Frieden ist wichtiger als die Abgasnorm

Die Briten tun das, was viele Europäer denken. Es ist Zeit, sich von Visionen und Illusionen zu trennen – damit es friedlich bleibt in Europa.


Wer jetzt von einem tiefen Riss spricht, der durch die Britische Bevölkerung ginge, zeigt, dass er noch immer in Träumen und Illusionen gefangen ist. Auch jene Briten, die sich für einen Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen hatten, waren zum großen Teil Gegner der EU, wie sie heute ist. Sie wollten ein starkes und eigenständiges Britannien innerhalb einer reformierten EU. EU-Skeptisch sind fast alle Briten, diejenigen, die für einen Verbleib gestimmt hatten, hatten vielleicht Angst vor den ökonomischen Folgen, aber in der Mehrzahl sind auch sie keine glühenden Europäer.

Das Gleiche gilt für einen großen Teil der Menschen auf dem Kontinent. Und wir müssen endlich einmal einsehen, dass das auch keine Katastrophe ist. Ein irgendwie politisch vereinigtes Europa, das war immer nur eine Vision der Eliten – genau genommen ohne rationale Rechtfertigung.

Was wir brauchen, ist eine stabile NATO. Und das weniger als Verteidigung gegen äußere Feinde, als vielmehr als Versicherung dagegen, dass die Europäischen Staaten wieder einen Krieg gegeneinander anfangen. Die militärische Union ist vor allem ein Friedenspakt der NATO-Mitglieder untereinander, Länder, die über Jahrhunderte alle paar Jahrzehnte gegeneinander in den Krieg gezogen sind, haben sich militärisch miteinander verwoben – das ist die beste Garantie für Frieden auf dem Kontinent.

Jede weitere Europapolitik muss von der Tatsache ausgehen, dass die Menschen sich zum großen Teil zunächst national oder sogar regional identifizieren. Das ist eine Selbstverständlichkeit, denn auf nationaler oder regionaler Ebene sind wir in der Lage, einander zuzuhören, den politischen Diskurs zu verfolgen, uns eine Meinung zu bilden.

Das liegt nicht nur an der Sprache, sondern am Vorverständnis der kulturellen Selbstverständlichkeiten, das jeder von uns durch seine Einbindung in eine ganz konkrete Gemeinschaft ausgebildet hat. Das gibt einem Menschen Sicherheit, man weiß, wie die Dinge hier so laufen, und man merkt jedes Mal, wenn man in eine andere Gegend kommt, dass die Dinge einem da fremd sind – und das schafft Unsicherheit. Diese Unsicherheit wird durch kein intellektuelles visionäres Gerede vom Ende des Nationalstaats aus der Welt geschafft.

Demokratisch legitimierte nationale Parlamente und Regierungen sind tausendmal besser als europäische Apparate und Institutionen, die den Bürgern fremd bleiben und deren demokratische Legitimität abstrakt und akademisch bleibt. Die nationalen und regionalen Volksvertretungen müssen die Dinge wieder mehr selbst in die Hände nehmen, damit uns die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene nicht um die Ohren fliegt.

Denn Zusammenarbeit ist wichtig, nicht Vereinigung oder Union. Wir brauchen Kooperationen, gemeinsame Projekte und Verträge zwischen souveränen Nationen oder regionalen Akteuren – das schafft Vertrauen zueinander.

Bitte, Freunde der europäischen Idee, überdenkt eure verschlissenen Argumente, macht die Augen auf, und habt keine Angst vor den Menschen, die euren Visionen nicht folgen wollen. Fragt euch, was wirklich nötig ist dafür, dass wir weiter in Frieden leben auf diesem Kontinent. Denn Frieden ist das entscheidende, nicht die einheitliche Hochschulausbildung, auch nicht die einheitliche Abgasnorm und auch nicht die Vereinheitlichung der Gleichstellung aller Geschlechter. Das kann man alles vor Ort aushandeln – solange es auf dem Kontinent friedlich bleibt.

Zur letzten Kolumne von Jörg Friedrich: Ich bin ein Feigling.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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