Waffen verbieten in den USA? Es ist kompliziert.

Immer wieder wundern wir Europäer uns über das Waffenrecht in den USA und sind empört, dass es nicht geändert wird. Aber wie sollte man das anstellen?


Vorbemerkung: Dieser Text ist bereits am Freitag Nachmittag fertig gewesen. Er steht nicht in Verbindung mit dem Amoklauf in München am Freitagabend. 

In den USA sind wieder Menschen erschossen worden. Es war ein Amoklauf, oder ein Hinterhalt für Polizisten, oder Polizisten haben einen Schwarzen erschossen – oder es war irgendeine Schießerei, die nur eine lokale Zeitungsmeldung wert ist. Im Jahr werden in den USA rund 12.000 Menschen erschossen, also täglich mehr als 30. Es sind nicht die großen Amokläufe oder Anschläge, die auch bei uns bekannt werden, es sind nicht die spektakulären, rassistisch oder politisch motivierten Taten, es ist nicht die Polizeigewalt – es sind die unzähligen Schießereien und Morde, die sich zu dieser Zahl summieren.

Je 100.000 Einwohner sterben in den USA jedes Jahr zwischen drei und vier Menschen durch Schusswaffengewalt. Ist das eigentlich viel? Ich weiß, jeder Tote ist einer zu viel, das sagt man gern sehr schnell. Aber da es ja auch andere Möglichkeiten gibt, einen Menschen zu töten, als mit einer Schusswaffe, muss man, um die Situation in den USA einordnen zu können, einen Vergleichsmaßstab finden. Tatsächlich gibt es internationale Vergleiche, die UNO erstellt Statistiken zur so genannten Tötungsrate (Tötungen je 100.000 Einwohner). Da liegt die USA weltweit mit fast fünf Tötungen je 100.000 Einwohner im Mittelfeld, deutlich unterhalb der mittleren Tötungsrate von 6,2 / 100.000 Einwohner. Gemessen an Westeuropa ist das trotzdem sehr viel, hier zählt man ca. eine Tötung je 100.000 Einwohner im Jahr. Allerdings liegen die baltischen Länder Litauen, Lettland, Estland mit 5-7 Tötungsdelikten je 100.000 Einwohner oberhalb der amerikanischen Quote, in Russland etwa liegt die Rate etwa doppelt so hoch wie in den USA. Und in der Schweiz, deren Waffenrecht ebenso liberal ist wie das US-amerikanische, liegt die Rate bei gerade mal 0,6 Tötungen je 100.000 Einwohner.

Natürlich sollte Russland oder gar Südamerikanische oder afrikanische Bürgerkriegsländer kein Maßstab für die USA sein – eher dann eben doch schon Frankreich oder Deutschland. Und die Rechnung scheint ja einfach zu sein: Nehmt den Leuten die Schusswaffen weg, dann bleibt von den fünf Tötungen je 100.000 Einwohner nur noch einer übrig und schon hätten die Vereinigten Staaten westeuropäische Verhältnisse.

Damit kommen wir aber auf das eigentliche Problem: Wie sollte man das denn bitteschön anstellen?

Man stelle sich vor, die amerikanische Regierung beschließt: Ab dem 01.01.2017 ist der Waffenbesitz verboten. Alle Bürger werden aufgefordert, die in ihrem Besitz befindlichen Waffen abzugeben. Wir wollen hier einmal von den Schwierigkeiten absehen, dass dazu möglicherweise die amerikanische Verfassung geändert werden müsste – es sei als rechtlich möglich angesehen.

Was würde geschehen?

Brave Bürger und Verbrecher

Sicherlich würde es ein paar ganz brave Bürger geben, die ihre Waffen abgeben. Man könnte versuchen, anhand von Registrierungen und Nachweisen Waffenbesitzer konkret anzuschreiben und zur Abgabe ihrer Waffen aufzufordern. Auch das würden einige brave Bürger tun. Andere würden angeben, ihre Waffe vor langer Zeit verloren, verkauft oder verschrottet zu haben.

Vermutlich würden vor allem solche Leute bereit sein, ihre Waffe abzugeben, die diese ohnehin nie benutzen würden, die ihre Pistolen und Gewehre seit Jahren sicher verwahrt und längst als große Last empfunden haben. Man könnte sagen, dass man damit schon mal ein paar spektakuläre Amokläufe verhindern könnte, bei denen Jugendliche sich aus dem Waffenschrank der Eltern bedient haben. Klar, das wäre nicht schlecht, aber wie gesagt, das ist ohnehin nur eine kleine Zahl. Und wer andere töten oder mit in den Tod ziehen will, das zeigen ja auch Ereignisse im friedlichen Westeuropa, der findet auch andere Mittel.

Diejenigen, die hingegen mit dem Gedanken spielen, in bestimmten Situationen ihre Waffe auch gebrauchen zu wollen, würden sicherlich gute Ideen entwickeln, um dem Abgabegebot zu entgehen.

Die „echten“ Verbrecher dürften es dabei am einfachsten haben, denn sie werden ohnehin nicht als rechtmäßige Besitzer ihrer Waffen registriert sein. Im Ergebnis würde es zu einer Entwaffnung der friedlichen Menschen kommen, wohingegen die gewaltbereiten Verbrecher ihre Schusswaffen behalten würden.

Es ist dies das gleiche Prinzip wie bei jeder Verschärfung eines Kontroll- und Überwachungsgesetzes, es trifft diejenigen, die Rechtschaffenden, während sich die Kriminellen entziehen können.

Was also kann man tun?

Es ist wie beim Rauchen

Zunächst mal ist Besonnenheit gefragt. Dabei sollte man auch sehen, dass der Schusswaffeneinsatz in den USA über Jahrzehnte rückläufig ist. Das zeigt, dass die Bürgergesellschaft sich in den USA in eine friedliche Richtung entwickelt, dass das Tragen und der Einsatz einer Schusswaffe mehr und mehr abgelehnt werden. Das muss im Vordergrund der Diskussion stehen. Der Schein trügt, es werden nicht immer mehr, sondern immer weniger Menschen in den USA Opfer von Waffengewalt.

Das Beispiel Schweiz zeigt zudem, dass ein liberales Waffenrecht nicht automatisch zu vielen Morden oder Amokläufen führt. Es kommt vielmehr auf die gesellschaftliche Situation insgesamt an – und da waren die USA zumindest in den letzten Jahrzehnten offenbar auf einem guten Weg, auch wenn wir das aus unserer feinen europäischen Perspektive nicht so sehen wollen.

Die Gesetzgebung sollte diesem guten Trend folgen, und ihm nicht vorauseilen. Auch hier gibt es Vergleiche zu europäischen Entwicklungen auf anderen Gebieten. Ein Rauchverbot in Gaststätten und in der Öffentlichkeit überhaupt ist erst durchsetzbar, wenn der gesellschaftliche Konsens schon auf die Ablehnung des Rauchens in der Öffentlichkeit gerichtet ist. Es klingt vielleicht merkwürdig, aber im Prinzip ist es mit dem Waffenbesitz ganz genauso.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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