Levina gegen den Rest Europas

Andreas Kern hat Hoffnung für den deutschen ESC-Beitrag


Deutsche Vorentscheide zum Eurovision Song Contest (ESC) sind normalerweise so unterhaltsam wie ein schlechter Tatort und so inspirierend wie eine Rede von Rudolf Scharping oder Volker Kauder. Ausnahme: Die Jahre, in denen Stefan Raab das Zepter bei der Song-Auswahl für die Kultveranstaltung schwang. Stromlinienförmiger Sangesnachwuchs singt belanglose Texte. Besonders schlimm war es im letzten Jahr, als ein sonderbares Girlie im Manga-Look mit einem eher abtörnenden und düsteren Geisterliedchen gewann. Zurecht geizte der Rest Europas bei solcher Songware mit Punkten.

Nur die Moderatorin war gut

Auch in diesem Jahr ließ sich der Vorentscheid eher lausig an. Nichts war gut, außer vielleicht der Moderation von Barbara Schöneberger. Zwar waren die Kandidatinnen und Kandidaten durchaus talentiert und die Auswahl der Cover Songs, die sie zunächst vortragen mussten, klang stimmig. Zumindest besser als Jamie-Lee. Doch irgendwer, von dem auf europäischer Bühne mehr als nur ein hinterer Platz zu erwarten war, schien nicht dabei zu sein. Bis Levina Isabella Lueen auftrat. Die in London lebende Sängerin fiel wohl nicht nur mir angesichts ihrer nur bedingt ESC-kompatiblen Konkurrenz als wirklich alternativlos auf. Und so durfte die gebürtige Bonnerin im Finale gegen sich selbst antreten. Nur um die Liedauswahl ging es dann noch. Und da gewann der weniger orginelle Song, der indes in der Levina-Interpretation besser zu der Volblutmusikerin passt – und der auf der großen Showbühne in Kiew auch mehr Staat machen dürfte.
Schon jetzt lässt sich sagen: Levina und ihr Lied sind wohl das erfolgsversprechendste, was Deutschland seit dem Sieg von Lena Mayer-Landrut 2010 zum Endentscheid geschickt hat. Die Künstlerin, die lange in Chemnitz gelebt hat, verfügt über eine solide ostdeutsche Musikausbildung, die sie in London, der europäischen Hauptstadt der Popmusik, noch verfeinert und ausgebaut hat. Sie hat Bühnenefahrung, nicht nur in Deutschland, sondern auch im anspruchsvolleren Großbritannien. Zudem zeigt sie Ausstrahlung, Spass am Performen und an Glamour, noch ein Unterschied zu Jamie-Lee.

Kein Sieg, doch es geht einiges

Ihr Lied „Perfect Life“ stammt von der US-Hitmaschine Lindy Robbins, die unter anderem für One Direction, Jason Derulo und Demi Lovato produziert hat. Solider, eingänger Pop bei dem man gern zuhört, wenn er im Radio läuft. Und das ist zumindest mehr, als die Deutschen in den vergangenen Jahren anzubieten hatten.
Daher unsere Prognose: Der letzte Platz sollte für Levina kein Thema sein, dafür sind Künstlerin und Lied viel zu gut. Allem Talent und aller Professionalität zum Trotz, den Sieg darf aber auch niemand erwarten. Dagegen sprechen mindestens zwei Dinge: der Kultfaktor und die Politik. Levina ist eine sehr gute Sängerin und authentische Performerin, aber sie schafft nichts Überraschendes, kein Aha-Erlebnis, keinen Wow-Effekt. Dabei sind es meist nicht die besten Songs, die den ESC gewinnen, sondern die außergewöhnlichsten. Das galt bei der finnischen Hardrock-Kombo Lordi mit ihren Teufelsmasken, das galt für die österreische Travestiekünstlerin Conchita Wurst und das galt in gewisser Weise auch für die rotzige Göre Lena. Außerdem ist „Perfect Life“ sehr mainstreamig, zu mainstreamig vielleicht. Und zumindest am Anfang kann man in der Levina-Interpretation schon Parallelen zu David Guettas „Titanium“ heraushören.

Politik, Politik!

Und dann ist da noch die Politik. Oft werten die Zuschauer nicht bloß nach Qualität, sondern auch nach geographischer oder politischer Sympathie. Skandinavien stimmt für Skandinavier, der Balkan stimmt für die Lieder anderer Balkanstaaten. Auch Russen und Weißrussen oder Griechen und Zyprioten schustern sich meist gegenseitig die Punkte zu, egal ob da einer „Hänschen klein“ oder „Nessun dorma“ singt. Deutschland dagegen ist in Europa, sagen wir mal, nur mäßig beliebt. Nicht einmal aus den Ländern des selben Sprachraums fließen zuverlässig Punkte. Seit Lenas Sieg 2010, damals waren Euro-Schulden- und Flüchtlingskrise noch nicht auf ihrem Höhepunkt, sind die Deutschen bei ihren Nachbarn eher noch unpopulärer geworden. Viele andere Europäer, die sich von Deutschland geschulmeistert fühlen, dürfte es schwer fallen, für Levinas Beitrag zu stimmen. Sie kämpft am 13. Mai also nicht nur gegen ihre Konkurrenz, sondern auch gegen die politische Großwetterlage. Und diesen Kampf kann sie momentan nicht gewinnen.
Daher unsere Prognose: Levina dürfte mit „Perfect Life“ irgendwo zwischen Platz 5 und 15 landen. Und das ist mehr als man von deutschen Beiträgen normalerweise erwarten darf.

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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