#Breitscheidplatz: Der Terror ist bei mir angekommen

Ein LKW, ein schwarzer Koloss von Wagen, zerstörte von einem Moment auf den anderen die Vorweihnachtsidylle. Ohne Licht und mit 40 km/h riss er mittlerweile 12 Menschen in den Tod, viele weitere müssen noch um ihr Leben bangen.


Vor wenigen Tagen ging ich noch, wie viele andere, diese Strecke entlang über den Weihnachtsmarkt. Unzählige Male passierte und durchquerte ich ihn, schob mich durch die Menschenmengen vorbei in die U-Bahn oder in Richtung Ampel zum Bikini Berlin. Vielleicht mag es naiv klingen, doch ich hätte nie mit solch einem Ereignis an dem eher kleingehaltenen Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerechnet. Dort, wo das ganze Jahr über Fressbuden aufgestellt sind und sich Menschenmengen versammeln, Touristen auf Berliner treffen. Wo sich vom Frühjahr bis in den Herbst hinein selbsternannte Bands die Stimmbänder aus dem Halse singen und Breakdancer mit ihrem Rumgehampel Menschenkreise um sich bilden. Die Bedrohung scheint näher denn je, sie hat sich einen Zutritt in meinen persönlichen Umkreis geschaffen.

Mein Charlottenburg, meine City West.

Tweets, wie „Sollte sich ein Anschlag bestätigen: Die weltoffene Stadt Berlin lässt sich von niemandem einschüchtern!“ machen mich wütend, doch es bleibt kaum Zeit sich über diesen einen zu ärgern. Binnen kürzester Zeit beginnt auf Twitter ein Kleinkrieg zwischen AfD-Sympathisanten und den von ihnen kritisierten Gutmenschen. Meine Timeline füllt sich mit Retweets eines Bildes, das Sie sicherlich auch geteilt oder zumindest gesehen haben. „Wer nicht Schuld ist am #breitscheidplatz: Merkel, die Flüchtlinge, die Gutmenschen. Wer schuld ist: der, der den LKW fuhr.“ Der, der den LKW fuhr, war ein Flüchtling. Doch diese offensichtliche Relativierung des ach so oft geteilten Posts scheint viele nicht wirklich zu interessieren. Vielmehr geht es um „rechte Hetze“, die nun betrieben wird. Um die AfD, die sich „ekelhaft“ zum Drama äußert. Um „Hasstiraden“ all jener, die eben nicht zur Kategorie „Gutmensch“ gehören. Deutschland dürfe sich nun nicht in zwei Lager spalten, heißt es im ähnlichen Wortlaut auch von Lorenz Marold, Chefredakteur des Tagesspiegels. Auch die Zeit wirft mit großen Worten um sich, legt den Fokus auf die mögliche Gedankenspaltung Deutschlands, den proklamierten Hass, dem man doch entgegen wirken müsse. Stark muss man sein, der Angst und der Wut der „Hater“ mit Liebe begegnen. Große Worte – große Scheiße. Kurz vor Weihnachten wurde im Namen des Terrors ein klares Zeichen gesetzt. Parallelen zum Unglück in Nizza sind unverkennbar, die Abgebrühtheit, wie der Akt vollzogen wurde, macht einen sprachlos. Doch nein, darum geht es nicht. Es geht nicht um die Toten, um die Angst, um die Verletzten und den erschossenen polnischen LKW-Führer, der kaum noch irgendwo Erwähnung findet. Es geht mal wieder vielen um die Flüchtlinge. Ich kann es kaum erwarten Posts und Tweets zu lesen, die sich gegen das Wechseln des Profilbildes aussprechen „… da auf der ganzen Welt jeden Tag Menschen sterben…“.

Das nächste Mal wird der Rucksack gezündet.

Von so viel Solidarität kommt mir das Kotzen. Mitgefühl scheint im schwarz-weißen Deutschland für viele ein Fremdwort. Während manche beim Brexit oder Trump-Wahlsieg auf ihren Social Media-Kanälen den Trauerflor rausholten und ihren Status in einen Bottich Selbstmitleid warfen, scheinen genau diese Berufsdramatiker den Anschlag in Berlin gut wegzustecken. Ist es der neuentdeckte Selbsthass, für seine Mitmenschen kein Mitleid mehr empfinden zu können oder was läuft da gerade schief? „Hätten Terror-Poller das Unglück verhindern können?“ – sagen wir mal so, Poller schützen vor Selbstmordattentätern auch nicht. Das nächste Mal wird der Rucksack gezündet.

Ich bin Berliner, hier aufgewachsen, oft nicht zufrieden mit den Veränderungen, die die Stadt durchlebt. Auch kein Liebhaber der ganzen Buden auf dem Breitscheidplatz, ein Nörgler beim Durchqueren des Marktes. Ich würge jedes Mal wenn ich die Berlin „aus der Sicht der Zugezogenen“-Visualisierung der Morgenpost sehe.

Ich denke an die Menschen, die auf diese furchtbare Art und Weise ihr Leben lassen müssen und ich schäme mich auch nicht dafür, dass ich nicht um die Menschen in Aleppo weine. Ich bin kein Rechtspopulist, nur weil ich Mitgefühl mit den Menschen vom Breitscheidplatz habe.

Für viele dreht sich die Welt weiter. Terror, Gewalt, Angst gehört zur Normalität. Mit geschlossenen Augen lässt sich viel ertragen. Ich hoffe sehr, dass viele von ihnen die Scheuklappen auch mal abnehmen. Auch wenn es ihrem Weltbild wehtut.

Alissia Passia

Die gebürtige Berlinerin blieb bis heute der Hauptstadt treu, obwohl sie zu ihr eine gewisse Hassliebe pflegt. Kein Wunder, dass sie diesen inneren Konflikt auch gerne in ihrer Kolumne thematisiert. Passia hospitierte im Hause Axel Springer, wo sie ebenfalls nebenberuflich tätig war. Seit 2006 ist sie im Bereich Werbetext für verschiedene namhafte Agenturen, wie Jung von Matt oder BBDO, tätig. Sie konzipierte ebenfalls mehrjährig auf Kundenseite und zuletzt in der Berliner Agentur für digitale Transformation. Dem Digitalen bleibt Passia auch zukünftig treu und macht "irgendwas mit Medien".

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