Mario und das dritte Bein

Nach drei verlorenen Jahren beim FC Bayern München kehrt Mario Götze heim nach Dortmund. Ob sich die Karriere zum Guten wendet, hängt zum einen von Trainer Thomas Tuchel ab, vor allem aber von der Willenskraft des Spielers selbst. Denn auch bei der Borussia ist der Konkurrenzdruck hoch.


Wenn der Kopf funktioniert, ist er das dritte Bein, hat Christoph Daum einmal philosophiert. Sollte an dieser Weisheit etwas dran sein, dann ist Mario Götze spätestens seit seinem Wechsel zum FC Bayern München lediglich auf zwei Beinen unterwegs. Die Heimkehr zur alten Liebe Borussia Dortmund soll den Instinktfußballer zurück auf die Erfolgsspur führen. Aber nicht nur in Beziehungsfragen sind aufgewärmte Amouren selten erfolgreich. So konnten etwa Shinji Kagawa und Nuri Sahin seit ihrer Rückkehr zum BVB nur selten an frühere Leistungen anknüpfen.

Bei Götze ist die Erwartungshaltung exponentiell größer als bei seinen vorgenannten alten und neuen Vereinskameraden. Unter anderem muss der Weltmeister gegen die Vorbehalte vieler Borussen-Fans ankämpfen, die ihrem einstigen Idol den Wechsel zum großen Konkurrenten nie verziehen haben. Auch hatte der Zeitpunkt, zu dem der Transfer bekannt wurde, also unmittelbar vor dem deutsch-deutschen Champions League Finale zwischen den Westfalen und den Bayern im Mai 2013, für manchen BVBler mehr als nur ein Geschmäckle. Um es in der Pokersprache zu sagen: Götze geht mit seinem Wechsel zurück in den Westen all in.

Götze geht all in

Man muss kein BVB- oder Götze-Fan sein (was ich als Anhänger von Eintracht Frankfurt auch nicht bin), um der Aktion dennoch Erfolg zu wünschen. Zum einen haben die Dortmunder mit Hummels, Mykhitaryan und Güdogan drei Leistungsträger verloren, kein Club der Welt ersetzt solche Granaten aus dem Stand. Wer zumindest auf ein wenig Spannung in der Bundesliga hofft, der muss darauf bauen, dass die Schwarz-Gelben ein wettbewerbsfähiges Team zusammen bekommen. Den anderen besser gestellten Teams der Liga – egal, ob Leverkusen, Schalke oder Mönchengladbach – traut man eher nicht zu, dass sie den Bayern ernsthaft Paroli können. Und dem überehrgeizigen Klasseneuling RB Leipzig, der mit österreichischen Brause-Millionen und den Retortenrezepten von Fußball-Professor Ralf Rangnick den Laden aufmischen will, wünscht man es einfach nicht. Also bleiben die Dortmunder.

Und dann ist da noch Götze selbst. Als ich ihn das erste Mal spielen sah, war dies für mich eine Art Erweckungserlebnis. Ich bin zu jung, um einen Beckenbauer oder Netzer noch live Spielen gesehen zu haben. Aber den jungen Littbarski, den jungen Häßler oder den jungen Möller stellte der junge Mario in meinen Augen klar in den Schatten. So genial, torgefährlich und trickreich war er. Nie zuvor hatte ich ein deutsches Talent als so stark empfunden.

Viele Talente beim FC Bayern gescheitert

Während seiner gesamten Zeit in Dortmund konnte mich Götze überzeugen. In ihm sah ich schon eine Art deutschen Messi, bis er schließlich nach München ging. Beim bayerischen Großclub endeten schon andere Talente in der Sackgasse. Auch Lukas Podolski, Andreas Herzog und jetzt auch Sebastian Rode, den ich bei Eintracht Frankfurt mehrmals überragend gesehen habe, konnten sich nicht an der Säbener Straße durchsetzen. Und die Liste kann beliebig verlängert werden. Zumindest von B wie Edson Braafheid bis V wie Adolfo Valencia. Es ist halt etwas anderes, wenn man in einem kleineren Team der gefragte Star ist, als in einer Mannschaft voller Stars nur unter ferner liefen zu laufen. Andererseits: Echte Typen wie Matthäus, Effenberg oder Schweinsteiger krönten in München ihre Karrieren. Eher sensiblere Fußballkünstler, zu denen Götze wohl zählt, brauchen dagegen eine Wohlfühlatmosphäre, die es im Haifischbecken von Weltclubs wie eben dem FC Bayern, aber auch bei Real Madrid oder dem FC Barcelona nicht gibt.

Ein prominentes Beispiel ist Juan Roman Riquelme. Der Argentinier, 2001 Südamerikas Fußballer des Jahres, galt als der vielleicht beste Techniker seiner Zeit. Nachdem er in seinem Land und auf seinem Kontinent alle möglichen Titel gewonnen hatte, wechselte er vom Rio de la Plata nach Barcelona. Verletzungen und Formkrisen ließen Riquelmes Jahre in Katalonien zum Misserfolg werden. Dann ging er nach Villareal, eine spanische Provinzstadt mit nur 50.000 Einwohnern. Dieser Transfer war ein Glücksfall für den Argentinier. Denn dort trainierte ihn Manuel Pellegrini, ein feinsinniger Ingenieur aus Chile, der bekannt ist für seine Menschenführung. Gemeinsam führten Riquelme und Pellegrini den FC Villareal zu seinen größten Erfolgen, unter anderem ins Halbfinale der Champions League.

Viel hängt an Thomas Tuchel

Viel hängt nun davon ab, ob Thomas Tuchel in Dortmund Götzes Pellegrini werden kann. Jürgen Klopp, dem großen Kommunikator und Motivator, hätte man dies zweifelsohne zugetraut. Nicht zu Unrecht gilt er als Götzes Ziehvater. Allerdings trainiert Kloppo inzwischen den FC Liverpool. Der hat zwar einen großen Namen, ist aber nicht im internationalen Geschäft vertreten. Und so widerstand Götze dem Werben seines Förderers und zog die Rückkehr nach Westfalen einem Engagement auf der Insel vor.

Dort erwartet ihn nun ein Trainer, der eher Tüftler und Taktiker als Menschenflüsterer ist. Allerdings ist Tuchel auch kein kühler Projektmanager à la Pep Guardiola, dem es letzten Endes egal war, wer da gerade für sein Team aufläuft, so lange der entsprechende Arbeitnehmer eine gute Leistung ablieferte. Außerdem hat der BVB-Coach jüngst im Umgang mit dem ebenfalls sensiblen Armenier Henrykh Mykhitaryan viel Fingerspitzengefühl bewiesen und diesen nochmals auf ein anderes Leistungslevel gehoben.

Enormer Konkurrenzkampf beim BVB

Dennoch: Auch Borussia Dortmund ist ein Hecht im Bundesliga-Karpfenteich und keine Reha-Station für Kicker mit Reanimationsbedarf. Eine Halbserie lang dürfte Götze in Westfalen Schonzeit haben. Dann spätestens muss er liefern, gerade mit Blick auf die ihm gegenüber nicht unkritischen Fans. Auch der Konkurrenzkampf dürfte groß sein. Mit Pierre-Emerick Aubameyang, Marco Reus, Emre Mor, Ousmane Dembélé und jetzt noch André Schürrle ist die Dortmunder Offensive überragend besetzt. Mario Götze sollte sein drittes Bein ganz schnell in Schwung bringen. Vor allem er selbst ist jetzt gefordert.

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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