Rechte Opposition: Zur Krise des Parteiensystems

Schuld am Aufkommen und Erstarken der rechten Opposition hat nicht zuerst Angela Merkel, sondern vielmehr ein virulenter Unwillen in beiden Volksparteien, sich im Falle einer Wahlniederlage selbst auf die Oppositionsbank zu begeben. Solange sich daran nichts ändert, bleiben alle Ankündigungen von SPD und Union, die Auseinandersetzung mit der AfD suchen zu wollen, unglaubwürdige Lippenbekenntnisse.


Der ohnehin bedauernswerte Sprecher der Parteilinken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, musste neulich im Deutschlandfunk erklären, warum Sigmar Gabriel mit „Obergrenze“ etwas ganz anderes meint als Horst Seehofer. Irgendwie das Gleiche aber doch verschieden. Das hatte bereits etwas von der mit Blick auf den Bundestagswahlkampf sich anbahnenden Einheitsformel: Alle sind für innere und soziale Sicherheit, bloß halt jeder anders und viel besser natürlich.

Aber SPD und Union können unbesorgt auf demselben Gemeinplatz herumreiten, ohne etwas zu riskieren. Denn wie die Wahl ausgeht, steht bereits fest. Angela Merkel wird als Kanzlerin ein bürgerlich-progressives Bündnis anführen, entweder mit Sozialdemokraten oder Grünen. Wie dabei die AfD abschneidet, ist nur relevant, wenn sie mit der LINKEn zusammen so viele Stimmen erreicht, dass beide, wie um ein Haar bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt geschehen, alles blockieren können. Ein solches Szenario geben die Prognosen für den Bund bislang zwar nicht her. Was allerdings im Falle einer Neuauflage der Großen Koalition nach der Bundestagswahl 2017 geschieht, steht auf einem anderen Papier.

Das Parteiensystem zwischen Stabilität und Demokratiedefizit

Das Parteiensystem der Bundesrepublik in seiner aktuellen Gestalt ist so gesehen buchstäblich alternativlos geworden. Das wiederum lässt sich auf zwei Arten lesen: Entweder ist diese Alternativlosigkeit ein Stabilitätsfaktor und also Garant regierungsfähiger Mehrheiten, oder aber die Alternativlosigkeit steht für ein veritables Demokratiedefizit, mithin eine Krise des Systems selbst. Wenn es sich tatsächlich um ein systemisches Problem handeln sollte, dann ist die dadurch drohende Gefahr für Friede, Freiheit und Wohlstand – Weimar lässt grüßen – mindestens so groß wie bei der Schuldenkrise oder eben der Flüchtlingskrise.

Mag die Grenzöffnung nun Fluch oder Segen gewesen sein. Für die Systemkrise in der Parteienlandschaft kann man den Vorwurf schwerlich Angela Merkel alleine machen. Denn die Deutschen neigen nun einmal mehrheitlich zu einem Verständnis von Alternativlosigkeit als Inbegriff von Kontinuität und Verlässlichkeit. Merkels ebenso unaufgeregtes wie entpolitisiertes Management in Europa und der Welt genießt den meisten Zuspruch.

Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag von N24 stehen 58% der Deutschen hinter Angela Merkel als Kanzlerin. Dem jüngstem Deutschlandtrend zufolge wollten 46% eine schwarz-grüne Bundesregierung und 45% eine große Koalition. Rot-Rot-Grün, also ein klar ausgerichtet linksprogressives Bündnis, wollen nur 31% Prozent. Weiteres steht nicht zur Disposition. Weder die Christdemokraten noch die Sozialdemokraten sind also in der Lage, ohne den überparteilichen Merkel-Faktor solide Mehrheiten zu organisieren.

Alternativlosigkeit ist der Motor der Systemkritik

Der Status Quo bietet somit nur Optionen, welches Mitte-Links-Bündnis man bevorzugt. Eine Alternative zu einer bürgerlich-progressiven Regierung gibt es nicht. Dass so ein Regime un-ab-wählbarer „Merkel-Koalitionen“ bei gewissen Teilen der Bevölkerung Skepsis auslösen muss, kann zumindest niemanden ernsthaft überraschen.

Zudem ist diese Skepsis älter als die Flüchtlingskrise. Alles was da spätestens seit der Europawahl 2014 im systemkritischen, vornehmlich rechten Bullshit-Äther kursiert, wonach Angela Merkel in Deutschland höchstpersönlich eine politisch korrekte DDR zu installieren sucht mit gleichgeschalteten Medien, Umvolkung und dem ganzen Pi-Pa-Po, trägt diesen einen minimalen rationalen Kern in sich, der mit Flüchtlingen erstmal nichts zu tun hat: Es gibt keine echte Wahl mehr bei der Wahl, stattdessen wird die Herrschaft der Regierung Merkel solange perpetuiert, wie die Kanzlerin selbst es wünscht.

Die politisch wirkmächtigen Eliten, sofern sie sich durch strategische Reflektion und Argumentation erreichen lassen, werden sich jenseits der Flüchtlingsdebatte oder angenehmer Stabilitätsprämissen zu dieser Abstraktion durchringen müssen. Das eigentliche Problem, wenn man für einen Moment von der Aufregung um „Neue Rechte“ und „Linken Mainstream“ absehen möchte, ist der wohlbekannte Umstand, dass mit der AfD bald eine zweite systemkritische Partei neben der LINKEn dem Bundestag angehören wird, was natürliche Bündnisse wie rot-grün oder schwarz-gelb endgültig unmöglich machen wird. Eine solche Blockade führt dazu, dass unnatürliche Bündnisse wie die große Koalition zum Regelfall werden, was wiederum die Existenzberechtigung der systemkritischen Ränder stärkt und letztlich zu einer geradezu fatalen Vertiefung der Krise führt.

Welchem Lager man auch angehört, diesen banalen Mechanismus wird niemand leugnen können. Wer also mit langfristigem Blick über die Bundestagswahl 2017 hinaus einem parlamentarischen Patt zuvorkommen will, muss bereits die heutige Ausgangskonstellation durchbrechen wollen.

Internationalismus oder Verwaltung des Status Quo

„Alle im Hohen Haus sind sich in einem einig: Die große Koalition muss endlich beendet werden“, stellte ausgerechnet Dietmar Bartsch in der Generaldebatte im Bundestag fest. Kein Wunder aber, gehört er doch zu den Pragmatikern, welche die LINKE in eine rot-rot-grüne Bundesregierung führen wollen. Wofür müsste eine solche Formation bei der Bundestagswahl stehen, außer freilich für „soziale und innere Sicherheit – nur anders“?

Da die „Flüchtlingskrise“ wohl oder übel das bestimmende Thema bleiben wird, müsste ein links-progressives Bündnis unter der Führung der SPD mit der internationalen Solidarität ernst machen. Das hieße, die Öffnung der Balkanroute und ein Ende der Abschiebung in die Türkei fordern sowie sich stattdessen für sicheren Transit über das Mittelmeer und unbegrenzte Aufnahme von Migranten in Deutschland einsetzen. Dazu ist selbstverständlich die Abschaffung der Schuldenbremse erforderlich, einhergehend mit einem gigantischen Investitionspaket für Integration als wirtschaftspolitischem und demographischem Stimulus.

Die Konservativen unter der Führung von Angela Merkel würden dagegen, wie es sich für Konservative eben ziemt, den Status Quo verteidigen: Weitestgehende Schließung der EU-Außengrenzen bei gleichzeitigem Vorantreiben von Rückführungsabkommen mit sicheren Drittsaaten. Das wird flankiert von einem möglichst budgetneutralen Ausbau von Polizei, Geheimdienst und Bundeswehr. Über allem steht schließlich die schwarze Null als Grundlage wirtschaftlicher und fiskalischer Solidität in Deutschland und Europa. Die Union müsste unter ihrer Spitzenkandidatin alles auf diese Karte setzen und versuchen, sich gegen ein links-progressives Bündnis einerseits und die neurechte Graswurzelbewegung um die AfD andererseits durchzusetzen. Oder eben den bitteren Gang in die Opposition antreten. Wer Wahlen wirklich für sich entscheiden will, muss eben auch Niederlagen riskieren.

Mut zur Opposition fordern!

Das Volk als Souverän befindet dann, was das Richtige für Deutschland ist: Sprung in den Internationalismus oder pragmatisches Verwalten des Status Quo. Solange aber eine Gabriel-Obergrenze keine Seehofer-Obergrenze sein soll, besteht wenig Hoffnung, dass die „großen“ Volksparteien bald aufhören werden, den Wählern den schwarzen Peter für ihr eigenes, profilloses Kleben an der Macht zuzuschieben.

Das Gerede von einem Schulterschluss aller demokratischen Kräfte lenkt dabei nur davon ab, dass es die Mandatsbewerber sind, die im politischen Wettbewerb versagen und dafür die Verantwortung nicht tragen möchten. Wer gewinnen will, muss auch etwas wagen. Genau das sollten die Wähler von ihren Volksvertretern einfordern.

Andernfalls werden Hasardeure und Schwärmer weiterhin vom Frust über eine politische Klasse profitieren, die ihre Scheu vor jedwedem Risiko als Dienst an der Demokratie ausgibt.

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Philipp Mauch

Philipp Mauch ist von Berufs wegen Stratege für Regulierungsmanagement in der Konsumgüterindustrie. Als Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung hat er über Nietzsche promoviert – eine Kombination, die er als Ausweis seines liberal-konservativen Nonkonformismus verstanden wissen möchte. In seinem Blog „Variationen der Alternativlosigkeit“ grübelt er über Deutschlands politische Kultur.

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