Treten Sie zurück!
Die Berliner Staatsanwaltschaft stieß auf das Unverständnis der B.Z., weil sie nach einem Tatverdächtigen, der seine Frau mit sechs Messerstichen in die Brust verletzte, nicht wegen versuchten Mordes fahndet, sondern nur wegen gefährlicher Körperverletzung. Wie kann es dazu kommen?
„Warum sind sechs Stiche in die Brust kein Mordversuch?“ titelte die B.Z. am 10.12.2016.
Der Sachverhalt ist recht übersichtlich. Ein Mann sticht sechsmal auf seine Frau ein, sagt dann aber den Nachbarn Bescheid und haut ab. Die Nachbarn rufen einen Notarzt. Die Frau lebt, liegt aber im Koma. Die Polizei fahndet wegen gefährlicher Körperverletzung nach dem Tatverdächtigen. Als die Tatsache bekannt wird, dass die Polizei nicht wegen Mordes fahndet, macht sich Empörung in den sozialen Netzwerken breit und es wird wieder mal gemutmaßt, die Polizei wolle etwas verharmlosen. Das kennt man schon.
Dabei ist das völlig in Ordnung und die B.Z. hat den Grund „Rücktritt vom Versuch“ auch schon genannt. Dennoch ist das Verständnis für diese Regelung offenbar kaum bis gar nicht vorhanden, was möglichweise auch damit zusammenhängen mag, dass der mutmaßliche Täter als Mehmet benannt wurde.
Aber der Reihe nach. Wer mit Tötungsabsicht mit einem Messer auf den Brustkorb eines anderen Menschen einsticht, der will in der Regel töten. Wenn er zusätzlich noch ein Mordmerkmal erfüllt, also aus Habgier, Mordlust, zur Verdeckung einer anderen Straftat, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, heimtückisch, grausam oder aus anderen niederen Beweggründen handelt, dann will er sogar morden. Warum wird der Mann dann nicht als mutmaßlicher Mörder verfolgt?
Na, zunächst mal wird er nicht als Mörder verfolgt, weil sein Opfer noch lebt. Ein vollendeter Mord setzt nun mal eine Leiche voraus. Koma ist zwar fast noch schlimmer, doch eben nicht tot.
Aber warum wird er nicht wenigstens wegen eines Mordversuches beschuldigt?
Die einfache Antwort ergibt sich aus dem Gesetz, dessen Lektüre meistens die Rechtsfindung erheblich erleichtert: Weil er freiwillig von seinem Mordversuch zurückgetreten ist!
In § 24 StGB ist das so geregelt:
§ 24 StGB – Rücktritt
(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.
(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.
Warum hat der Gesetzgeber so etwas gemacht? Da streiten sich die Rechtsgelehrten schon längere Zeit. Eine Meinung zur Begründung der Rücktrittsregel, war die Lehre von der „goldenen Brücke“. Dem Täter, der sich mit seiner Tat schon mitten im Versuch befindet, soll ein Anreiz gegeben werden, doch noch von seiner Tat abzukommen. Das rettet dem Opfer vielleicht das Leben. Da allerdings – wie man sieht – kaum jemand die Vorschrift überhaupt kennt und der Täter vermutlich beim Rücktritt daran als Letztes denkt, ist diese Theorie mehr ein frommer Wunsch als eine gute Begründung.
Keine Gnade
Eine andere, die sogenannte „Gnadentheorie“ begründet die Straffreiheit beim Rücktritt damit, dass der Täter dafür belohnt werden solle, dass er ein „verdienstliches“ Verhalten an den Tag gelegt habe. Immerhin ein schönes kaum noch verwendetes Wort.
Wer rechtzeitig aufgibt oder tätige Reue übt, der erweckt die Hoffnung, daß man sich in Zukunft keiner Übeltat von ihm zu versehen habe, und er wiegt das Gewicht des Schuldvorwurfs, der ihn trifft, bis zu einem gewissen Grade wenigstens durch ein Gegengewicht verdienstlichen Handelns auf. Und deshalb erscheint es angebracht, ihn mit Strafe zu verschonen, das heißt: ihm Gnade zu gewähren (so Bockelmann NJW 1955, 1420)
Tatsächlich hat das mit Gnade allerdings rein gar nichts zu tun. Gnadenerlasse setzen nämlich voraus, dass jemand zunächst einmal zu einer Strafe verurteilt wird, die man ihm dann gnadehalber erlassen kann. Beim Rücktritt vom Versuch entfällt aber die Strafbarkeit der abgebrochenen Handlung komplett, d.h. es gibt überhaupt keine Strafe. Und ohne Strafe kann es keine Gnade geben.
Für das Gute
Richtiger scheint da die „Strafzwecktheorie“ zu sein. Die sieht den Grund für den Wegfall der Strafe beim Rücktritt darin, dass bei einem freiwilligen Rücktritt die Bestrafung des Täters zur Erreichung der Aufgaben des Strafrechts gar nicht mehr notwendig ist. Durch den freiwilligen Rücktritt hat der Täter gezeigt, dass er aus eigenem Antrieb zur Legalität zurückgekehrt ist und sein ursprünglich krimineller Wille nicht stark genug zur Durchführung des Verbrechens war. Er war zwar in Versuchung das Böse zu tun und hat damit auch bereits begonnen, dann aber noch die Kurve bekommen und sich letztlich freiwillig für das Gute entschieden. Damit hat er selbst das erreicht, was vom Strafrecht erreicht weren soll. Eine Rückkehr zu rechtmäßigem Verhalten. Der Zweck der Strafe ist damit entfallen. Dass der Gesetzgeber den seine Tat bzw. deren Erfolg selbst verhindernden Täter mit Straffreiheit belohnt, dient tatsächlich vor allem auch dem Opfer. Vielleicht sollte man unter diesem Gesichtspunkt diese spezielle Möglichkeit der Straffreiheit dann doch einmal allgemein bekannter machen. Eine Kampagne „Es ist selten zu spät“, „Kehrt um“ oder was in der Art.
Freiwillig
Wichtigste Voraussetzung dafür, dass diese totale Straffreiheit eintritt, ist die Freiwilligkeit des Rücktritts. Wer seinen Versuch nur beendet, weil er durch äußere Umstände dazu gezwungen wird, hat keine Straffreiheit verdient.
Steht also bereits das SEK mit schussbereiten Waffen vor dem Täter und fordert ihn auf, seine Waffe fallen zu lassen, weil man ihm sonst die Birne wegballert, dann ist das nicht mehr so richtig freiwillig. Auch nicht freiwillig ist der Rücktritt des Einbrechers, der nach Überwinden der Balkontür von einem freundliche Dobermann mit vorfreudigem Knurren empfangen wird oder der von schrillem Alarmton und Flutlicht erschreckt wird und sich ertappt fühlt. Auch der Brandstifter, der nur aufgibt, weil seine Zündhölzer nass geworden sind, tritt nicht freiwillig zurück.
Außerdem muss – jedenfalls grundsätzlich – der mit der Tat angestrebte Erfolg verhindert werden. Der schönste Rücktritt hilft nichts, wenn das Opfer trotzdem tot ist.
Zunächst muss man beim Rücktritt vom Versuch noch unterscheiden, ob es sich um einen beendeten oder um einen unbeendeten Versuch handelt. Davon hängt nämlich ab, was der Täter tun muss.
Beim unbeendeten Versuch richten sich die Voraussetzungen nach § 24 I 1, 1. Alt StGB. Der Täter muss dann nur die weitere Ausführung der Tat aufgeben. Er muss also gar nichts tun. Nimmt der Täter freiwillig Abstand von der weiteren Tatausführung, kann er strafbefreiend zurücktreten.
Ein Mann will seine Frau töten, indem er sie von hinten mit einem Beil erschlägt. Sein Plan, ihr das Beil in den Kopf zu schlagen, scheitert, da die Frau sich plötzlich wegdreht. Obwohl er erneut zuschlagen könnte, gibt er seinen Plan auf und sagt, um das Beil in seiner Hand zu erklären, dass er noch etwas Brennholz für einen gemütlichen Kaminabend hacken will. Der beginn eines netten Abends zu zweit.
Ist der Versuch beendet, greift § 24 I 1, 2. Alt. StGB. Der Täter muss dann die Vollendung der Tat verhindern. Der Rücktritt ist nur noch durch aktives Handeln möglich, nicht mehr durch bloßes Nichtstun.
Eine Frau hatte in einem Streit mit ihrem Lebensgefährten, der gerade beim Abendessen ihren kleinen Hund – so ein Handtaschenvieh, bei dem man nicht weiß, ob es überhaupt Beine hat oder an der Tasche festgewachsen ist – an die Wand geworfen hatte, zum Brotmesser gegriffen und dieses voller Wut in den Brustkorb des Mannes gestoßen. In dem Moment, wo sie das getan hat, tat ihr ihre Tat schon leid und sie rief sofort den Notarzt. Der Lebensgefährte konnte mit einer Notoperation gerettet werden. In diesem Fall war der Versuch des Totschlags bereits beendet und der Mann wäre unweigerlich verblutet, wenn die Frau nicht sofort den Notarzt verständigt hätte. Damit war sie wirksam vom versuchten Totschlag zurückgetreten und wurde nur noch wegen der verbliebenen Körperverletzung mit einer milden Strafe belegt. Zum Hauptverhandlungstermin erschienen die beiden als Eheleute. Eine herzige Entwicklung.
Auch wenn der ein oder andere das wieder nicht verstehen mag, die Strafbefreiung beim Rücktritt vom Versuch ist eine sinnvolle Regelung. Und jedem angehenden Lebenslänglichen kann man nur zurufen: Treten Sie zurück! Es lohnt sich.
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