Gigi, der letzte Gigant

Italiens ewiges Torwartidol Gianluigi Buffon wird 39 – ausgerechnet an dem Tag, an dem das „neue Spitzenspiel“ der Bundesliga, RB Leipzig gegen die TSG Hoffenheim, stattfindet. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Hier der alternde Charakterkopf, für den Fußball Leidenschaft und Emotion bedeutet, dort die Retortenteams, die von Brause- oder Softwaremillionen leben. Lässt der Kommerzfußball künftig noch Raum für Typen wie Buffon oder gehört die Zukunft ausschließlich glatten Figuren vom Schlage eines Philipp Lahm?


Eigentlich hatte der vergangene Samstag alles, um als schwarzer Tag in die Fußballgeschichte einzugehen. RB Leipzig gegen TSG 1899 Hoffenheim, das Duell der Retortenklubs, war erstmals eine Spitzenpartie in der Deutschen Bundesliga. Das Marketing-Werkzeug eines österreichischen Brauseherstellers gegen das Hobby eines Software-Magnaten. Reißbrett-Fußball verdrängt Leidenschaft und Tradition. Nur der Selfmade-Krösus FC Bayern München rangiert noch vor den Milliardärs-Spielzeugen aus Sachsen und Baden. Grund genug, sich ein paar grundlegende Gedanken über den Profi-Fußball zu machen.

Niemand kann mehr bestreiten, dass Geld Tore schießt. Genug sogar, um Liga-Größen wie Borussia Dortmund oder Schalke 04 abzuhängen. Nie wurde diese unheilvolle Entwicklung im Profifußball so offensichtlich, wie am Tag des „Spitzenspiels“ zwischen Böse (Hoffenheim) und Noch-Böser (Leipzig). Zwar hat die aktuelle Bundesliga-Saison auch erfreuliche Aspekte – wie die Renaissance von Traditionsteams wie Eintracht Frankfurt, Hertha BSC Berlin oder dem  1. FC Köln. Aber im Grunde sind diese Mannschaften froh, nicht in den Abstiegskampf hereingezogen zu werden. Wenn am Ende die Qualifikation für die Euro League herausspringt, werden am Main, an der Spree oder am Rhein bereits Freudenfeuer entzündet. Mit den Plänen der Roten Bullen aus Leipzig können und wollen diese Klubs nicht mithalten.

Siegeszug des Retortenfußballs

Rund um Deutschland herum sieht es nicht besser aus, im Gegenteil. Die meisten Teams der englischen Premier League sind im Besitz osteuropäischer Oligarchen, arabischer Potentaten oder US-amerikanischer Großinvestoren. Für kurzfristigen (wirtschaftlichen) Gewinn werden ohne längerfristigen Plan Spieler eingekauft und dabei Unsummen an Ablöse verbrannt. Für einen mittelprächtigen Kicker wie Roberto Firmino aus Hoffenheim etwa legte der FC Liverpool über 40 Millionen Euro auf den Tisch. Im Zuge dieses Transferirrsinns laufen in manchen Champions League Teams mitunter nur ein bis zwei britische Spieler auf. Die englische Nationalelf dagegen leidet seit Jahren an chronischer Erfolglosigkeit. Und in Spanien sind die großen Teams oft Spielzeuge narzisstischer Magnaten oder derart überschuldet, dass ihnen der Fiskus anderorts längst den Strom abgestellt hätte.

Ein Sport, den Herzblut, Leidenschaft und Begeisterung der Fans groß gemacht haben, droht so langfristig als gesichtsloses Unterhaltungsprodukt beliebig zu werden. Der Weltverband FIFA beschleunigt diese Entwicklung noch, indem er seine Weltmeisterschaften ab 2026 auf 48 Teams aufbläst. Dann könnten Duelle wie Sudan gegen Südsudan oder Osttimor gegen die Mongolei keine Phantasievorstellungen mehr bleiben. Selbst eingefleischten Fußballfans dürften solche Partien ähnlich verlockend erscheinen wie das Testbild von Arte. Gerade als mein innerer Abgesang auf den Profi-Fußball seinem Höhepunkt entgegen steuerte, las ich irgendwo: Gianluigi Buffon feiert seinem 39 Geburtstag. Und solange ein Buffon noch aktiv Fußball spielt, ist dieser Sport noch nicht ganz verloren. Allerdings ist für einen 39-jährigen Profisportler das Karriereende absehbar, selbst wenn er Gianluigi Buffon heißt.

Buffon ist lebende Leidenschaft

Für alle, die diesen italienischen Torhüter nicht kennen: Optisch wirkt er wie eine Mischung aus jugendlichem Don Camillo und Italo-Western-Schurken. Und wer einmal ein Länderspiel mit Beteiligung der italienischen Mannschaft gesehen hat, weiß, dass Buffon nicht nur über grandiose Reflexe und eine unglaubliche Präsenz verfügt, sondern seine Nationalhymne auch mit derart viel Leidenschaft und Theatralik mitsingt, dass dies selbst in Italien als etwas Besonders gilt.

Während deutsche Nationalspieler oft wie glattgebügelte Jungmanager wirken, die sich gerade in irgendeiner Arbeitsgemeinschaft zur gegenseitigen Nutzenmaximierung zusammengefunden haben, vermittelt der Keeper aus Turin den Eindruck, mit jeder Faser seines Körpers stolz darauf zu sein, das Trikot der Squadra Azzura tragen zu dürfen, deren Kapitän, deren Herz und deren Seele er ist. Vielleicht ist es auch nicht allzu gewagt, Buffon als die letzte echte Persönlichkeit im internationalen Fußball zu bezeichnen.

Typ mit Ecken und Kanten

Sportlich ist der in Carrara geborene Torwart bereits seit langem das, was man eine Legende nennt. Mit 17 Jahren debütierte er beim Provinzclub AC Parma in der italienischen Seria A, mit 19 Jahren in der italienischen Nationalmannschaft. Bei der Weltmeisterschaft 2006 holte er mit den Azzuri den Titel, mit Juventus Turin, wo er seit 2001 spielt, wurde er siebenmal Champion in Italien. Inzwischen ist er Rekordnationalspieler seines Landes. Selbst in seinem sehr fortgeschrittenen Fußballalter gilt der „Portierone“ als Gigant seiner Zunft – und ist auf jeden Fall besser als jeder britische Torhüter der vergangenen 50 Jahre.

Es ist aber nicht allein die fußballerische Leistung, die das Phänomen Buffon ausmacht. „Der Mann hat eine Biografie, nicht nur eine Statistik“, urteilte etwa die Italien-Korrespondentin der „Zeit“ und Fußball-Expertin Birgit Schönau einmal. Es seien die Brüche in seinem Leben, seine Ecken und Kanten sowie seine dunklen Flecken, die den Mann mit dem markanten Gesicht erst zur Identifikationsfigur machten.

Private Schicksalsschläge

Dass Buffon kein glattgebügelter Smartie à la Philipp Lahm ist, der bereits als aktiver Sportler so redet, als sei er seit Jahren Sprecher des Bundespräsidialamtes, erfährt man beispielsweise in seiner Biografie „Numero 1“ . Darin beschreibt er auch die Depression, deretwegen er beinahe seine sportliche Laufbahn beendet hätte. Außerdem berichtet Buffon über sein Faible für Glücksspiel und die Scheidung von seiner Ex-Frau, einem Model aus Tschechien.

Bemerkenswert auch, dass „San Gigi“ vor drei Jahren 2014 für etwa 20 Millionen Euro Mehrheitsanteile an einem Textilunternehmen kaufte, um den Betrieb vor der Pleite zu bewahren. Obwohl dieser Deal zum Verlustgeschäft wurde, hält der Sportler immer noch 15 Prozent an der Firma. Geld investierte er 2010 auch in den größten Fußballklub seiner Heimatstadt, Carrarese Calcio. Seit 7. Juli 2012 ist er alleiniger Eigner des Vereines.

„Ohne Gefühle geht Fußball zugrunde“

Mit seiner Vereinstreue wirkt Buffon wie ein Relikt aus der guten alten Zeit, als Fußball noch kein globalisiertes Big Business war. Selbst als Juventus Turin im Zuge eines Manipulationsskandals aus der höchsten italienischen Spielklasse absteigen musste, blieb der Keeper beim Rekordmeister. Lukrative Offerten anderer Klubs lehnte er ab. Später sagte er in einem Interview: „Ich hätte Juve verlassen können…aber ich entschied mich zu bleiben. Weil ich an Dankbarkeit glaube. Das ist ein Wert, den wir in unserer Gesellschaft wieder mehr beachten sollten. Ich wollte konkret beweisen, dass die Werte, an die ich glaube, nicht nur auf dem Papier da sind. In unserem Sport geht es nicht nur um Business, es geht auch um Gefühle. Der Fußball würde sonst zugrunde gehen.“

Es sind aber immer weniger Spieler, denen derartige Werte wichtig erscheinen. Was aktuell der Exodus internationaler Kicker in Richtung China beweist. Zog es früher nur solche Spieler in derart exotische Fußballnationen, die sich am Ende ihrer Karriere noch ohne große Mühen ein Zubrot verdienen wollten, so folgen heute echte Stars dem Lockruf des fernen Geldes. Der Brasilianer Oscar ist einer von ihnen. Für umgerechnet etwa 60 Millionen Euro wechselte er gerade vom aktuellen Premier League-Primus FC Chelsea zu Shanghai SIPG. Der belgische Nationalspieler Axel Witsel weiderum lehnte für einen Transfer in die chinesische Hafenstadt Tianjin ein Angebot von Juventus Turin ab, dem Klub dem Buffon seit 2001 die Treue hält und der alles andere als eine schlechte Adresse im europäischen Spitzenfußball ist. Und Carlos Zambrano, ein bei Eintracht Frankfurt durchaus geschätzter peruanischer Akteur, zog es am Ende der vergangenen Saison nicht etwa zu besseren Teams nach Spanien, Italien oder England, sondern ausgerecht nach Kasan in die russische Provinz, wo man als normaler Mitteleuropäer nicht einmal ein Bild von sich haben möchte. „Pecunian non olet“ scheint „Fußball ist unser Leben“ als Leitbild abgelöst zu haben.

Letzter Charakterkopf

Bleibt zu hoffen, dass der Fußball der Zukunft der des Gigi Buffon sein wird und kein wohl kalkuliertes Geschäft à la RB Leipzig. Aktuell sieht es allerdings eher danach aus, dass Profitstreben endgültig die Werte aus dieser phantastischen Sportart zu verdrängen droht. Ein Charakterkopf wie Buffon steht da den Interessen unzähliger Unternehmen und auch dem Zeitgeist gegenüber.

Nachhaltig dürfte ein von jeder Leidenschaft losgelöster Kommerzfußball aber nicht sein. Wenn irgendwann die Erfolge ausbleiben und die Fans sich nicht mehr mit ihren Vereinen identifizieren können, dürfte das ganze Geschäftsmodell auf der Kippe stehen. Aber vielleicht muss der Krug erst zum Brunnen gehen, eher er bricht und aus den Scherben wieder etwas neues Altes entstehen kann. Vielleicht erinnert man sich dann Gianluigi Buffon, diesen Propheten des echten, ehrlichen Fußballs. Und den sollten wir feiern, so lange er noch spielt. In diesem Sinne: Buon compleanno, Gigi!

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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