Fremdsprache oder Naturwissenschaft?

Sollen Kinder in der Schule programmieren lernen? Würde ihnen das helfen, in der digitalen Welt zurecht zu kommen?


Vor zwei Jahren hat sich die Regierung  eine Digitale Agenda gegeben, und zu dieser Agenda gehört, dass die Informatische Ausbildung in der Schule verbessert werden soll. Wirtschaftsminister Gabriel forderte auf dem nationalen IT-Gipfel sogar, dass Programmieren als eine zweite Fremdsprache angeboten werden sollte. Wirtschaftsvertreter gehen darüber hinaus und fordern das Fach Programmieren bereits als Pflichtfach. Online-Aktivisten schließen sich diesen Forderungen euphorisch an.

In den letzten Tagen ist die Debatte wieder aufgeflammt. Das ist der richtige Moment, einmal einige grundsätzliche Erwägungen einzustreuen.

Natürlich Allgemeinbildung

Keine Frage, die Produkte der Informations- und Kommunikationstechnologien bestimmen unsere Lebenswelt heute in einem Maße, dass es eine selbstverständliche Notwendigkeit ist, die Grundlagen und Zusammenhänge dieser Technologien und ihre Wirkungen auf unser Leben zum Teil der Allgemeinbildung zu machen, der bereits an den Schulen fest verankert werden muss. Hier besteht mit Sicherheit Nachholbedarf und es ist zu begrüßen, dass die Politik sich dieses Themas annimmt. „Programmieren als Fremdsprache“, das ist da ein griffiger Slogan, der zudem den Vorteil hat, dass er gleich ganz klar mit ansagt, was genau zu tun ist. Man muss sich nur noch eine passende Programmiersprache aussuchen, dann kann es auch schon losgehen. Dass Wirtschaft und die Aktivisten der digitalen Welt begeistert applaudieren, scheint zu zeigen, dass man den richtigen Weg verfolgt, und dass man als Politik endlich mal die Zeichen der modernen Zeiten erkannt hat.

Aber was würden die Kinder und Jugendlichen wirklich über die digitale Welt lernen, wenn sie im Laufe der Schuljahre ein paar hundert Zeilen Code zum Laufen gebracht hätten, mit denen sie vielleicht nach dem Satz des Pythagoras die Seitenlänge eines Dreiecks berechnen könnten, möglicherweise sogar schön mit einem Dialog vornweg und einer Grafischen Anzeige hinterher? Was hätten sie damit über ihre Apps auf den Smartphones, die sie mit der Welt verbinden, gelernt? Was wüssten sie damit von den Algorithmen der Suchmaschinen könnten sie sich damit erklären, warum jeder Geldautomat auf der Welt ihren Kontostand kennt? Und hätten sie irgendeine Vorstellung davon erworben, wie all das ihr Leben beeinflusst, und wie sie selbst die Systeme verändern, die sie benutzen?

Zweite Fremdsprache „Programmieren“?

Programmieren lernen in der Schule, das hat tatsächlich etwas von einer zweiten Fremdsprache. Man paukt Vokabeln und Grammatik, liest und schreibt mühsam Texte, die nur der Lehrer lesen und verstehen soll, und weiß tief im Innern, dass das Ganze mit dem eigenen Leben nichts zu tun hat, und dass man es wohl nie wieder brauchen wird.

Das soll nicht heißen, dass in der Schule nur das gelehrt werden soll, was man später im Leben mal mit Sicherheit braucht, schon gar nicht, dass Lehrinhalte nach dem Prinzip zu definieren wären, dass Lehrer immer auf die Frage der Schüler, wozu sie das denn wissen müssten, eine treffende und überzeugende Antwort haben müssten. Allgemeinbildung soll Orientierungswissen erzeugen, ein Fundament, auf dem man aufbauen kann, auf dem man sicher steht, um sich umsehen zu können und einen Überblick über die Lebenswelt zu bekommen.

Aber dafür hilft hinsichtlich der digitalen Welt das Verstehen einer Programmiersprache am wenigsten, jedenfalls in dem Umfang, der in der Schule überhaupt gelehrt werden kann. Oft hört man das Argument, in jedem technischen Ding sei heute schließlich irgendetwas Programmiertes drin, das das Funktionieren der Sache ermöglicht. Es ist, als wenn der Biologieunterricht als erstes und vor allem die biochemischen Prozesse in den Zellen lehren würde, weil ja schließlich in jedem Lebewesen solche Prozesse dafür sorgen, dass es existieren kann.

Eher eine Naturwissenschaft!

Aus gutem Grund beginnt der Biologieunterricht aber beim ganzen Tier und bei der ganzen Pflanze, bei dem was man sehen kann. Es geht um die Wechselwirkungen zwischen den Lebewesen, und dann um ihren Aufbau, den man durch praktisches Auseinandernehmen und Ansehen erfahren kann. Und auch der Physikunterricht beginnt nicht bei der Atomphysik.

Informatikunterricht soll die Grundprinzipien einer Welt verständlich machen, die aus Computern und Apps, aus vernetzen Fernsehern, aus unsichtbaren, aber gewaltigen Servern, aus Algorithmen und dem Internet besteht. Er soll ermöglichen, dass die jungen Menschen in dieser Welt zurecht kommen. Der Informatikunterricht ist nicht dazu da, der IT-Industrie einen Teil der Ausbildung ihrer Programmierer abzunehmen, und auch in Zukunft werden die meisten Menschen keine Programmierer sein. Für den Umgang mit der digitalen Welt ist es nicht wichtig, dass ich weiß, dass in der Textverarbeitungssoftware auf meinem Tablet, mit der ich diesen Text schreibe, irgendwo eine for-Schleife enthalten ist, aber wichtig ist, dass ich eine Vorstellung davon habe, was es heißt und welche Konsequenzen es hat, dass der Text irgendwo in „der Cloud“ gespeichert ist.

Und auch um Konsequenzen muss es in der Informatik-Ausbildung in der Schule gehen. So, wie in Physik irgendwann der Klimawandel zum Thema wird, so, wie in Biologie und Chemie die Umweltverschmutzung zur Sprache kommt, so muss im Informatik-Unterricht diskutiert werden, welche Auswirkungen es hat, dass wir immer mehr abhängig sind von Systemen, die wir kaum noch überblicken, dass wir Gefahr laufen, manipuliert zu werden von Systemen, die sich hinter lockenden Benutzeroberflächen verbergen.

Ja, der Informatik-Unterricht gehört als wichtiges Pflichtfach an die Schulen. Nicht, weil wir alle Informatiker werden müssen, sondern weil unsere Welt digital wird, und weil wir uns zwischen all dem Digitalen orientieren müssen. Aber das Fach, was wir dazu brauchen, ist keine neue Fremdsprache. Wir sprechen mit den Systemen nicht Java, auch wenn in ihrem inneren Javaprogramme laufen. Wir brauchen Informatik als Naturwissenschaft, in der seziert und experimentiert wird, in der gelernt wird, genau hinzusehen, und am Ende, was diese wunderbaren Dinge mit uns selbst zu tun haben.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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