Markus Vahlefeld wider die Alternativlosigkeit
Markus Vahlefelds sperriges und emotionales Buch „Mal eben kurz die Welt retten. Die Deutschen zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung“ wird einigen Kollegen bei den Kolumnisten ein Dorn im Auge sein. Hier soll es trotzdem verteidigt und gerade ihnen zur Lektüre empfohlen werden.
Disclaimer: Kein Buch gegen Linke oder für Rechte
Gleich vornweg ist zu sagen, dass Markus Vahlefelds Anspruch, die deutsche Psyche um das Jahr 2016 zu analysieren, als politisches Buch daherkommt, aber im Grunde eine philosophische Streitschrift ist. Da mehr als der Politik der Kunst, mehr als der Kunst aber noch der Philosophie vorbehalten und also auch erlaubt bleibt, sind die üblichen Gereiztheiten vorprogrammiert – wenn man der Lektüre etwa die intellektuelle Abwürgefrage schlechthin voranstellte, ob das Buch oder gleich noch der Achse-Autor Vahlefeld selbst rechts oder zu rechts seien. Mit so einer Brille auf der Nase wird man, insbesondere in den Passagen über den Islam, schnell über einige schrille Stellen stolpern, die bei oberflächlicher Betrachtung – je nach dem – ein wohlfeiles Alibi für komplette Verweigerung auf Seiten der Linken oder ebenso platte Selbstbestätigung auf Seiten der Rechten verschaffen. Beides wären Missverständnisse.
Denn Vahlefeld hat kein Buch gegen Linke oder für Rechte geschrieben, sondern ein Plädoyer wider die Alternativlosigkeit im Sinne eines indifferenten und monotonen, ja geradezu entdemokratisierten Politikmanagements. Stattdessen bringt er eine quasi Defragmentierung des politischen Denkens ins Spiel, nach der sich ein progressiver Internationalismus und ein konservativer Regionalismus als intellektuell, ästhetisch und politisch klar unterscheidbare Konzepte miteinander messen sollen. Und weil er es mit dieser Klarheit ernst meint, macht er nicht den geringsten Hehl daraus, dass er selbst für den konservativen Regionalismus eintritt. Den vorzudenken unternimmt er allerdings nicht ohne zu insistieren, dass im Grunde und vorrangig eine antagonistische Grundstruktur von größerer Bedeutung ist als die Position, die man darin bezieht.
Die Deutschen als Weltretter und ihre negativen Erlösungsphantasien
Aufhänger für Vahlefelds Porträt der Deutschen als Retter und Verbesserer der Welt ist die Flüchtlingskrise als Beispiel für eine Politik der Alternativlosigkeit gewissermaßen sub specie aeternitatis als in einer Reihe stehend mit der Energiewende und der Eurorettung. Vahlefeld begibt sich dabei allerdings auf eine tiefergehende, philosophische Suche nach einer „déformation psychologique“ (27), die bei einem „deutschen Komplex“ (Kapitel 1) beginnt, verursacht durch den Nationalsozialismus und manifestiert in einer „Negativ-Religion“ mit Adolf Hitler als „umgekehrtem Erlöser“ und „negativem Heiligen“ (55).
Zwar bemüht auch Vahlefeld den weniger originellen Topos des „Nazikompensationskomplexes“, indem er unterstellt, mit der Flüchtlingskrise sei eine von Deutschen herbeigesehnte „Stunde der Buße“ gekommen (vgl. 56 f.). Dabei erweckt er etwas den Anschein, sich von der beklagten Fixierung auf Nazideutschland selbst nicht recht lösen zu können. Doch sind dümmliche Schuldkultphrasen seine Sache nicht, sondern seine Empörung gilt, ganz im Gegenteil, der moralischen Überhöhung von Politik und den damit zwangsläufig einhergehenden Gefahren in Form eines erst den Diskurs aushöhlenden und sodann die Demokratie schleifenden Absolutheitsanspruchs.
Demgegenüber wird die eigentliche, sehr ernsthafte und durchaus drängende Grundsatzfrage des Buches aufgeworfen, ob nämlich „Politik überhaupt mit Moral und humanitären Imperativen aufgepumpt werden muss, oder ob es nicht redlicher und damit für die Moral deutlich dienlicher wäre, Politik als Interessendiskurs zu begreifen“ (37). Vahlefeld will nicht weniger wissen – und hoffen dürfen – als dies: Wird sich die eigentümlich moraline politische Kultur der Deutschen doch noch einmal von ihrer Befangenheit und Gezwungenheit befreien und zu wirklicher Souveränität gelangen können?
Die linke Blase ist anfällig für Testosteron – ausgerechnet
Nichtsdestotrotz ist der Anfang sehr stringent gewählt, sofern von da aus die Entstehung einer „Blase, in der wir leben“ (Kapitel 2) als linksliberaler, internationalistischer Leitkultur rekonstruiert wird, die in ihrer aktuellen Blüte eben keinen ernstzunehmenden Gegenentwurf mehr kennt und sich trotzdem oder gerade deswegen dem Islamismus als „mörderischem Patriachat in Reinstform“ (71) arglos ausgesetzt sieht.
Wer bei islamkritischer Rhetorik zuckt, darf den Autor nicht unterschätzten, dessen Kenntnisse und teilweise auch Sympathien mit dem progressiven Denken erkennen lassen, dass er selbst einmal darin beheimatet war. Denn Vahlefeld bemüht ausgerechnet den im progressiven Milieu umstrittenen Gunnar Heinsohn mit dessen Adaption der „youth bulge“ Theorie, um daraus eine feministische Argumentationsfigur zu formen, wonach Geschichte nicht der Kampf zwischen Weltanschauungen und Ideologien sei, sondern „Ausbrüche der rohen Kraft des Testosteron“ (68). Oder dementsprechend auch: „Die Anti-Baby-Pille ist die friedlichste der bekannten Revolutionen“ (70).
Vahlefeld macht sich dabei, dies sei nur am Rande bemerkt, nicht die Mühe, Heinsohn kritisch zu diskutieren, noch sonst neigt sein collagierender Stil zu übermäßig differenzierter Datensättigung. Peniblere Kritiker werden ihn hierfür eines forschen Dilettantismus bezichtigen. Aber das aber gehört zum disruptiven Genre der literarischen Amateure und Autodidakten. Dies ist im Übrigen durchaus eine Respektsbekundung: Nietzsche hat weder zitiert, noch auch mehr als ein Regal voll Bücher besessen beziehungsweise in ihnen gelesen. Vahlefelds Interesse gilt ohnehin nicht den Nuancen der Konfliktforschung, sondern dem Umstand, dass „Umweltreligion und Offenheitsideologien“ (79) eine kritische Auseinandersetzung und prinzipielle Reflexion untergraben haben.
Im Kern: Der grenzenlose, zur Totalität neigende Relativismus
Nicht zufällig steht mit „Das linke Denken“ (Kapitel 3) ein ideengeschichtlicher Exkurs gewissermaßen im Zentrum des Buchs. Originell daran sind weniger die Nachweise der Selbstwidersprüche, in die sich eine mangels ernstzunehmender konservativer Impulse unterforderte linke Intellektualität verwickelt hat. Darüber konnte man schon in Jan Fleischhauers „Unter Linken“ herzlich lachen. Nein, das Herzstück des Buches, das politisch geneigte Leser sträflich überblättern könnten, ist die Passage über den „Universalienstreit“ zwischen „Idealismus“ und „Nominalismus“ (96 ff.).
Wie Vahlefeld den Verfall des Nominalismus als einer der empirischen Welt durch Namensgebung sinnstiftenden Kraft in einen entgrenzten Relativismus nachzeichnet, angefangen bei der Erfindung „struktureller Gewalt“ (102 ff) bis hin zur „Dekonstruktion des Subjekts“ (111 ff), ist der intellektuelle Höhepunkt des Buchs. Daraus resultiert eben jenes „linke Denken“, das durch seine eigene moralische Überlegenheit letztbegründet und somit jedem empirischen aber auch politischen Rechtfertigungszwang enthoben ist. Die Pointe: „Das Postfaktische galt dem linken Zeitgeist lange als bahnbrechende Erfindung: Nichts ist wahr und alles ist möglich. Dieser Grundsatz progressiven Denkens reißt den linken Zeitgeist gerade in den Strudel, den er selbst geschaffen hat“ (113). Von hieraus ließe sich philosophisch im Übrigen vorzüglich auf den Solipsismus und den Nihilismus referieren, also das Verhältnis zwischen Bezugslosigkeit zu objektiver Äußerlichkeit, der daraus resultierenden Totalität und Selbstzerstörung.
Aber auch so lässt der Autor seine Vorstellung eines reformierten Konservativismus klar erkennen: Als in der Wirklichkeit, die auch die Wirklichkeit der überkommenen Traditionen einschließt, geerdete kritische Haltung und Gegengewicht zu jedweden zur Absolutheit neigenden, pseudoreligiösen Jenseitigkeiten. Hier ist der Text so fruchtbar und reichhaltig, dass noch oft auf ihn zurückzukommen sein wird.
Die Debatte über die Flüchtlingskrise als Kränkung
Wer sich bis dahin über einen teilweise süffisanten, teilweise wütenden Unterton gewundert oder sogar daran gestoßen haben mag, bekommt in „Die große Öffnung“ (Kapitel 4) und der „Sound der Krise“ (Kapitel 5) Gelegenheit zu verstehen, wo genau das herrührt. Vahlefeld kann und will nicht verbergen, dass er über die Debatte zur so genannten „Flüchtlingskrise“ nicht nur entsetzt, sondern auch persönlich schwer erschüttert und teilweise sogar verbittert war.
In seiner heftigen und streckenweise deftigen Islamkritik, die auch noch mit “Eurabien“ (Kapitel 6) den düsteren Schlussakkord setzen wird, droht manchmal unterzugehen, dass Vahlefelds Behandlungen nicht die Flüchtlinge, sondern die Politik, welche sie betraf und betrifft, ins Visier nehmen. Weitergehende Erkenntnisse als Robin Alexanders „Die Getriebenen“ liefert das Buch freilich nicht. Darauf kommt es dem Autor aber auch nicht an: Sein Anliegen wäre schlicht gewesen, eine Grenzschließung mit allen ihren brutalen Konsequenzen als Alternative in Frage kommen zu lassen, medial wie auch parlamentarisch zu diskutieren und dann in vollem Bewusstsein aller Konsequenzen entweder umzusetzen oder zu verwerfen. Vahlefeld vermisste, so scheint es, eine tapfere Befassung mit dem Thema. Stattdessen aber spielte sich ein indifferentes Politikmanagement ab, das vor moralischer Heuchelei und gefährlicher Schönfärberei nur so strotze. Dementsprechend resigniert Vahlefeld: „Die intellektuellen Zumutungen, die die deutsche Bundeskanzlerin ihrem Volk einschenkte, waren für denkende Menschen fast nur noch eine Abfolge von Beleidigungen.“ (184)
Wer Bekanntschaft mit der Frustration unterhält, für so eine kritische Haltung in die rechte Ecke gestellt und einfach nicht mehr rehabilitiert worden zu sein, den werden bei der Lektüre der einschlägigen Passagen des Buches über die Flüchtlingskrise üble Erinnerungen aufstoßen. Wenn dementsprechend heute einfach zur Tagesordnung übergegangen wird und die Aufarbeitung der Krise hinter einem zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe verklärten Kampf gegen Rechts verschwinden soll, will Vahlefeld das verständlicherweise nicht akzeptieren. Vielleicht fällt auch deshalb seine Aufrechnung von Kollertalschäden in Form von „Morden und Vergewaltigungen durch Menschen, die im Zuge der offenen Grenzen ins Land strömten“ (158 f) so ungeschminkt und rücksichtslos aus: Beim Übergang zu bequemer Routine soll sich daran empfindlich gestoßen werden.
Aber noch einmal: Nicht die Menschen sind es, die der Autor ins Visier nimmt, sondern die sie betreffende Politik, die in der heißen Phase der Krise zwischen September 2015 und März 2016 Risiken des Islamismus notorisch unterbewertet und Chancen der Migration ebenso geflissentlich überwertet hat.
Orientierungslosigkeit im Krieg des Islamismus gegen Europa
Sobald im besagten sechsten und letzten Kapitel „Eurabien“ das Bild eines schwachen, politisch nicht selbstvergewisserten Europas entsteht, das den Krieg, den ihm der Islamismus erklärt hat, anzuerkennen sich weigert, wird die Lektüre für Manchen vielleicht zur Geschmackssache. Wenn in dem Zusammenhang die Redeweise von einer „undefinierbaren Masse an Menschen“, die sich über „Straßen und Wege schob“ (216 f) bemüht wird, ist das nichts für sensible Gemüter. Die Zeit wird zeigen, ob Skrupel gegenüber solchen Formulierungen von Verblendung oder Weitsicht zeugen, sprich ob Flüchtlinge wirklich im Zuge einer Geostrategie der aggressiven Islamisierung Europas instrumentalisiert wurden (vgl. ebd.). Hiervon mag sich jeder ein eigens Bild machen und selbst nachlesen.
Wer allerdings ob des Titels „Eurabien“, der wohlgemerkt auf den Leipziger Geisteswissenschaftler Georg Meggle zurückgeht, gar nicht erst zu Ende gelesen hat, weil er Manschetten gegenüber Islamisierungsängsten trägt, verpasst leider den wertvollen Schlußstein des Bogens, den Vahlefeld durchaus kunstvoll aufgebaut hat. Sein roter Faden besteht in der Nachzeichnung, wie eine selbstreferentiell und alternativlos gewordene linksliberale politische Leitkultur zu einer nicht nur entnationalisierten, sondern überhaupt entgrenzten, dass heißt aufs Ewige und Gigantische ausgelegten Tagespolitik – Energiewende, Eurorettung, Flüchtlingskrise – gerinnt (vgl. 214 f).
Vahlefeld zeichnet letztlich kein Untergangsszenario, darin unterscheidet er sich klar von der dogmatischen Rechten, sondern will um der Demokratie Willen eine geistig-moralische Polarität provozieren, in der sich, wie es sich im Pluralismus ziemt, jeder nach seiner Fasson beheimaten möge: „Wollte man den Unterschied zwischen progressivem und konservativem Denken an einer Haltung festmachen, dann müsste das Festhalten an Regionalem und Überschaubarem, das Herausarbeiten von Bezugsrahmen und Identitäten als das Wesensmerkmal des konservativen Denkens gelten, während die Auflösung von Gewachsenem und Niedrigschätzung des Tradierten zugunsten eines weltumspannenden Neuen das Wesensmerkmal des progressiven Denkens darstellt. Identität versus Globalität.“ (213) Es ist fast ein wenig schade, dass diese wertvolle Essenz unter dem Etikett der Islamkritik verschüttet zu gehen droht.
In diesem Sinn besteht Vahlefelds Verdienst jedenfalls in seiner erkennbaren Mühe, die Rationalität einer als alternativlos ausgestellten Politik rekonstruiert und somit eben doch eine Alternative aufgezeigt zu haben. Den progressiven und linksliberalen Kräften, insbesondere unter Sozialdemokraten und Grünen mit Blick auf die Bundestagswahl, wäre zu wünschen, dass sie sich ein Herz nähmen, diesen Fehdehandschuh aufzuheben und sich zur Globalität sowie einer Politik der Entgrenzung zu bekennen, um sie wiederum selbst positiv umzuformen. Das Buch „Mal eben kurz die Welt retten“ bietet hierfür eine wertvolle Gelegenheit.
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