luft für mich sei.. Er ist ein Taco, wenn auch ein verdammt gut aussehender, ich bin die dritte Tochter einer nicht unvermögenden Familie aus Cedar Rapids, Iowa Das gehört sich nicht, da zu schnell Interesse zu signalisieren.«

»Verstehe ich. Und dann?«

»Na ja, er lässt nicht locker, schickt mir Blumen, macht mir tausend Komplimente, wenn wir uns im Lift oder draußen auf der Straße treffen, schreibt kleine Liebesgedichte, die er unter meine Fußmatte klemmt, fragt mich hundert Mal, ob wir zusammen ausgehen wollen. Das komplette Programm.«

»Und: seid ihr?«

»Ich habe ihn zwei Wochen lang zappeln lassen.«

»So lange? Glaube ich kein Wort von«, unterbricht Hank den Redeschwall. »Maximal 48 Stunden, dann lagst du mit dem Mariachi in der Kiste.«

»Vielleicht war’s auch nur eine Woche«, zischt Betsy, »das ist superlange her, und ich erinnere mich jetzt nicht mehr an jedes Detail. Das ist doch auch nicht so wichtig, oder?«

»Ist es nicht«, sage ich.

Im nächsten Teil bringt Joey die Burritos höchstpersönlich vorbei, und Betsy bricht beim dramatischen Finale der Geschichte mit Javier in Tränen aus

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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