Jetzt bloß nicht so kartoffelernst – Kapitel 3

Im dritten Teil der Kolumne beginnt endlich das eigentliche Interview.


Hank schweigt und wartet. Ich warte ebenfalls. Aus dem Schlafzimmer kann ich Betsys gleichmäßiges Atmen hören.

»Was hast du dir für Themen auf deinem Zettel notiert?«, fragt Hank.

»Alles Mögliche querbeet.«

»Querbeet?«

»Halt wild durcheinander gemischt. So wie es mir auf dem langen Hinflug und vorhin im Hotel in den Sinn kam.«

»Kein Schwerpunkt?« Er schaut mich etwas verwundert an.

»Kein Schwerpunkt.«

»Wie wär’s, wenn wir mit euren Syrern und Afrikanern starten und die mit unseren Mexikanern vergleichen?«

»Du weißt über unsere Syrer Bescheid?«

»Hältst du mich für einen ungebildeten Idioten, bloß weil ich mit der Sportseite der Zeitung beginne? Ich lese auch den politischen Teil. Obwohl der mich oft in eine melancholische Stimmung versetzt.«

»Ich wollte dir nichts unterstellen, Hank. Ist mir bloß so rausgerutscht. Sorry!«

«Schleim dich jetzt nicht künstlich ein bei mir. Klar bist du erstaunt, dass ein altes East-Hollywood-Wrack wie ich sich für europäische Politik interessiert. Tue ich aber. Und wenn ich nicht in der Zeitung drüber stolpere, berichtet mir Onkel Heinrich in seinen Briefen darüber.«

»Der Onkel, der dir zum Geburtstag und an Weihnachten den Müller-Thurgau schickt?«

»Genau der.«

»Syrer und Mexikaner. Warum nicht? Wie siehst du das?«, stelle ich endlich meine erste Frage.

»Ein geübter Journalist bist du nicht«, sagt Hank.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Weil du fragst wie ein kleines Mädchen.«

»Wie soll ich es deiner Meinung nach anders tun?«

»Mir direkt eine Behauptung an den Kopf werfen. Beispielsweise: Herr Bukowski, Sie sind ein stadtbekannter Rassist, dessen Geschichten sich nur deshalb verkaufen, weil wir darin in den Abgrund einer Säuferseele starren … oder so ähnlich. Verstehst du? Mehr Dampf rein in das Interview. Gerade der Beginn ist wichtig. Da müssen die Funken fliegen, damit der Leser Lust bekommt, sich den kompletten Text reinzuziehen. Magie des ersten Satzes nennt man das.«

»Ist es dir lieber, wenn ich dich beschimpfe? Kommst du dann besser in Fahrt?«

»Unsinn. Das tut schon Betsy zur Genüge, wenn ich sie nicht so vögele, wie sie das gerne möchte. Aber halt nicht so ein blutleeres Frage-Antwort-Spiel. Herr Bukowski, könnten Sie sich eventuell vorstellen, dass … ? Nein! Es muss kontrovers sein, damit sich jemand erbarmt, es abzudrucken. Du sagst: Hank, findest du nicht auch, dass die geplante Mauer zu Mexiko Riesenscheiße ist? Und ich antworte: Keinesfalls. Von mir aus kann sie noch viel höher gebaut werden. Und dann nimmst du mich mit den nachfolgenden Fragen so auseinander, bis ich am Ende weinend auf meinem Sofa sitze und schwöre, sofort drei mexikanische Waisenkinder zu adoptieren.«

»Hank, wir schreiben hier kein Drehbuch. Ich will dir nur ein paar Fragen stellen.«

»Okay, okay. Aber bitte nicht durchgängig deutsch bierernst. Bierernst, so sagt man doch bei euch? Warum eigentlich? Hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?«

»Nein.«

»Kartoffelernst würde besser passen. Schreib in deinen Text unbedingt hinein, dass Bukowski als neues Wort „kartoffelernst“ vorschlägt.«

»Tue ich … wie sieht es jetzt mit den Mexikanern bei euch aus?«

»Es sind viele«, antwortet Hank, »täglich strömen tausende neu zu uns herein, und ein Ende der Flut ist nicht in Sicht.« Er räuspert sich. »Weißt du«, fährt er fort, »als ich mit meinen Eltern Mitte der 20er Jahre von Deutschland nach L.A. zog, gab’s hier Spaghettis, Iren, Russen, Froschfresser, Schwarze, Schlitzaugen und ein paar Krauts wie meine Mutter, aber kaum Mexikaner. Was ja eigentlich komisch ist, denn die Grenze verläuft bloß 140 Meilen entfernt. Sie arbeiteten auf den Feldern, in den Obstplantagen, wohnten aber in Baracken auf dem Land, kamen nicht bis in die Stadt. Und heute wimmelt es hier von ihnen. Jeder Zweite in diesem Viertel ist ein Latino. Und das bereitet den anderen Bewohnern unterschwellig Angst.«

»Weil diese Menschen krimineller sind als die restliche Bevölkerung?«

»Keineswegs. 99% der Mexikaner sind friedfertig und Arbeitsbienen.«

»Angst dann wovor?«

»Nun stell dich nicht so blöde an. Angst vor Überfremdung. Zur Minderheit im eigenen Land zu werden. Der Anteil Latinos in den USA beträgt mittlerweile knapp ein Fünftel, in Kalifornien schon die Hälfte; bei schnell steigender Tendenz.«

»Angst vor Überfremdung im Melting Pot of Nations?«

»Der Melting Pot ist eine fromme Legende. Sonst nichts.«

»Wie meinst du das?«

»Weil dieses Land tief in seinen Eingeweiden immer noch weiß, angelsächsisch und protestantisch geprägt ist. Und JEDE neue Einwanderergruppe sich ihre Rechte erstmal hart erkämpfen muss. Die Iren, die Italiener, die Farbigen, die Koreaner und nun eben die Mexikaner.«

»Das heißt, die Integration funktioniert bei euch nicht?»

»Ja und nein. Wenn eine Gruppe neu ist, beuten wir sie zuerst einmal schamlos aus. Wir erzählen diesen armen Schweinen, dass sie sich jetzt im von Gott am meisten geliebten Land der Welt mit einer Milliarde ihnen offenstehenden Möglichkeiten befinden. Und sie glauben uns den Scheiß. Wir erlauben ihnen, zu Dumpinglöhnen ohne Krankenversicherungsschutz zu arbeiten. Rechte genießen sie so gut wie keine. Solange sie sich unauffällig benehmen, haben sie in der Regel nichts zu befürchten. Aber beim kleinsten Furz, den sie lassen, und sei es, dass sie versehentlich bei Rot über die Straße gehen, droht ihnen die Abschiebung. Es ist eine stille Armee moderner Arbeitssklaven. Sie unterscheiden sich bloß dadurch von den früheren Baumwollsklaven, dass sie jederzeit gehen können. Aber genau das wollen sie ja nicht. Denn zu Hause erwarten sie entweder Diktatur oder Armut oder beides. Und so fügen sie sich, in der Hoffnung, nie einem Rollkommando der Einwanderungsbehörde zu begegnen; und wir beuten sie ohne jede Skrupel munter weiter aus.«

»Hört sich unfair an«, sage ich.

»Unfair, unfair«, ruft Hank, »willst du mir jetzt allen Ernstes weismachen, dass es bei euch in Europa fairer abläuft als bei uns?« Er springt auf, läuft zum Kühlschrank, kommt mit einer neuen Flasche Wein zurück, entkorkt die, schüttet sich ein Wasserglas voll und stürzt die Flüssigkeit in einem Zug hinunter.

»Ihr behandelt die Flüchtlinge genauso mies, wie wir das mit den Mexikanern tun. «

»Ihnen droht zumindest nicht die sofortige Ausweisung«, sage ich.

»Es dauert bei euch eben etwas länger als bei uns, bis ihr sie rauswerft. Aber ihr tut es. Sogar nach Afghanistan schickt ihr sie zurück, obwohl ihr wisst, dass das ein Ticket in die Hölle ist. Und ihr lasst sie nicht arbeiten. Stattdessen hängen die jungen Männer monatelang in Turnhallen und ranzigen Pensionen rum. Eingepfercht auf engem Raum, den ganzen Tag nur mit sich selbst beschäftigt. Und wenn sie sich dann aus Langweile und Frust gegenseitig aufs Maul hauen, jammert ihr sofort rum, dass Ausländer mehr kriminelle Energie besitzen als die Deutschen. Alles Bullshit. Ihr seid um keinen Deut besser als wir.« Hank hat sich in Fahrt geredet, ich überprüfe das Smartphone, ob es das Gespräch auch tatsächlich aufzeichnet.

»Was tust du da?«, fragt er.

»Checke, ob die Diktier-App funktioniert.«

»Schmeiß die Diktier-App in den Papierkorb und hör mir einfach zu. Ist doch völlig egal, ob du jedes Wort korrekt zitierst. Mir ist wichtig, dass du den Kerngedanken unserer Unterhaltung verstehst und richtig wiedergibst. Dafür benötigst du nur deine Ohren und ein halbwegs funktionierendes Gedächtnis. Also schalt das Ding aus. Sonst werfe ich es in die Mülltonne.« Hank macht Anstalten, das Handy tatsächlich aus dem Fenster zu feuern; ich nehme es rasch vom Tisch und stecke es in meine Hosentasche.

»Schon besser so«, brummt er. »Wo ist eigentlich Betsy?«

»Lass sie pennen«, sage ich.

»Dass mir das Biest bloß nicht durchschläft. Will sie morgen auf keinen Fall am Frühstückstisch sitzen sehen.«

»Klingt undankbar. Eben hast du noch mit ihr in der Kiste gelegen und eine Nummer geschoben.«

»Na und? Das berechtigt sie nicht dazu, gleich bei mir einzuziehen.«

»Einfach ist es nicht mit dir«, sage ich.

»Hat auch niemand behauptet.«

 

 

In der Fortsetzung wird Betsy von Hanks Geschrei wach, setzt sich mit an den Tisch und erklärt, dass man Mexikanern – speziell den gutaussehenden – nicht trauen kann, weil sie alle Heiratsschwindler sind

 

 

 

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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