Die völlig unpolitische Furcht Wehrpflichtiger vor einem Kriegseinsatz
Er wollte nicht sterben. Und er wollte nicht töten und sich nicht an einem menschenrechtswidrigen Krieg gegen die eigene Bevölkerung beteiligen. Deshalb floh er vor der syrischen Wehrpflicht. Das OVG NRW erklärte ihm, warum er nicht als Flüchtling anerkannt wird.
Die Flucht vor der Fahne ist und bleibt das schimpflichste Verbrechen, das der deutsche Soldat begehen kann.
schrieb ein Marinekriegsgericht in dem Verfahren gegen den Marinegefreiten Ludwig Baumann, der 1942 in Südfrankreich desertiert war, weil er kein Soldat mehr sein wollte. Er wurde zum Tode verurteilt. Später wurde das Urteil in eine langjährige Haftstrafe umgewandelt.
Die Militärrichter waren damals fleißig und gnadenlos. Sie verurteilten über eine Million deutsche Soldaten. 100.000 kamen in Zuchthäuser, Konzentrationslager und Strafbataillone. Von 30.000 Todesurteilen wurden 20.000 vollstreckt. Das ist eine besondere Negativleistung der deutschen Rechtskultur. Eine unerträgliche Schuld der deutschen Justiz, die immer noch schmerzt und die kein Jurist vergessen sollte. Jeder, der das Buch „Furchtbare Juristen“ von Ingo Müller gelesen hat, kennt den speziellen Sound dieser Justiz. Knochenhart und unerbittlich.
Nun hatte das OVG NRW nicht in einer Strafsache, sondern „nur“ über die Frage zu entscheiden, ob ein vor dem Wehrdienst in Syrien geflohener 20-jähriger Syrer ein Flüchtling ist.
Nein, meinte das OVG. Und die Begründung ließ bei mir blitzkriegartig die Erinnerung an die furchtbaren Juristen wieder wach werden.
Die Flucht vor dem Grauen
Der Syrer erhielt im Juni 2014 seine Einberufung, wonach er am 19. März 2015 seinen Wehrdienst in der syrischen Armee anzutreten habe. Sie kennen das elende Gemetzel in Syrien seit Jahren aus den Medien. Er floh im September 2014 über die Türkei und die Balkanroute nach Deutschland und beantragte dort Asyl.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF) – ja das sind die, die einen rechtsradikalen, deutschen Bundeswehrsoldaten problemlos als syrischen Flüchtling anerkannt haben -, lehnte den Asylantrag und die Anerkennung des Syrers als Flüchtling ab, gewährte ihm aber – wie den meisten Syrern – sogenannten subsidiären Schutz nach § 4 AsylG. Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen. So was kommt in Syrien vor. Ständig.
Die Klage des Syrers gegen den Bescheid war vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erfolgreich. Dieses erkannte die Flüchtlingseigenschaft an. Gegen dieses Urteil ging die Bundesrepublik – warum auch immer – in Berufung und bekam damit Recht. Das war jetzt nicht die erste Entscheidung dieser Art, aber eine, deren Begründung ich kaum ertragen kann.
In der Pressemitteilung des OVG NRW wurde die Begründung wie folgt vermittelt:
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfordere, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner politischen Überzeugung oder Religion eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte drohe. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts könne das nicht festgestellt werden.
Es gebe keine Erkenntnisse, dass rückkehrende Asylbewerber wegen des Umstandes, dass sie sich durch Flucht dem Wehrdienst entzogen haben, vom syrischen Staat als politische Gegner angesehen und verfolgt würden. Die Annahme einer vom syrischen Staat zugeschriebenen gegnerischen politischen Gesinnung sei – wie bereits entschieden wurde – schon für Flüchtlinge, die allein vor den für Zivilisten drohenden Gefahren des Bürgerkriegs geflohen sind, lebensfremd.
Die Annahme liege noch ferner für Flüchtlinge, für die der zusätzliche Fluchtgrund bestehe, sich vor den weitaus größeren Gefahren des unmittelbaren Kriegseinsatzes in Sicherheit zu bringen. Angesichts des kulturübergreifend verbreiteten Phänomens der Furcht vor einem Kriegseinsatz als Motivation zur Wehrdienstentziehung in Kriegszeiten liegt es für jedermann auf der Hand, dass Flucht und Asylbegehren syrischer Wehrpflichtiger regelmäßig nichts mit politischer Opposition zum syrischen Regime, sondern allein mit – verständlicher – Furcht vor einem Kriegseinsatz zu tun hat. Es hieße, dem syrischen Regime ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit zu unterstellen, wenn angenommen wird, es könne dies nicht erkennen und schreibe deshalb jedem Wehrdienstentzieher eine gegnerische politische Gesinnung zu. Eine Verfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes im Zusammenhang mit völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen (insbesondere Kriegsverbrechen) drohe dem Kläger nicht. Zwar könne unterstellt werden, dass es durch die syrische Armee zu solchen Handlungen komme, der Kläger habe aber den Militärdienst nicht verweigert, sondern sich dem lediglich durch Flucht entzogen. Eine Verweigerung i.S. des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sei auch nicht bei einer hypothetischen Rückkehr zu erwarten.
Da fällt einem nicht mehr viel zu ein.
Realitätsblind
Das Assad-Regime, dass seit Jahren seine eigene Bevölkerung mit widerlichsten Kriegsverbrechen drangsaliert und ermordet, ist also im Umgang mit Deserteuren nicht „realitätsblind“? Eine Verfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes im Zusammenhang mit völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen, insbesondere Kriegsverbrechen, drohe dem Jungen nicht? Ach was. Ob das syrische Regime auch den feinsinnigen Unterschied zwischen Verweigerung des Militärdienstes und einer Entziehung durch Flucht zu würdigen weiß? Wer hier realitätsblind ist, liegt auf der Hand.
Aufrechterhaltung der militärischen Schlagkraft
Nun ist auch dem OVG irgendwie schon klar, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien Folter und andere Menschenrechtsverletzungen drohen. Das sei aber keine politische Verfolgung. Das syrische System handele nur deshalb so,
weil es die Wehrdienstentziehung als solche im Interesse der Aufrechterhaltung der militärischen Schlagkraft des syrischen Staates zu bekämpfen gilt.
Ach so, na dann ist ja gut. Vermutlich vernichtet es auch nur seine eigene Bevölkerung, damit das Leben in Syrien angenehmer wird.
Es handele sich bei der Furcht eines Wehrdienstflüchtigen – so meint das OVG – nur um
die völlig unpolitische Furcht Wehrpflichtiger vor einem Kriegseinsatz.
Das sei aber jetzt nicht besonderes, sondern ein
kulturübergreifend verbreitetes Phänomen.
Jaja, dieses syrische Weichei, will sich nicht mal ordentlich foltern oder erschießen lassen und noch nicht einmal Kriegsverbrechen in einer verbrecherischen Armee begehen. Wo kämen wir denn dahin, wenn jeder das machen würde und wenn so jemand auch noch als Flüchtling anerkannt würde? Da würde ja kein einziger Krieg mehr anständig funktionieren. No people, no war.
Der frühere Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), der das Urteil als krasses Fehlurteil bezeichnete, hat Recht, wenn er gegenüber der Tagesschau sagte, es sei
aller Ehren wert, wenn sich Syrer an Assads Krieg gegen die eigene Bevölkerung nicht beteiligen wollen und sich dem durch Desertion entziehen.
Das Gericht erlaubt sich dann auch noch den lustigen Hinweis darauf, dass es auch in Deutschland eine Reihe von Strafvorschriften gegen die Schwächung der militärischen Schlagkraft gebe. Okay, wir haben zwar zur Zeit gar keine Wehrpflicht mehr, aber was soll‘s. Denn – und jetzt kommt der eigentliche Hammer dieser Entscheidung:
Der Soldat muss die menschliche Regung der Furcht überwinden. (….) Furcht vor persönlicher Gefahr entschuldigt eine Tat nicht, wenn die soldatische Pflicht verlangt, die Gefahr zu bestehen.
Diese heroische Erkenntnis hat das Gericht dem deutschen Wehrstrafgesetz (WstG) entnommen:
§ 6 Furcht vor persönlicher Gefahr
Furcht vor persönlicher Gefahr entschuldigt eine Tat nicht, wenn die soldatische Pflicht verlangt, die Gefahr zu bestehen.
Angesichts des täglich zu bestaunenden Horrors im Syrienkrieg ist es mir unerträglich, wenn ein deutsches Gericht einem Menschen, der sich am Schlachten der eigenen Bevölkerung nicht beteiligen will, etwas von soldatischen Pflichten vorlabert. Die syrische Armee ist sowenig mit der Bundeswehr zu vergleichen, wie die Truppen des IS. Vielleicht hätte auch ein Blick ins deutsche Soldatengesetz weiter geholfen, um sich die entscheidenden Unterschiede deutlich zu machen. Klar, da gibt es auch das Prinzip von Befehl und Gehorsam, wie in jeder Armee. Da gibt es aber eben auch das Recht und sogar die Pflicht, Befehle zu verweigern.
Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz – SG)
§ 11 Gehorsam(1) Der Soldat muss seinen Vorgesetzten gehorchen. Er hat ihre Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. Ungehorsam liegt nicht vor, wenn ein Befehl nicht befolgt wird, der die Menschenwürde verletzt oder der nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist; die irrige Annahme, es handele sich um einen solchen Befehl, befreit den Soldaten nur dann von der Verantwortung, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte und ihm nach den ihm bekannten Umständen nicht zuzumuten war, sich mit Rechtsbehelfen gegen den Befehl zu wehren.
(2) Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Befolgt der Untergebene den Befehl trotzdem, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch eine Straftat begangen wird.
(3) Im Verhältnis zu Personen, die befugt sind, dienstliche Anordnungen zu erteilen, die keinen Befehl darstellen, gelten § 62 Absatz 1 und § 63 des Bundesbeamtengesetzes entsprechend.
Die vom OVG beschworene „soldatische Pflicht“ verlangt eben nicht, seine Furcht abzuschalten, wenn es um verbrecherische Handlungen dieser Armee geht. Nein, die soldatische Pflicht verlangt es, sich solchen Handlungen zu widersetzen. Oder halt einfach abzuhauen und die Verbrecher ihren Dreck alleine machen zu lassen. Niemand kann verpflichtet sein, in einer solchen Armee zu dienen. Und kein deutsches Gericht sollte den Eindruck erwecken, dass es ein solche Pflicht gebe und es in Ordnung sei, dass der syrische Staat Verweigerer menschenrechtswidrig bestraft.
„Sie sind ja ein schäbiger Lump“ höre ich den Freisler immer wieder kreischen. Kennen die Richter diesen unsäglichen Sound des Volksgerichtshofs wirklich nicht, dass sie solche Sachen schreiben? Läuft es ihnen da nicht selbst kalt den Rücken runter?
Dass es für Wehrdienstflüchtige in Syrien arg eng wird, dass nämlich der syrische Staat Wehrdienstentziehern sehr wohl eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und dies lebenbeendende Konsequenzen haben kann, hat nicht nur der Bayerische Verwaltungsgerichtshof festgestellt, sondern auch der UN-Flüchtlingskommissar. Warum es nun auf einmal das OVG NRW in Münster besser wissen will, als selbst die Bundesregierung, die nicht nur Teilen der Assad-Armee, sondern der gesamten Armee schwerste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last legt, weiß ich nicht. Das BAMF untersteht dem Bundesinnenminister. Ist dem egal, welche Erkenntnisse das Auswärtige Amt hat? Oder macht der absichtlich einen auf stahlhart? Ich kann und muss das nicht verstehen.
Schon seltsam, dass Angehörige des türkischen Militärs in Deutschland problemlos Asyl erhalten, vor dem syrischen Militärdienst flüchtende aber nur subsisiären Schutz. Ist Erdogan und die türkische Justiz schlimmer als Assad und die syrische?
Ortstermin?
Vielleicht sollten die Richter sich erst einmal bei einem Ortstermin in Syrien bei der grandiosen Truppe ein Bild von der tatsächlichen Lage machen. Ach, das wäre zu gefährlich? Wieso denn das? Gilt da nicht, auf dem Weg der Rechtsfindung, darf der Richter keine Furcht vor persönlicher Gefahr haben oder falls er sie doch hat, muss er diese menschliche Regung der Furcht überwinden? Hm? Natürlich sind die OVG-Richter keine Nazis und sie schicken den Syrer ja auch nicht in den Tod, aber der eiskalte Ton der Begründung erinnert an die ganz schlechten Zeiten deutscher Unrechtsprechung und löste bei mir persönlich die altbekannten Bilder aus. Vielleicht bin ich da zu empfindsam, vielleicht sind die Richter aber auch zu wenig empfindsam.
Infolge der Verweigerung der Flüchtlingseigenschaft, darf der Kläger nun zwar erst mal für ein Jahr in Deutschland bleiben, aber er kann seine Familie nicht nachholen. Das kann für die Familie ebenfalls tödlich enden.
Bedauerlich ist allerdings, dass der Syrer dieses in unglaublcher Weise begründete Urteil akzeptiert und offenbar keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat, weil er meint, so sei das halt in Deutschland. Das wäre wenigstens eine Chance für die deutsche Justiz gewesen, diese Entscheidung zu korrigieren.
Und nein, so ist das nicht in Deutschland. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg sieht die Lage von Flüchtlingen aus Syrien offenbar anders: Ein Kurde und ein Palästinenser haben dort den Status von Flüchtlingen zuerkannt bekommen (Urt. v. 05.05.2017, Az. A 11 S 530/17 und A 11 S 562/17, ). Und so ist das auch richtig.
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