„I wish you Love“
Was ein Konzert von Marlene Dietrich mit dem Tod von George Michael zu tun hat… Ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk von Wolfgang Brosche.
Koinzidenzen – ausgerechnet an Weihnachten stirbt der Pop-Superstar George Michael und Facebook erinnert mich am selben Tag an einen Post, den ich vor einem Jahr anläßlich des Geburtstages von Marlene Dietrich geschrieben habe. Sie wäre heuer am 27. Dezember 115 Jahre alt geworden.
„Ich gucke die Scheiße nicht!“
Die Aufregungen um gestorbene Pop-Ikonen wie George Michael oder David Bowie berühren mich nicht, weil mir ihre Musik immer fremd bleiben wird. Aber vielleicht ist die Berührung, die ihre Fans empfinden, so ähnlich wie die, die Marlene Dietrich bei mir als Teenager auslöste. Ich konnte damals nicht erahnen, weshalb sie mich so rührte; heute weiß ich es – sie war ein Symbol des Widerstandes (nicht nur des politischen Widerstandes im II. Weltkrieg), sie widerstand auch den Unbilden des Lebens und als Ikone auch dem Tod. Vielleicht ergeht es unbewußt den trauernden Verehrern von George Michael und den vielen anderen in diesem Jahr gestorbenen Musikern ähnlich. Es sind gar nicht die fernen Stars selbst, die so rühren, es sind unsere Phantasien und Projektionen.
Hier ist ein Text über meine erste Begegnung als 16jähriger mit Marlene Dietrich. An einem Freitagabend wurde ihr einziges offiziell fürs Fernsehen aufgezeichnete Konzert „I wish you Love“ in London gezeigt. Ich fragte verschüchtert meinen Vater, ob er an diesem Abend seinen „Derrick“ entbehren könnte…
„Ich gucke diese Scheiße nicht! Wieso soll ich für dich auf den Derrick verzichten? Das interessiert doch keinen Menschen mehr, was dies alte Schrapnell noch singt. Gehetzt hat die, ihr Vaterland verraten! Auch wenn die Nazis Schweine waren, man hetzt nicht gegen seine eigenen Leute und läßt sie im Stich und hängt sich damit auch noch aus dem Fenster! Und wird auch noch berühmt und reich damit!“
„Kann ich denn wenigstens versuchen, den alten Apparat in Gang zu setzen?“
„Der spielt doch nur noch Schnee. Ach, mach nur, was du willst. Ist mir egal.“
Ich schlepp´ den alten schwarzweißen Metz vom Keller hoch, plaziere ihn auf dem Küchentisch und staube ihn ab, drehe und winde die Antenne und stelle sie auf die Fensterbank, dann auf den Küchenschrank: das Bild schneit und flackert, der Ton ist halbwegs akzeptabel.
Aber das Schwarzweiß des alten Fernsehapparates ist wie das Schwarz und Weiß, ist wie die Schatten und das Licht in einem Sternbergfilm.
Die Sendung heißt „I Wish you Love“ – die Dietrich ließ nur dieses einzige Konzert fürs Fernsehen drehen, denn sie mißtraute dem Röhrenapparat… Ganz zu Recht – was ist ein Fernsehapparat verglichen mit der riesengroßen Wand aus Leinen und Perlmuttstaub, die Zauber in die Dunkelheit gebracht hat.
Das strahlende Kleid
Natürlich zeichnete die BBC schon damals längst in Farbe auf: aber verwaschen, nachgezogen, rauschend… so müde und erschöpft wie frühes Technicolor in zwei Farben… Erst viele Jahre später, als ich in schlaflosen Nächten auf youtube eingab: I wish you love, Dietrich in London, schaute ich mir das Original an. Die verblaßten Fernsehfarben tauchten das Konzert in totenpink und totengrün und das Gesicht, auf das es ankam, war alt in Farbe, eine Maske, die Augenbrauen abrasiert und auf die Stirn getuscht, und Falten runzelten am Hals entlang hinein ins Tasselkleid.
Das Tasselkleid jedoch strahlte und funkelte und leuchtete, ein Zittern Licht und Verheißung am Bildschirm als ich sechzehn war – wie gut, daß ich I wish you love damals in schwarz-weiß entdeckte, das pure Funkeln Tasselkleid. So wurde mir Marlene schon damals ein Geschöpf aus Tagen when the world was young…
Only yesterday, when the world was young…
Vom ersten Augenblick lebt das Konzert von der Erwartung und Erinnerung. Ich war zu jung, um zu verstehen, wie die Erinnerung im Saale schwebte – und dennoch spürte ich: da warten Menschen auf Lili Marleen und hoffen, daß die nicht so sei wie sie, daß die so schön und so begehrenswert wie damals wäre als es Krieg war. Denn was Lili Marleen verhieß, als sie an all den Fronten sang, war Frieden und war Schönheit unberührbar und nur für den Moment, in dem sie sang.
She sang the songs and what she sang clung close to every soldier´s heart: she sang those songs through Africa and Italy, through Iceland, through Belgium and the Netherlands, through France and England, through Germany and through Czechoslovakia and then again, again through years and years: the soldier´s lovesong, “Lili Marleen” – cause their hearts were young… only yesterday when their hearts were…….young….
Es sind auch einige dabei, die hoffen, sie sähen Lola Lola, wie sie von Kopf bis Fuß vor einem halben Jahrhundert in Babelsberg auf einem Faß gesessen hat, die Oberschenkel stramm im Seidenstrumpf mit Straps, den silbernen Zylinder schräg auf dem blonden Haar, bestäubt mit Gold, damit es strahlte im Schwarz-Weiß des Sternberg-Films.
Ein Trommelwirbel füllt den Saal und die Erinnerung beginnt:
„Ladies and Gentlemen“, schallt es durch die Verstärker, sie braucht nichts weiter als ihren Namen, der wie ein Peitschenknall beginnt und zärtlich endet: „Miss Marlene Dietrich“.
Holländers Hymne an den Blauen Engel braust auf und jeder summt sich in Gedanken ein: “Ich bin von Kopf bis Fuß…“
Die Erscheinung
Sie tritt nicht auf, nein, sie erscheint in diese Hymne hinein. Ein Pelz aus weißen Daunen, ihr Brustgefieder ließen dafür Hunderte von Schwänen, umfließt Marlene, die langsam und drei Meter Schwanenschleppe hinter sich, ans Mikro schreitet, sich tief mit durchgedrückten Knien verbeugt, die Hände in die Hüften stemmt, ins Publikum hinabschaut und taxiert, wer von Bedeutung heute unten sitzt: Queen Mum und Lord Mountbatton und Richard Burton. Stolz hebt sie, eine scharlachrote Kaiserin, das Haupt und dankt mit bloß einem Lächeln, spöttisch, für diese Ovationen. Man meint, sie würde damit sagen, es sei genug, doch ihre Augen sagen, daß ihr das gebührt und daß es nie genug ist. Genug ist nie genug: sie singt auch noch mit fünfundsiebzig Jahren von Liebe und von Sex. „You are immortal, Kraut!“
Mit einer Handbewegung aus der Hüfte gibt sie dem Dirigenten ein Signal, die Hymne wechselt in das Intro ihres ersten Songs – sie singt ganz unverschämt in den Applaus hinein – wenn ihr mich hören wollt, dann ist das eure Sache, dann seid ihr auch gleich still…-
Sophistication nennt man das, lerne ich später, wie sie mit Nonchalance die Frechheit dieses Porter-Songs umschifft; ich wußte nicht einmal, wer Cole Porter ist, doch Unwissen schmälerte nicht das Vergnügen: I get no kick from champagne…dadadadam – I get a kick – out of you.
Viel später lerne ich: Cole Porter erzählt in diesem Song vom Champagner-Saufen und vom Koksen und wie es ist, mit drei Männern zu schlafen.
I get no kick from cocaine,
I think that if,
I took even one sniff…
…heißt jene Zeile, die in der falschesten und der verlogensten der Städte, in Las Vegas, Marlene so nicht singen durfte, obgleich im Publikum mancher saß, dem auf der Oberlippe ein Stäubchen seiner letzten Linie klebte.
Dem schwulen Noel Coward, dem Gerissenen, gelang der Coup, den Text nicht zu verraten, im Gegenteil, der wurde doppeldeutiger als man sich je erhoffen konnte: der schrieb ihn um für ihr Debüt und machte ihn für diese Hypokriten im Spielerparadies fast stubenrein. Und so singt sie zwanzig Jahre nach ihrem Las Vegas-Debüt, in diesem Londoner Konzert noch immer:
I think that smoking´s insane,
I think that if,
I took even one whiff…
All I seem to do
Is to break up the frame…
Vom Kiffen kann man so beim Tanztee unbeschadet singen und hat sich dennoch nicht verraten. Es ist, als ob in diesen Zeilen, die Quintessenz Marlenes läge: „Yet, I get a kick – out of you!“
Geliebt wird Unberührbarkeit
Das lerne ich: bewundert und geliebt wird nur ein kalter Stern und Contenance und Unberührbarkeit, ein Bild von Schönheit und von Glätte. Ein Lüster glitzernd aus Kristall und funkelnd – kein Mensch darf wissen, wie der Schliff geschieht, darf wissen wie viel Schweiß und Schmerz dahintersteckt, damit es leicht aussieht und schmerzlos. Kein Mensch will wissen, wie´s gemacht wird, denn wie´s darin aussieht, geht niemand was an.
Ist es ein Wunder, daß Marlene ein Lied von Richard Tauber singt, der selber so oft sang, es ginge niemand an, wie es darin aussieht? Nur kennt den heute keiner mehr, den Sänger, mit dem sie die Vergangenheit – ja, ihre auch – beschwört! Wenn sie den Namen Richard Tauber nennt, dann helfen die Claquere nach, damit das Publikum begeistert applaudiert.
Der Tauber war ein berühmter Tenor und sang in späten Lehar-Operetten, im „Land des Lächelns“ und „Guiditta“. Der sang von Haltung und von Schmerz, den man verbergen muß. Von außen muß es funkeln, leuchten, strahlen. Es steht in schmucker Uniform zur Nacht am Wolgastrand allein und einsam ein Soldat… Ein häßlicher Tenor, ein Jude, der emigrierte früh nach England. Und sang noch einmal nach dem Kriege, dem fehlte schon die halbe Lunge, so schön wie nie zuvor und starb, nicht alt, nach seiner letzten Operette.
Und wenn Marlene drauf besteht, das längst vergessene Lied von Stolz, das Tauber einst gesungen hat, bei jedem ihrer Abende zu singen, dann ist das Trotz und Trauer, und sie besteht darauf, daß es einmal den Glauben an die Liebe gab, die es selbst nicht gibt – und auch wenn ihre Stimme scheppernd bricht weil einige Passagen viel zu hoch für diese ihre Stimme sind, selbst dann schafft sie klirrend einen Lüster aus Kristall von Glanz, Vergangenheit und Schimmer und Splittern der Erinnerung…und lügt wunderschön, daß es etwas wie Liebe gäbe.
Frag nicht, warum ich gehe,
frag nicht warum,
was immer auch geschehe,
frag nicht warum.
Ich kann dir manches sagen.
Ich sag nur,
ich hab dich lieb,
das Schönste im Leben,
wollt ich dir geben.
Frag mich nur nicht das Eine,
frag nicht warum,
frag nicht, warum ich weine,
frag nicht warum.
Wir gehen auseinander,
morgen küßt dich ein andrer,
Dann wirst du nicht mehr fragen – warum…!
Das wurde Musik, die ich die meine nennen kann: Wehmut und Abschied, Cabaret und Doppeldeutigkeit, denn nach dem Schmerz kommt gleich die Ironie des Lächelns.
Das sind bloß Contenance und Raffinement. Das ist nichts weiter als luftige Jonglage mit Sprache und mit Stimme aus einer längst vergangenen Zeit.
All diese Hintergründe erlas ich mir erst viele Jahre später. Doch als ich die Dietrich zum ersten Male ihre Lieder singen höre – und ihre Lieder sind es, denn die gehören niemand anderem – versteh´ ich nicht, weshalb bei jenen Zeilen, bei denen ihre Stimme bricht – wir gehen auseinander – ich verschämt anfange zu weinen. Natürlich macht sie das ganz unvergleichlich dissonant: nur ein Moment, in dem die Stimme wegrutscht wie ein Schleier und Runzeln preisgibt im Gesicht – deshalb jedoch muß man nicht weinen. Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht… Die hat ihr Leben doch gelebt und lebt es immer noch…
Ich hätte mich nicht schämen sollen… Doch damals war ich erleichtert, daß mich die Familie nicht sah, denn mir war klar, sie dürfen meine Traurigkeit nicht sehen, sie könnten und wollten sie nie verstehen.
Die Narbe unter dem Kleid
Ein Mann mit einem Opernglas beäugt Marlene aus der ersten oder zweiten Reihe. Sie sieht ihn und sie unterbricht, was, wie ich weiß, sie nur ganz selten macht – improvisiert wird nicht! – tritt an den Rand der Bühne und weist auf diesen unverschämten Späher und schüttelt mit dem Kopf. „Sie sollten dieses Ding wegstecken, denn Sie zerstören sich damit nur jede Illusion…“
Später les ich: selbst das ist einstudiert; sie läßt sich nicht und ihrem Publikum die Träume und die Illusionen nehmen.
Das Publikum applaudiert und lacht, der Mann errötet und geniert sich mächtig und im Triumph kehrt Marlene zum Mikrophon zurück, stemmt ihre Hände in die Hüften, der Schwanenpelz umfließt das Tasselkleid: Now, here´s a song that´s typical of my Hollywood Movies.
“And when I die, don´t pay the preacher
For speaking of my glory and my fame.
Just see what the boys in the backroom will have,
Tell them I sighed
And tell them I cried
And tell them I died…
…of…
…the same!“
Unter dem Tasselkleid verborgen sieht man es nicht, das offene Bein, die Wunde; die holte sie sich beim Sturz in Chicago, da lagen die Kabel hinter der Bühne, ein Knäuel im Zwielicht, das räumt man der Dietrich doch aus dem Weg, sie aber stolperte böse und stürzte, das Tasselkleid riß und es riß die Haut überm Schienbein, Pailletten und Glasperlen spritzten über die Bohlen der Bühne ins Dunkel.
Das heilte nicht mehr, das Kleid ließ sich nähen, die Naht blieb verborgen unter Pailletten und Tropfen aus Glas wie die Narbe unter dem Tassel. Doch heilte die nicht, die troff und eiterte und näßte. Den Schmerz betäubten Champagner und Brandy, das goß sich durch die Adern und wärmte – das offene Bein aber wurde gekühlt: Eispäckchen mit Leukoplast geklebt um den Schenkel – das blieb versteckt unter dem Tassel, das durfte und sollte kein Mensch je sehen; es war, als funkelte an jenen Stellen, wo die offene, schwelende Wunde unter dem Kleid rötlich nässend mit den Päckchen von Eis betäubt und kalt blieb, das Meer von Pailletten und Glas umso schöner. Das waren die Beine der Dietrich, die zeigte sie damals im Blauen Engel einmal für immer, übereinander geschlagen in seidenen Strümpfen mit Straps auf dem Faß. Jetzt waren die offen, verwundet und eiternd – das durfte niemand erfahren – und wenn die Beine auch schmerzten, das sollte und durfte keiner erfahren – preußische Haltung und Funkeln und darüber der Pelz aus Daunen, Brustdaunen von Schwänen.
Und unter dem Haarteil verborgen, die Streifen von Mastix, die ziehen die alte Haut unter die Gaze mit dem eingeknüpften Blondhaar. Stramm das Gesicht so und straff – und Maquillage auf den Wangen, Max Factor sei Dank, die modelliert ihre Knochen slavisch hinauf und das Gesicht bleibt ganz glatt. Selbst noch am Hals die faltige Haut – die wird verborgen unter dem Straßband, Marlene darf sich nicht rühren im Licht, hält den Kopf gerade, sonst glänzte das Klebband, das ihr die schlaffe Haut in den Nacken hinaufzieht.
Maquillage, Perücken und Klebband, Stützkorsett, Bustier und das Licht von ganz oben, das Nordlicht – die schaffen noch immer Marlene, die zaubern das Alter, die Falten und Runzeln fort und sorgen für Haltung und Jugend. Was eitert unter dem Kleid, geht niemand was an!
An ihrem Todestag weinte ich des Nachts und schämte mich diesmal für meine Tränen nicht und salutierte ihr lässig in die Dunkelheit: Hier steht sie an den Marken ihres Lebens: die hat´s geschafft, die hat es überstanden.
Dieser Text ist ein bearbeiteter Ausschnitt aus einem bisher unveröffentlichten autobiographischen Roman.
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