Das Wiedersehen – Kapitel 1

Ein Interview mit Charles Bukowski für DieKolumnisten? Geht doch gar nicht, der ist doch tot? Natürlich geht das bei Henning Hirsch. Lesen Sie hier:


Ich sitze im Wohnzimmer eines kleinen Bungalows in East Hollywood, 5124 De Longpre Avenue. Zwölf Uhr mittags, der Kerl auf dem Sofa gegenüber schnarcht und schläft seinen Rausch von gestern Nacht aus. Er sitzt nahezu aufrecht, Kopf auf die Brust gesunken, geöffneter Bademantel, keine Unterhose, ich kann seine riesigen Klöten erkennen. In der Küche suche ich nach was zu Trinken; im Kühlschrank bloß leere Schnapspullen und Bierdosen, ein verschimmeltes Stück Käse. »Dasselbe traurige Bild wie immer in diesem Laden«, fluche ich.

»Steh auf, Mann!«, sage ich. »Bin doch nicht den weiten Weg von Europa gekommen, um dir beim Pennen zuzusehen.«

»Hau ab!«, krächzt er. Ich fahre ihm mit einem nassen Handtuch durchs Gesicht.

»Bist du völlig übergeschnappt?«, schreit er nun.

»Komm endlich in die Gänge und dusch dich«, sage ich. »Du siehst Scheiße aus und riechst unangenehm.«

»Ich kenne nur einen Motherfucker, der diesen komischen Akzent spricht: mein Kumpel Henning aus Germany. Bist du es tatsächlich, oder habe ich eine Wahnvorstellung?«

»Keine Sorge. Ich bin’s.«

»Wie bist du reingekommen?«

»Durch die Tür. Stand offen.«

»Sie werden mir nochmal die komplette Bude leerräumen, wenn selbst ein Amateur wie du hier einfach so reinspaziert.«

»Was sollen die Einbrecher mitnehmen: deinen Müll?«

»Hol mir einen Drink aus der Küche!«

»Nix da. Alles leergesoffen.«

»Besorg was an der Ecke bei Joey. Sag ihm, dass Hank dich schickt. Dann weiß er schon Bescheid.«

Joeys Laden sieht nicht viel einladender aus als Hanks Wohnzimmer. Kiosk spezialisiert auf Trinker und Zehndollar-Huren. Vier Regalreihen vollgestopft mit Fusel, Haargel und Billig-Make-up. Ich greife einen Sixpack Budweiser und eine Flasche Bourbon, für mich zwei Flaschen Coke Zero. Frage an der Kasse, ob’s Schinken-Käse-Sandwiches gibt. »Für Hank?«, will der untersetzte Typ mit Halbglatze und verwaschenem T-Shirt wissen, der bestimmt Joey ist. »Für mich«, antworte ich. »Ist ja gut«, sagt er und schaut mich misstrauisch an. »Willst du trotzdem seinen Deckel übernehmen?«

»Wie viel?«

»Mit dem Zeug von heute ein Hunderter.«

»Okay.« Ich lege zwei Fünfziger auf den Tresen und gehe zurück in Hanks Wohnung. Auf der Straße L.A.-Sommerwetter: heiß, die Sonne versteckt sich hinter einem schmierigen Dunstschleier, Geruch von verschmortem Gummi und verbranntem Rasen liegt in der Luft. Nicht die beste Zeit für eine Stippvisite; ich mag die Stadt im Frühling lieber. Aber man kann sich seine Termine nicht immer frei auswählen.

»Hat dir der habgierige Gauner Joey was verkauft?«, empfängt mich Hank, der mittlerweile geduscht hat, aber wieder in seinem alten Bademantel steckt.

»Zieh dir was anderes an!«

»Warum? Was ist verkehrt mit dem Dress?«

»Das Teil ist scheußlich, und du bist darunter nackt.«

»Bist du auf deine alten Tage zum Klemmhoden mutiert?«

»Dann bleib eben so wie du bist«

»Was willst du von mir?«, fragt er und zwingt sich dabei die zweite Dose Bud rein. Er japst nach Luft, läuft dunkelrot im Gesicht an, einen Augenblick lang befürchte ich, dass er abnippelt. Dann rülpst er laut, schüttet ein Wasserglas Bourbon hinterher, seine Gesichtszüge glätten sich, er lächelt. Das Problem aller Säufer: morgens den Pegel wieder auffüllen.

»Ich will dich interviewen.«

»Bist du jetzt Journalist geworden?«

»So was ähnliches.«

»Und zahlt Sowasähnliches auch für ein Gespräch mit einem berühmten Autor, wie ich einer bin?«

»Wir sind ein Start-Up, noch in der Experimentierphase. Jeder von uns arbeitet gratis.«

»Für lau mach ich nix mehr.« Die sechs Dosen Bier sind weggeputzt, Hank gähnt.

»Du wirst dich doch jetzt nicht schon wieder hinlegen?«

»Warum nicht? Heute ist, wenn ich richtig liege, Mittwoch. Ein Scheißtag, an dem man sich eigentlich nur besaufen und schlafen kann.«

»Ich war vergangene Woche in Andernach«, sage ich.

»Du warst in Andernach? Was hast du da gemacht?«

»Einen Kumpel in der Entzugsklinik besucht.«

»In Andernach gibt’s eine Entzugsklinik?«

»Witzigerweise nur 400 Meter von deinem Geburtshaus entfernt. Der Stadtplaner scheint Humor zu haben.«

»Hast du dir das auch angeschaut?«

»Jap.«

»Und?«

»Hängt eine Plakette dran: hier wurde 1920 Charles Bukowski geboren.«

»Mehr nicht?«

»Das Erdgeschoss hat vor einigen Jahren ein Karnevalsshop angemietet. Der öffnet allerdings nur, wenn du vorher anrufst und einen Termin vereinbarst.«

»So ein Mardi-Gras-Ding wie in New Orleans?«

»Geht in die Richtung. In Andernach verkaufen sie allerdings Uniformen, wie sie die Soldaten im 18ten Jahrhundert trugen und weiße Perücken.«

»Hört sich Kacke an.«

»Ist es auch.«

»Wusstest du, dass ich 1978 in Andernach zu Besuch war und dort eine hervorragend besuchte Lesung gehalten habe?«

»Hast du mir schon mal von erzählt.« Die Lesung hatte zwar in Hamburg stattgefunden, aber solche Details sind im Moment nicht wichtig. Will hier auf keinen Fall klugscheißend rüberkommen.

»Und der Weißwein war super. Habe damals den gesamten Vorrat des Hotels leergesoffen. Bis sie mir mit den Bullen drohten, wenn ich nicht damit aufhöre.« Hanks Augen schimmern. Wie alle alten Säufer ist er ein Romantiker und sentimental.

»Und, hast du damals aufgehört?«

»Natürlich nicht. Habe den Manager angeschrien, dass man mit dem berühmtesten Sohn der Stadt so nicht umgeht und mir den Wein dann von der nächsten Tankstelle anliefern lassen. Das waren schöne Tage in der Heimat.« Mit Andernach habe ich ihn an den Eiern gepackt. Den Vater hatte er gehasst. Aber an seine Mutter, die vom Mittelrhein stammte, hegt er zärtliche Erinnerungen. Andernach ist mein Türöffner in Hanks Apartment.

»Bekomme ich nun das Interview oder nicht?«, frage ich.

»Du selbst verdienst auch nichts dran? Oder versuchst du mich über den Tisch ziehen?«

»Keinen müden Cent. Habe sogar den Flug selbst bezahlt.«

»Das soll ich glauben?«

»So wahr ich hier sitze.«

»Warum machst du so‘ nen Scheiß? Gratisschreiben ist ja noch dämlicher, als sich eine enge Deadline aufschwatzen zu lassen. «

»Ist eine Ich-hab’s-einem-Kumpel-versprochen-Nummer.«

»Kenne ich. Das sind die schlimmsten Nummern. Wenn’s gut läuft, klopfen sie dir freundlich auf die Schulter. Und falls es schlecht ausgeht, musst du dir auch noch Vorwürfe anhören. Ich mach sowas schon seit vielen Jahren nicht mehr.«

»Ich eigentlich auch nicht. Hab mich hinreißen lassen und komm jetzt nicht mehr raus aus der Sache. Was kostet es dich schon, Hank? Wir quatschen ein bisschen, ich kritzel ein paar Notizen in meinen Block und versuche, daraus was Lesbares zusammenzubasteln. Mir tätest du damit einen Riesengefallen.«

»Okay, ich tu’s. Unserer alten Freundschaft wegen, und weil du in Andernach warst.«

»Danke! Wann legen wir los?«

»Ich leg mich jetzt zwei, drei Stunden aufs Ohr. Entweder am frühen Abend oder morgen.«

»Früher Abend passt wunderbar.«

»Da hat’s jemand aber eilig. Wie heißt das Blatt, für das du schreibst?«

»Die Kolumnisten.«

»Kommunisten?«

«KOLUMNISTEN.«

»Besser. Kommunisten gebe ich nämlich keine Interviews.«

»Warum das denn?«

»Geizige Typen. Die letzte Kommunistin, mit der ich was hatte, ließ immer mich löhnen, obwohl sie auf drei abbezahlten Immobilien und vier fetten Festgeldkonten saß. Die Kohle aber immer schön beisammenhalten. Geldgeiles Luder. Und die davor war auch nicht besser. Mir sind Republikanerinnen mittlerweile die liebsten. Wenn du denen den Patrioten vorspielst, übernehmen sie jede Rechnung, und im Bett sind diese Damen auch nicht verkehrt.«

»Da hätten wir ja schon ein erstes Thema.«

»Nymphomane Republikanerinnen?«

»Die konservative Revolution in den USA.«

»Klingt kompliziert. Aber von mir aus. Und nun lass mich pennen.» Bier und Bourbon sind geleert, Hanks mächtiger Kopf knickt nach links weg, er schnarcht. Bademantel geöffnet, ich blicke wieder auf seine Klöten. Dasselbe Bild wie vor zwei Stunden.

Ich stehe auf und gehe zu meinem Mietwagen. Ein weinroter Toyota Camry, Baujahr 14. Will zurück ins Hotel und ein paar Runden im Swimmingpool drehen, bevor ich nachher Hank interviewe. Unten fängt mich ein hagerer Kerl in verschwitztem hellblauen Oberhemd ab, der sich als Verwalter der Wohnanlage vorstellt.

»Sind Sie ein Verwandter von Herrn Bukowski?«

»Nein, bin ich nicht.«

»Ein Freund?«

»Ich würde mich als guten Bekannten bezeichnen.«

»Könnten Sie sich vorstellen, für ihn die Miete zu übernehmen?«

»Wieviel ist er im Rückstand?«

»Drei Raten. Wenn er nicht wenigstens eine davon bis heute Abend begleicht, muss ich ihn am Wochenende vor die Tür setzen. So leid es mir persönlich auch täte; ich mag den saufenden Menschenhasser wirklich gerne. Vor allem, wenn er abends laut Mahler hört. Aber so sind nun mal die Vorschriften.«

»Ich sehe zu, was ich auf die Schnelle auftreiben kann.«

»Freunde wie Sie sind Gold wert.« Er verzieht seinen Mund zu einem Grinsen und signalisiert, dass er mich für einen Trottel aus Übersee hält.

Während ich auf dem Santa Monica Boulevard Richtung Venice fahre, wo ich mich einquartiert habe, überlege ich, dass mich der Spaß mit den Kolumnisten viel Geld kosten wird. Andererseits: wer hat schon das Glück, Hank im Bademantel in dessen Wohnzimmer interviewen zu dürfen, während er sich die nackten Eier krault? Ich werde gleich im Hotel eine kleine Liste der Themen zusammenstellen, über die wir unbedingt reden müssen, damit ich die Reise als Erfolg verbuchen kann. Ob sich der Alte allerdings an das Programm halten wird, hängt stark von den Alkoholvorräten und den Bräuten, die zwischendurch anklopfen werden, ab. Werde mich nachher bei Joey ordentlich eindecken.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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