Die dicke Betsy – Kapitel 2

Im zweiten Teil der Kolumne trifft Henning Hirsch neben Hank auf die dicke Betsy, Müller-Thurgau und Idaho-Spud-Riegel.


Als ich gegen kurz nach acht zurückkehre, steht die Tür von Hanks Apartment sperrangelweit offen. Von drinnen höre ich Tschaikowskys 5te und eine tiefe Frauenstimme:

»Kommt dein Kumpel noch, oder lässt du mich hier heute Abend verdursten?«

Ich zögere einen Augenblick, dann trete ich ein. Hank immer noch im Bademantel auf dem Sofa, jetzt allerdings mit T-Shirt und Unterhose darunter, neben ihm eine 60jährige Brünette, die ich auf 85 Kilogramm taxiere, mit speckiger Baseballkappe auf dem Kopf, die sie weit nach hinten gezogen hat, sodass ich die tiefen Furchen auf ihrer Stirn trotz fett aufgetragenen Make-ups erkenne. »Ich bin Henning«, stelle ich mich ihr vor, »der Kumpel, auf den ihr wartet.«

»Hast du was zu Trinken mitgebracht?«, fragt sie und mustert mich dabei von oben bis unten. Ich stelle zwei Flaschen Weißwein auf den Tisch. »Viel ist das nicht«, sagt Hank.

»Ich weiß, aber wir wollen ja ein Interview führen und uns nicht die Birne zuknallen.«

»Du gibst ihm ein Interview?« Die Brünette tut erstaunt. »Hast du mir gar nichts von erzählt. Zu welchem Thema?«

»Ich habe ein paar politische Fragen zusammengestellt, die ich gerne mit Hank diskutieren möchte.«

»Politik finde ich superspannend.« Sie klatscht erfreut in die Hände.

»Du hast Null Ahnung von Politik, Betsy. Willst nur gratis mit uns saufen«, sagt Hank und entkorkt die erste Pulle. »Was ist das für ein Zeug?«

»Müller-Thurgau.«

»Den mag ich gerne.«

»Weiß ich.«

»Lass mich mal probieren«, sagt Betsy.

»Ein Glas und dann verschwindest du. Wir wollen uns gleich ernsthaft unterhalten.« Hank’s Stimmung scheint nicht die beste zu sein. Entweder ist sein Pegel zu weit abgefallen, oder Betsy hat ihn zu lange hingehalten.

»Ich will aber bleiben. Wenn du mich jetzt wegschickst, brauchst du mir nachher nicht wieder was vorzuheulen, dass du dich einsam fühlst«, mault sie.

»Stört dich das?«, fragt mich Hank.

»Alles okay für mich.« Ich war innerlich darauf eingestellt gewesen, Hank heute Abend nicht solo anzutreffen. Am späten Nachmittag überkommt ihn regelmäßig der Blues, und er ruft dann kreuz und quer seine Frauen an, bis er eine auftreibt, die ihm spontan Gesellschaft leistet. Sobald er ihnen sein Säuferleid geklagt und sie gevögelt hat, schickt er sie wieder nach Hause. Nicht weil er ein Chauvinist ist, sondern einzig aus dem Grund heraus, dann in Ruhe schreiben zu können. Und das kann man am besten alleine. Sobald eine Braut hinter dir auf dem Sofa wartet oder nackt auf der Tastatur sitzt, ist es aus mit der Schaffenskraft. Das heißt, Betsy würden wir spätestens bis Mitternacht quitt sein, denn dann wird Hank sie vor die Tür setze. Solange halte ich es mit ihr aus.

»Und du, trinkst du nichts?«, fragt sie, während sie sich einen großen Schluck vom Müller-Thurgau genehmigt.

»Hab’s mir abgewöhnt«, antworte ich. »Besser für meine Leber und die Konzentration.«

»Da solltest du alter Spritkopp dir eine Scheibe von abschneiden«, giftet Betsy in Richtung Hank.

»Wenn dir was nicht passt, kannst du auch sofort verschwinden. Zwingt dich keiner hier zu bleiben.«

»Du wirst im Alter immer unausstehlicher.«

Vor mir läuft ein kleines Theaterstück ab. Sie will partout nichts verpassen, spielt aber die Rolle der Ich-kann-jederzeit-nach-Hause-gehen-und-mich-mit-einem-anderen-Kerl-vergnügen-Braut. Er tut so, als ob er sie rauswerfen will, würde dann aber auf seinen Abendfick verzichten, sodass uns allen klar ist, dass wir in den kommenden drei, vier Stunden zu dritt in Hanks Wohnzimmer beisammen bleiben werden.

Eine Flasche ist geleert, die zweite bereits zur Hälfte durch Betsys Speisröhre gelaufen, die einen ordentlichen Zug am Leib hat. »Ich geh zu Joey und besorge neuen Vorrat«, sage ich. »Irgendein spezieller Wunsch?«

»Spendabler Typ, dein kleiner deutscher Freund. Nicht so knickrig wie du«, giftet sie.

»Wir bleiben beim Wein. Aber die liebliche Sorte. Nicht so was Saures, mit dem wir uns die Magenschleimhaut verätzen. Und für die Lady ein paar Süßigkeiten.«

»Du auch was zu Essen, Hank?«, frage ich.

»Nein, bin pappsatt.«

»Wovon denn? Seit ich hier bin, hast du keinen einzigen Bissen zu dir genommen«, sagt Betsy.

»Bin nicht hungrig.« Wie bei allen Hardcoretrinkern hat der Alkohol für Hank mittlerweile die feste Nahrung ersetzt. Wenn man lange säuft, verspürt man oft einen richtigen Ekel auf alles, was nicht flüssig ist.

»Sechs Flaschen Wein. Falls möglich lieblich. Und fünf Schokoriegel«, sage ich zu Joey und gebe ihm Zeichen, die für mich zu holen, denn ich bin zu faul, um mir das alles in seinen Regalen zusammenzusuchen. Da ich Sofortzahler bin, genieße ich in seinem Kiosk eine VIP-Behandlung.

»Hat Hank Besuch?«

»Warum?«

»Weil er nie Schokoriegel kauft. Oder futtern Sie die alle?«

»Jap, Besuch.«

»Die dicke Betsy?«

»So heißt Sie, glaube ich. Habe mir den Namen nicht gemerkt.«

»Ist sein Mittwochabendfick. Aber ausschließlich mittwochs. Öfter erträgt er sie nicht. Wohnt einen Block entfernt. Wenn sie blau ist, muss er immer ein Taxi bestellen, weil die Alte dann nicht mehr geradeaus laufen kann, und Hank ums Verrecken nicht will, dass sie bei ihm über Nacht bleibt.«

»Mag sein. Noch ist alles im grünen Bereich.«

»Will Ihnen einen guten Tipp geben, weil Sie mir sympathisch sind: Betsy wird oft verbal aggressiv bis hin zu handgreiflich. Dann ist es vernünftig, wenn Sie Hank die Prügel einstecken lassen. Und bloß nicht dazwischengehen. Dann fangen Sie sich von beiden was ein.«

»Danke für den Hinweis«, sage ich. »Werd schon auf mich aufpassen.«

Joey stopft Wein und Schokoriegel in zwei braune Papiertüten, ich lege einen Fünfziger auf die Theke. »Schreiben Sie mir den Rest gut. Werde in den nächsten Tagen öfter vorbeikommen.«

Auf dem Rückweg trödele ich, um Hank und Betsy noch ein paar Minuten Zeit zu geben. Als ich das Apartment betrete, ist das Wohnzimmer verwaist, Grabesruhe. Ich stelle die Tüten auf den Küchentisch und rufe: »Hank, der Nachschub ist da. Aber zieh dir um Himmelswillen was an.« Es ist nicht nett von mir, den Trinker mit Alkohol zu ködern. Aber anders werde ich ihn nicht aufs Sofa bekommen, und ich will auf jeden Fall heute noch mit dem Interview starten.

»Bring mir ein Glas ans Bett«, grunzt er aus dem Schlafzimmer.

»Liegst du alleine drin?«

»Natürlich nicht.«

»Die Flaschen habe ich in den Kühlschrank getan. Musst schon aufsteh’n, wenn du was haben willst.«

»Hatte dich gar nicht als derart sexuell verklemmt in Erinnerung«, sagt er und stürzt zwei Wassergläser Wein in sich rein. Er ist nun völlig nackt und trotz seines selbstzerstörerischen Lebenswandels kann ich immer noch die Muskeln des früheren Amateurboxers unter der faltigen Haut erkennen.

»Lass uns langsam loslegen. Wird sonst zu spät für eine vernünftige Unterhaltung.« Ich tippe auf meine Armbanduhr.

»Hat dieses Scheißinterview nicht bis morgen Zeit?«

»Nein. Ich muss morgen den ersten Text abliefern. Sonst feuern sie mich.«

»Sei doch froh, wenn sie dich rauswerfen. Die zahlen dir doch eh nichts …. hast du an Betsy’s Süßigkeiten gedacht?«

»In der Tüte vor dir.«

»Bringe ich ihr, und dann können wir von mir aus starten.«

»Du weißt, dass ich kein Snickers esse. Vertrage die Erdnüsse nicht«, höre ich Betsy’s knatschige Stimme aus dem Schlafzimmer.

»Ich weiß es, aber Henning wusste es nicht. Musst du beim nächsten Mal eben eine konkrete Bestellung aufgeben.«

»Sag ihm, er soll nochmal loslaufen.«

»Sag’s ihm selber. Und nun sei leise, weil wir mit dem Interview beginnen.«

Hank kehrt nach einigen Minuten zurück und hat sich in Schale geworfen: Hemd, Anzug, Schuhe, allerdings eine schwarze und eine graue Socke.

»Wow!«, pfeife ich leise. »Krawatte hast du keine?«

»Wir wollen es am ersten Abend nicht direkt übertreiben. Welche Themen hast du auf deiner kleinen Liste notiert? Ich bin dafür, wir fangen mit was Einfachem an und steigern uns im Laufe des Abends.«

»Komplett in Ordnung für mich. Macht’s dir was aus, wenn ich unser Gespräch aufzeichne? Für mich bequemer, als alles mitzuschreiben.« Ich lege mein Smartphone auf den Tisch und verkabele es mit einem winzigen, externen Mikrofon.

»Mit dem Handy?« Er schaut mich verwundert an.

»Die Dinger sind mittlerweile Allzweckwaffen. Habe eine Diktier-App installiert.«

»Eine was?«

»Diktier-App. Ein digitales Diktafon.«

»Süße, Henning hat eine Diktier-App mitgebracht. Hast du davon schon mal was gehört?« Aus dem Schlafzimmer erfolgt keine Reaktion. Seine Mittwochabendbraut ist nach Wein, Sex und den Idaho-Spud-Riegeln – waren zwei in der Tüte gewesen. Übrigens nur ein Snickers – eingeschlafen. Ich bin ganz froh darüber, dass ich mit Hank alleine starten kann. Reicht völlig, wenn Betsy erst in zwei Stunden dazukommt.

»Ich klicke nun auf „on“. Du bist bereit?«

»Quatsch nicht so viel«, sagt Hank. »Wir könnten schon längst zur Hälfte fertig sein.«

 

Im nächsten Teil geht’s endlich los mit dem Interview, und Hank erzählt vom Leben der Mexikaner in Südkalifornien. Halt das, was er von ihrem Leben so mitbekommt

 

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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