Castro – Der Überlebende

Kuba kritisieren? Und das zum 90. Geburtstag Castros? Gastautorin Susann Klossek hat es versucht. Viva la revolución?


Pünktlich zum 90. von Comandante en Jefe Fidel Alejandro Castro Ruz am 13. August wehte mir letzten Samstag auf Facebook eine Meldung der Seite Kuba Infos ins Haus. Der Post besagter Seite wurde mittlerweile 654 Mal geteilt und von 2541 Personen geliked. Zudem gibt es massenhaft Kommentare von Leuten, die dem alten Haudegen zum Geburtstag gratulieren und in höchsten Tönen seine Verdienste für die Menschheit loben, die Revolution preisen und sich den Sozialismus zurückwünschen. Kritische Kommentare sucht man allerdings vergebens. Die werden, wie ich am eigenen Leib erfuhr, einfach beseitigt. Kommentieren oder (dis)liken von Kommentaren ist nicht möglich. Ein kurzes DDR-Déjàvu flatterte mir im Geist herum: Die Partei, die Partei, die hat immer Recht. Viel scheint sich nicht geändert zu haben seit 89.

Viva la revolución?

Meine ausführlichen Anmerkungen zur Lage in Kuba standen keine 10 Minuten online, da warn se auch schon wieder weg. Wie meine Klamotten, die mir das kubanische Volk bei meiner zweiten, langen Reise vor Ort damals, markenverliebt wie sie nun mal sind, aus den Händen riss oder klaute. Stattdessen erhielt ich von Kuba Info eine Nachricht mit folgendem Wortlaut: Unterbelichteter Kommentar, bei dem 90% falsch ist was du plapperst…und deshalb: TSCHÜSS!!! Nun, immerhin gestand man mir 10 Prozent Richtigkeit zu. Wahrscheinlich, dass ich Castro richtig schrieb. Und ihn nicht als el comandante betitelte, wie ja eigentlich sein Busenfreund Che gemeinhin genannt wird. Auch so eine fragwürdige Figur im großen Weltpolitik-Schmierentheater. Viva la revolución? Scheiß doch der Hund drauf. In Havanna stehen Streuner übrigens unter staatlichem Schutz. Sie erhalten Unterschlupf und Futter und man hält ihnen die Hundefänger vom Leib. Menschen haben da oft weniger Glück.

Da wurde also einem Mann gratuliert, der tausende politische Gegner hinrichten ließ und der noch immer Andersdenkende, Regimekritiker und Dissidenten wegsperren läßt. Der an der Spitze eines Landes steht, wo Homosexuelle und HIV-Infizierte als „soziale Abweichler“ gelten und verfolgt werden. Halb Kuba prostituiert sich. Weil irgendwie muss ja Kohle reinkommen und der gemeine Westler ist in der Regel willig. Eine Insel, inmitten der Karibik, die blühen könnte, wie keine andere, auf der aber die Landwirtschaft mit einer Zuckerrohr-Monokultur auf Jahrzehnte zerstört wurde und auf der die Infrastruktur, insofern vorhanden, restlos kaputt ist. Wo Menschen in Häusern hausen müssen, die jeden Moment in sich zusammenzufallen drohen und das auch hin und wieder tun. Wo es, vor allem auf dem Land, manche Tage nix zu fressen gibt und zum Teil weder Strom noch Wasser vorhanden sind.

Der Alltag ist von Mangelwirtschaft geprägt, wobei man den Begriff Wirtschaft gut und gern streichen kann. Devisen sind alles, was zählt und funktioniert. Wer keine hat, hat verloren. Ohne die Dollars der Exilkubaner wäre höchstwahrscheinlich alles schon komplett zusammengebrochen. Zum Glück gibt Musik, Rum, Zigaretten und das Meer: Die vier Stützpfeiler des Kubaners. Dann fährt er in einem klapprigen Lada an den Ozean. Allerdings nicht dorthin, wo westliche Touristen in 5-Sterne-Hotels von der Romantik der Revolution träumen, denn dort hat der gemeine Kubaner keinen Zutritt.

Ein perfides Spitzelsystem

Bürger bespitzeln Bürger, jeder ist Auge und Ohr der Partei, Bürger bejubeln vergreiste, unbelehrbare Parteibonzen, weil sie, wenn sie es nicht täten, schnell mal von der Bildfläche verschwinden würden. Und weil über 60 Jahre Propaganda ihre Wirkung erzielt hat. Andere Meinungen werden nicht zugelassen, wer Kritik übt, läuft Gefahr, mundtot gemacht zu werden. Die Indoktrinierung beginnt im Kindesalter, ein Ausscheren aus dem perfiden System kaum möglich. Es leben die Comités de Defensa de la Revolución.

Da trauern nun ein paar verirrte Wohlstands-Revoluzzer einem System nach, wo auch heute noch den Arbeitern, viele sind es ja nicht, die einen Job haben, aus dem Propagandablatt Granma vorgelesen wird, um das Volk auf Linie zu halten. Schön, als die Granma noch eine Yacht war, auf der einst Castro und seine Revolutions-Spezis im Dezember 1956 auf Kuba landeten. Schön auch, wenn die Jolle damals untergegangen wäre. Genauso wie viele der Autoreifen und maroden Kutter, auf denen Kubaner in den letzten Jahrzehnten gen Miami flüchten wollten. Gut, Batista musste weg. Was danach kam, hätte aber besser auch nicht stattgefunden.

In Kuba herrscht parallel neben der sozialistischen Planwirtschaft, die ja bekanntlich nur zu einem Ziel führt, nämlich ins absolute Desaster, ein kapitalistisches Warenwirtschaftssystem. Der Schwarzmarkt boomt. Die Gratulanten wünschen sich tatsächlich ein System einer Diktatur zurück, wo noch heute Plakate mit Slogans wie „Socialismo o muerte“ an den bröckligen Wänden kleben. Ich für meinen Teil würde da fürs Erste den Sozialismus auch dem Tod vorziehen. Apropos Sozialismus und Tod. Genau das ist ersterer – tot. Mausetot. Ausser Kuba, Venezuela, Nordkorea und ein paar Salonlinke unserer Breitengrade, die wie die Made im Speck in jener Gesellschaft leben, die sie so widerwärtig und bekämpfenswert finden, hat das jeder kapiert. Auch wenn die Grundidee von Marx & Co.s‘ Utopie nicht verkehrt ist. Leider wurde bei dieser Theorie der Mensch vergessen. Hat der erstmal die Macht gewittert und erlangt, dann gute Nacht. Das haben ja sämtliche Sozialismus/Kommunismus-Versuche weltweit bewiesen. Es gibt keine klassenlose Gesellschaft, es gibt keine Gleichheit. Der Mensch ist dafür einfach (noch) nicht reif.

Natürlich öffnet sich Kuba mittlerweile ein wenig und werden beispielsweise kleine, eigene Geschäfte offiziell erlaubt. Das ist allerdings sicher nicht Fidel Castros Verdienst. Allenfalls das seines Bruders Raúl, ansatzweise. Und ja, die Analphabetenrate ist niedrig, ebenso die Kindersterblichkeit. Diese ist geringer als beispielsweise in den USA. Dass es dort an vielen Orten nicht besser ist, nur anders schrecklich, ist auch klar. Und ja, die medizinische Betreuung auf Kuba ist besser als in vielen anderen Ländern. Gut ist sie deshalb noch lange nicht, denn es fehlt an allem. Und klar, auch der Kapitalismus fordert seine Opfer. Aber: Die Demokratie ist bei weitem noch immer die beste Gesellschaftsform, die wir haben. Doch davon ist Kuba noch weit entfernt. Stattdessen faselt Kuba Info vom weiteren Aufbau einer nachhaltigen und erfolgreichen sozialistischen Gesellschaft. Nachhaltig, erfolgreich und Sozialismus: Begriffe, die einander ausschließen.

Er lebt noch

Eins muss man dem ollen Máximo Líder allerdings lassen: Er ist nicht totzukriegen. Er hat CIA- und Exilkubaner-Anschläge, die Invasion in der Schweinebucht, JFK, die Abkehr des grossen Bruders Sowjetunion, den Zusammenbruch des Ostblocks (Glasnost, Perestroika, alles hat er abgeschmettert), mehr als 10 US-Präsidenten er- und zum Teil überlebt und mehr als 50 Jahre Embargo, und Obamas Lockerung desselben überstanden und wird uns am Ende noch alle überleben. Frei ist die Insel deshalb noch lange nicht.

Während der gemeine Kubaner weiterhin von Reisen in ferne Länder, freien Wahlen, Meinungsfreiheit und individueller Verwirklichung oder auch nur mal einem fetten 5-Gänge-Menü, Nike-Turnschuhen und einer Wohnung, in die es nicht reinregnet träumt, hat sich Fidel schon lange zurückgezogen und zählt (meine Yacht, meine private Insel, mein Basketballplatz…) kichernd seine Millionen. Zur öffentlichen Geburtstagfeier erschien er übrigens in einer Jacke von Puma. Einst schrieb er ein Buch mit dem Titel: Die Geschichte wird mich freisprechen. Was zu bezweifeln wäre.

 

Nachtrag:
Ich hatte übrigens mal einen kubanischen Freund, mit dem ich mehrere Wochen durch Kuba tingelte. Direkt am Volk. H. war brennender Castro-Anhänger. Neben seinen täglichen te quieros säuselte er mir jeden 2. Tag ein viva socialismo! ins Ohr und beschimpfte mich als Kapitalistenschlampe. Ich besorgte unter grössten Anstrengungen das Essen, bekochte ihn und seine Sippe, die täglich auf wundersame Weise um weitere arbeitslose Musiker, Schwarztaxi fahrende Akademiker und Alkoholiker anwuchs. Ich fuhr das Auto. Ich zahlte. Alles. Immer. Er rauchte, trank, wartete und tat nichts. Er war ein bisschen Liebhaber und ein bisschen Zuhälter.

Susann Klossek

Susann Klossek wurde 1966 in Leipzig geboren und lebt und arbeitet heute in Zürich. Sie studierte Germanistik und Slawistik und wechselte später in die Wirtschaft. Seit 16 Jahren ist sie als Redaktorin und Produzentin für verschiedene Medien, sowie für das Schweizer Fernsehen tätig. 2003 erschien "Nichts und wieder Nichts" (Lyrik), 2005 "Männer" (Shortstories), 2006 "Berührung im Dickicht" (Lyrik), 2008 "Besser dümpeln – Kleiner Ratgeber zur Lebens(ver)planung" (Zeichnungen und Texte), 2008 "Tropenfieber – Geschichten aus der Fremde" (Reisereportagen), 2010 "desperate mousewife - Wollen Sie die Datei Karriere wirklich löschen?" (Roman), 2013 "Der letzte grosse Bluff" (51 Kurze) und dieses Frühjahr das Roadpoem “Pferde wetten nicht auf Menschen”. Zudem hat Sie in diversen Anthologien sowie Literatur- und Kunstzeitschriften veröffentlicht und ist auch bildende Künstlerin unterwegs. Diesen Sommer gewann sie eine Ausschreibung der Kultur der Stadt Zürich, Ressort Literatur, für ein dreimonatiges Arbeitsstipendium in Varanasi, Indien. Unter dem Titel "Nachrichten aus dem beschädigten Ich" schreibt sie einen Blog: http://nichtsundwiedernichts.blogspot.com/ http://www.susann-klossek.ch/

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