Fesselspiele

Die Lehren aus dem Fall Anis Amri wollen die Sicherheitspolitiker ziehen. Dabei gilt es, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten.


Im Fall des Terroristen Anis Amri sind schwere Fehler gemacht worden. Der Anschlag war, nach allem was man bisher weiß, wohl vermeidbar. Und zwar mit den vorhandenen Mitteln des Rechtsstaats. Das zuzugeben wäre gegenüber uns Bürgern nur fair und vielleicht würde der ein oder andere Rücktritt der politisch Verantwortlichen der demokratischen Hygiene im Land gut tun. Rücktritte wird es aber nicht geben, die sind so altmodisch. Das macht man heute nur noch, wenn man bei der Promotion geschummelt hat, nicht etwa wenn es Fehler in der Exekutive gegeben hat, deren Spitze der jeweilige Minister bildet. Da lässt man maximal einen Polizeipräsidenten über die Klinge springen. Politische Verantwortung übernehmen? Vergessen Sie es. Das ist altmodisch. Minister von heute reden lieber nach jedem Anschlag über neue Maßnahmen. Wären die tatsächlich erforderlich, dann müssen sie sich fragen lassen, warum sie da nicht früher drauf gekommen sind.

Lehren ziehen

Aber irgendwas muss man ja tun, um dem Bürger, auch und gerade dem besorgten, im Superwahljahr zu suggerieren, man sei der richtige Mann oder die richtige Frau im richtigen Amt. Also verspricht man erst einmal, die Lehren zu ziehen. Das klingt immer gut und wäre auch ganz vernünftig. Man guckt sich an, was schief gelaufen ist und stellt die Fehlerquelle ab. Wenn das System grundsätzlich leistungsfähig war, im Einzelfall aber aufgrund menschlichen Versagens nicht funktioniert hat, stellt man das fest und gut ist. Könnte man so machen. Mit kühlem Blick und ruhiger Hand. Das wäre sinnvoll und souverän. Aber es wäre nichts für den Wahlkampf. Wahlkampf fordert Stärke, mindestens starke Worte. Also phantasiert man sich immer neue Vorschläge für eine angeblich verbesserte Sicherheit zusammen.

Umgang mit „Gefährdern“

Ein Riesenthema sind in diesem Zusammenhang die sogenannten Gefährder. Das sind Menschen, denen die Sicherheitsbehörden zutrauen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO begehen werden.

So ganz glaub ich das ja mit den aufgeführten Straftaten ja  nicht, denn da stehen auch welche wie Bestechlichkeit u.ä. drin, die wohl kaum zum Gefährderstatus führen dürften. Oder trauen Sie keinem Amtsträger zu, bestechlich zu sein? Gemeint sind offenbar in erster Linie Personen, denen man einen Terroranschlag zutraut. Übrigens, glauben Sie jetzt bitte nicht, das sei eine gesetzliche Definition. Die gibt es da nämlich nicht.

Diese Definition haben die Sicherheitsbehörden sich irgendwann selbst ausgedacht.

Zum Gefährder kann man auf unterschiedliche Weisen werden. Das kann durch einen Hinweis aus der Nachbarschaft geschehen, das kann auf einem auffälligen Verhalten im Internet beruhen, das kann durch Hinweise ausländischer Geheimdienste passieren oder auch auf andere Weise. Da der Gefährder ja gerade bisher in Deutschland kein strafbares Verhalten an den Tag gelegt hat und deshalb auch nicht mit den Mitteln des Strafrechts zu packen ist, bewegt sich die Einordnung zwangsläufig im Spekulativen.

Laut Bundesinnenministerium gelten in Deutschland derzeit 549 Menschen als islamistische Gefährder, 20 als rechte und 5 als linke Gefährder. Ich muss ganz ehrlich sagen, das kommt mir insgesamt recht wenig vor. Mir sind einige Figuren bekannt, denen ich schlimme Sachen zutrauen würde und vermutlich geht das anderen Strafverteidigern nicht viel anders als mir. Aber egal. Glauben wir es einfach mal.

Gefahrenabwehr

Wenn es um die Vermeidung von Terroranschlägen geht, muss der Staat sich natürlich um diejenigen kümmern, denen er derartige Taten zutraut, auch wenn die bisher – und vielleicht auch für immer – brav bleiben. Das nennt man Gefahrenabwehr. Das ist eine Aufgabe der Polizei.

Ideal wäre bei entsprechender Erwartungshaltung eine 24-Stunden-Überwachung durch das jeweils zuständige Landeskriminalamt (LKA). Dafür benötigt man pro Gefährder rund 40 Polizisten. Die hat man aber nicht. Also gibt’s das 24-Stunden-Rund-um-sorglos-Paket nur in Ausnahmefällen. Beim Rest wird improvisiert.

Um die Gefährder nach Gefährlichkeit überwachen zu können, stuft man sie in eine von 7 Stufen ein. Die höchste Stufe ist die 1, die niedrigste die 7. Dass man dabei gehörig in die Kacke packen kann, zeigt die Einstufung von Anis Amri in Stufe 5. Nun, im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber gerade dieser Fall zeigt, wie schwierig es mit der Prognose über künftiges menschliches Verhalten ist. Das ist bei der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung nicht anders als bei der Aussetzung des Maßregelvollzugs oder halt bei der Einstufung der Gefährlichkeit von Menschen.

Man kann halt niemandem in den Kopf sehen. Vielleicht ist derjenige, der lauthals im Internet prahlt, was er alles so vor hat, harmloser als ein anderer, der immer nur Katzenbilder postet oder twittert. Bei Trump hoffe ich das sehr.

Es ist also nicht einfach. Der Traum, schwere Kriminalität bereits zu verhindern, bevor sie entsteht, scheint immer noch geträumt zu werden. Die Abteilung Precrime in Minority Report ist und bleibt Sciencefiction. Selbst eine totale Überwachung kann einen bis dahin unauffälligen Terroristen nicht ausfindig machen.

Wachsamkeit

Trotzdem ist es natürlich richtig und wichtig, wachsam zu sein. Und ebenso wichtig und richtig ist es, die Thematik der sogenannten Gefährder nicht mit anderen Themen zu vermischen und dadurch den Eindruck zu vermitteln, das Thema Terror sei erledigt, wenn man nur die ausländischen Gefährder schneller abschieben würde. Ist es nicht, weil es sich nur bei rund der Hälfte der bisher als Gefährder bezeichneten Personen überhaupt möglich wäre. Okay, bei den rund 60 Gefährdern, die jetzt bereits ausreisepflichtig sind, spricht nichts gegen eine schnelle Abschiebung, wobei auch da ein rechtsstaatliches Verfahren selbstverständlich sein muss.

Ein deutsches Guantanamo?

Justizminister Maas möchte islamistische „Gefährder“ ohne Asylanspruch künftig auch dann in Abschiebehaft nehmen, wenn die Herkunftsstaaten nicht mit den deutschen Behörden kooperieren. Bisher kann Abschiebehaft nur angeordnet werden, wenn die realistische Möglichkeit einer Abschiebung besteht. Das wird ebenfalls schwierig werden. Wie lange sollen diese Menschen in Haft bleiben? Es wird über 18 Monate diskutiert, aber auch die sind ja irgendwann vorbei. Was soll danach geschehen? Ein deutsches Guantanamo? Haft ohne absehbares Ende? Das ist mit dem Grundgesetz nicht zu machen. Keine Chance!

Außerdem besteht dann natürlich das Problem, dass der Begriff des Gefährders gesetzlich normiert werden müsste, denn dass alleine die Einschätzung der Sicherheitsbehörden ausreichen sollte, einen Menschen längere Zeit in Haft zu nehmen, kann ja wohl nicht sein. Das muss zwingend einer richterlichen Prüfung unterliegen und die braucht klare, verfassungsmäßige Kriterien.

Bei den anderen Gefährdern, die entweder die deutsche Staatsbürgerschaft oder einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, klappt das ja eh nicht. Da bleibt gar nichts anderes übrig, als sie im Auge zu behalten.

Um das den Sicherheitsbehörden zumindest etwas leichter zu machen, wird von der Politik die Fußfessel ins Gespräch gebracht.

Fußfessel

Ein spaßiger Begriff. Im normalen Sprachgebrauch ist eine Fessel ein Gegenstand, mit dem jemand gefesselt, also daran gehindert wird, sich zu bewegen. Die Leserinnen kennen das von 50 Shades of Grey. Seile, Kabelbinder, Handschellen, was auch immer. Wer gefesselt wird, bewegt sich nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr weg. Bei der elektronischen Fußfessel ist das ganz anders. Das ist nichts anderes, als ein Sender, der an eine Basisstation gekoppelt ist. Bewegt man den Sender aus dem voreingestellten Bereich heraus, gibt es Alarm. Wenn das Ding an den Mobilfunk gekoppelt ist, kann man per GPS sehen, wo sich die Fußfessel gerade befindet. Wenn man die abschneidet, gibt’s zwar auch Alarm, aber da ist man erst mal weg. Vielleicht ist man nur mal shoppen, vielleicht kapert man aber auch einen LKW und fährt zur nächsten Menschenansammlung. Wer glaubt, die Fußfessel bringe echte Sicherheit, der glaubt auch, dass Donald Trump mit seinen Söhnen nicht über seine Geschäfte sprechen wird, wenn er Präsident ist. Kann man ja tun, ist aber fernab jeder Erfahrung.

Außerdem wird es rechtlich nicht einfach sein, ein entsprechendes Gesetz zu fabrizieren, dass den Ansprüchen der Verfassung genügt. Bisher wird die Fußfessel ausschließlich für verurteilte Straftäter oder wegen Schuldunfähigkeit in der Forensik untergebracht gewesene Menschen eingesetzt, um deren Verhalten nach der Entlassung im Rahmen der Führungsaufsicht im Hinblick auf gerichtliche Auflagen zu überwachen. Bisher ging das nur für Täter, die zu mindestens 3 Jahren Haft wegen einer nachgewiesenen Tat verurteilt wurden.

Wie man das nun rechtmäßig auf strafrechtlich gar nicht in Erscheinung getretene Menschen ausdehnen will, ist mir ziemlich schleierhaft. Dass man das mal eben so hin bekommt, wie Herr Maas suggeriert, glaube ich nicht.

Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ein verurteilter Straftäter, über den Erkenntnisse aus der vorherigen schweren Straftat vorliegen und der auch schon jahrelang im Strafvollzug beobachtet werden konnte, im Rahmen der gesetzlichen Führungsaufsicht in seiner persönlichen Freiheit mit einem Sender eingeschränkt wird, oder ob man das bei einem bisher unbescholtenen Bürger oder auch bei einem Kleinkriminellen tun möchte.

Da der Betroffene das Ding am eigenen Leib (er)-tragen soll, müssten die Behörden ihm und selbstverständlich einem Richter ganz genau erklären, auf was sich ihr Gefährderverdacht stützt. Nebeneffekt wäre natürlich, dass der Gefährder spätestens dann weiß, dass er bei den Behörden auf dem Schirm ist.

Es darf nicht übersehen werden, dass die Strafbarkeit für die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten durch einen Einzeltäter bereits nach § 89a StGB und für Gruppen nach § 129a StGB kräftig nach vorne verlegt wurde. Das bedeutet, dass der Gefährder sich noch unterhalb dieser Eingriffsschwelle verdächtig macht. Ich versuche es mal verständlich zu erklären. Derjenige, der sich fest dazu entschlossen hat, eine staatsgefährdende Straftat zu begehen und damit beginnt, die Materialien für einen Sprengsatz zu beschaffen und den in seiner Hobbywerkstatt zusammenbastelt, oder der sich mit anderen zusammenschließt um das zu tun, ist kein Gefährder mehr, sondern bereits ein Straftäter. Den kann man jetzt schon mit den Mitteln des Strafrechts verfolgen und auch verurteilen.

Wichtigtuer oder Gefährder?

Der Wichtigtuer, der über einen Anschlag lediglich schwadroniert und sich vielleicht schon mal eine Anleitung zum Sprengsatzbau im Internet ansieht, könnte als Gefährder eingestuft werden, er hat sich aber noch nicht strafbar gemacht und wird das möglicherweise auch nie tun. Soll der per Fußfessel überwacht werden dürfen?

Auf die gesetzliche Grundlage für eine derartig in die Grundrechte eingreifende Maßnahme bin ich gespannt. Ganz gleich wie die aussehen wird, hat der Betroffene gegen die Entscheidung selbst ein Rechtsmittel. Das macht den Rechtsstaat nun mal aus.

Art. 19

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Und irgendwann wird auch das Bundesverfassungsgericht sich damit beschäftigen müssen.

Ganz unabhängig davon, ob die große Koalition ein verfassungsgemäßes Gesetz auf die Beine bekommt, sind die technischen Möglichkeiten der Fußfesselung bisher auch noch quantitativ recht begrenzt. Das GÜL, das ist die Überwachungsstelle in Bad Vilbel hat im Moment 88 Personen im Rahmen der Führungsaufsicht auf dem Schirm und könnte maximal 500 überwachen. Wohlgemerkt technisch überwachen.

Denn wenn ein Alarm ausgelöst wird, weil ein Fußgefesselter sich aus dem Bereich bewegt oder das Ding abflext, macht sich ja kein fliegendes Auge auf die Suche, sondern ein ganz normales, aus Menschen bestehendes Team. Ergo, auch wenn die ganzen rechtlichen Hürden genommen werden sollten, braucht es am Ende tatsächlich wieder mehr Polizisten, mehr Polizisten und mehr Polizisten.

Die, gekoppelt mit einer verbesserten innerdeutschen und innereuropäischen Informationsstruktur, können ein kleines bisschen mehr Sicherheit bringen, ob mit oder ohne Fußfesselgedöns und Restriktionsgefasel. Absolute Sicherheit bleibt ein unerreichbares Ziel.

 

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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