Die Hooligan-EM

Seit Beginn der Fußball-Europameisterschaft ist es trotz eines erheblichen Sicherheitsaufwandes durch die französischen Behörden zu verschiedenen gewaltsamen Auseinandersetzungen von Hooligans gekommen. Daran wird sich auch nicht viel ändern lassen.


Foto: Symbolfoto Public Domain Bearbeitung: HS

Bereits am Eröffnungstag stießen englische und russische Fans in Marseille aufeinander. Es gab 35 zum Teil schwer Verletzte. Ein russischer Fan trat für die ganze Welt im TV sichtbar, einem englischen, am Boden liegenden Fan gegen den Kopf und verletzte ihn lebensgefährlich. Denselben Fan sah man dann abends im Stadion erneut in Aktion. Am ersten Spieltag der deutschen Nationalmannschaft randalierten etwa 50 deutsche Schläger in Lille. Vermutlich wird das Phänomen uns bis zum Ende der EM beschäftigen. Bisher gab es noch keinen Toten. Aber das kann noch kommen.

Ein infernalisches Team

Das Thema wurde – vermutlich zur Freude der Schläger – fast live übertragen und in den Medien breit diskutiert. Mal wieder ein Aufreger. Auch wenn es ähnliche Vorfälle immer wieder auch bei früheren Turnieren oder auch ganz außerhalb solcher Turniere bei banalen Ligaspielen gab. Fußball und Gewalt bilden seit Jahrzehnten ein infernalisches Team.

In den Kommentaren zu diesem Vorfall liest man immer wieder Sätze wie, „das sind doch keine Fans, dass sind Kriminelle. Das hat mit Fußball nichts zu tun“.

Ach so. Das sind also keine Fans? Wie kann man überhaupt auf die absurde Idee kommen, dass diese gewalttätigen Idioten Fußballfans gewesen sind? Fans, das sind doch diese netten Leute, die mit glänzenden Augen den Fanshop leer kaufen, die teuren Schals vor dem Spiel in die Luft halten und die National- oder Vereinshymne mit Inbrunst singen und zwischendurch ein Smoothie in den Farben der Bundesflagge trinken. Die würden doch nie einer Fliege etwas zu leide tun.

Abwehr und Ausgrenzung

Diese reflexhaft Abwehr und Ausgrenzung von Straftätern kennt man auch aus anderen Gebieten der Kriminalität. Sexualstraftäter werden als Monster bezeichnet, Massenmörder als psychisch krank. Die bösen Menschen dürfen alles sein, nur nicht so wie wir „Normalen“. Dann wären wir ja vielleicht irgendwie auch so wie die. Das wollen wir nicht. Und deshalb dürfen diese Leute auch einfach keine Fans sein. Ganz einfach.

Ein Freund erzählte mir letzten Sonntag die Geschichte eines gemeinsamen Bekannten, der bei einem früheren WM-Spiel gegen Italien nur mit erheblichem Einsatz daran gehindert werden konnte, im besoffenen Kopf in die gegenüberliegen Pizzeria zu rennen, um dort gegen die „Itakker“ zu randalieren, weil die italienische Mannschaft in Führung gegangen war. Wie gesagt, einer von „uns“. Gebildet, Hochschulabschluss, verheiratet, 2 Kinder. Kein Bio-Hooligan. Nur ein erregter Fan.

Natürlich sind Ultras, Hooligans und andere militante Fußballbesucher auch Fans. Sie sind sogar Fans im ursprünglichen Sinne des Begriffs, nämlich völlig fixierte Fanatiker.

 

Fanatiker sind besessen, wobei es eigentlich ziemlich egal ist, wovon sie besessen sind. Ob es sich um religiösen, ideologischen oder eben banalen Fußballfanatismus handelt – neben der eigenen Religion, Ideologie, dem eigenen Verein oder der eigenen Nation lässt der Fanatiker nichts gelten. Der blinde Fanatismus unterscheidet eben auch den Patrioten vom Nationalisten. Wie Johannes Rau es einmal treffend sagte:

Ein Patriot ist jemand, der sein eigenes Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.

Dass, was wohl diejenigen mit „Fan“ meinen, die den Gewalttätern das Fantum absprechen wollen, ist eigentlich ein Enthusiast, kein Fanatiker. Der Enthusiast begeistert sich für eine Sache, ist aber weit davon entfernt, diese als einzig seligmachende anzusehen. Als Lebensinhalt. Als alternativlos.

„Fans“ im allgemeinen Sprachgebrauch sind aber beide – der Enthusiast wie der Fanatiker. Die Grenzen sind fließend. Von „ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“ zu „ich schlag dir deine Fresse ein“ ist oft nur ein kurzer Weg.

Dass aus Fußball-Enthusiasten auch Fanatikern werden können, die drohen, zuschlagen und vielleicht auch über Leichen gehen könnten, ist  neben dem häufig übermäßigen Alkoholkonsum auch zu einem nicht geringen Teil Schuld der Veranstalter und der übersteigerten medialen Inszenierung des Fußballs. Dass es nun in Frankreich auch völlig nüchterne Hooligans gibt, ist eher eine Seltenheit und birgt erstaunlicherweise eine neue Gefahr, denn die wissen genau was sie tun.

Treue und Ehre

Natürlich stehe auch ich als bekennender FC-Anhänger „E Levve Lang“ zu meinem Club und singe aus voller Brust und maximal pathetisch

„Mer schwöre dir, he op Treu un op Iehr!
Mer stonn zo dir, FC Kölle!
Un mer jonn met dir,
Wenn et sin muss durch et Füer,
Halde immer nur zo dir, FC Kölle!“

aber natürlich ist dieses auf „Treue und Ehre“ gegebene Versprechen mit dem Verein „wenn es sein muss, durch das Feuer“ zu gehen, für mich nur im übertragenden Sinn zu verstehen und beschränkt sich darauf den jeweiligen Abstieg oder eine Niederlage des FC mannhaft wegzustecken und mir auch das nächste Spiel voller Hoffnung wieder anzusehen.

Für andere aber ist dieser Verein – oder auch irgend ein anderer Fußballverein oder eben die Nationalmannschaft – tatsächlich zum alleinigen Lebensinhalt geworden. „Treue und Ehre“ fanden wurden ja schon im Wahlspruch der SS missbraucht. Manche nehmen hier auch den Schmähgesang auf die lieben Nachbarn aus Mönchengladbach – „und wir werfen Stein auf Stein, auf die Elf vom Niederrhein“ nicht als das, was es sein sollte, nämlich einen belanglosen , vermeintlich lustigen Schmähgesang, sondern als konkrete Handlungsanweisung zum Steinewerfen.

Diese „armen“ Fanatiker, die außer ihrem Verein oder der Nationalmannschaft nicht viel anderes als Lebensinhalt in der Birne haben – wobei sich darunter auch durchaus gebildete Zeitgenossen befinden -, müssen natürlich existenzielle Nöte erleben, wenn ihr Verein nicht nur erneut absteigt oder aus einem Turnier fliegt, sondern sich auch dort sofort wieder am Tabellenende einreiht. Ja , das ist auch für den nur enthusiastischen Anhänger nicht wirklich schön, aber doch auch nicht so schlimm, dass man deshalb ernsthafte Depressionen bekommen müsste. Höchstens ein Vorwand das ein oder andere Kölsch mehr zu trinken.

Für den Fanatiker ist es aber die Katastrophe schlechthin. Und wenn etwas nicht so läuft wie der Fanatiker es sich vorstellt, dann wird ein Schuldiger gesucht. Auch das ist kein ungewöhnliches oder fußballspezifisches Phänomen, das kennen auch die fanatischen Nazis mit ihrem Hass auf Juden und Ausländer, die Islamisten mit ihrem Hass auf die Ungläubigen usw.

Schon lange braucht es aber auch gar keinen „Grund“ mehr für die Gewaltexplosion, nicht einmal einen Anlass. Es reicht, dass irgendwo irgendein Fußballspiel stattfindet, um sich zu prügeln. Bei Spielen der Nationalmannschaft verbünden sich sogar Schläger, die sich ansonsten gerne gegenseitig die Fresse polieren. Und zu diesen gesellen sich noch ein paar ganz gewöhnliche Neonazis, die Reichskriegsflagge im Gepäck.

Aber das ist eben nicht etwas, was völlig außerhalb der Fangemeinde durch ein paar wild- oder „art“-fremde Kriminelle geschieht; es geschieht vielmehr durch kriminelle Fans.

Die FIFA, die UEFA,der DFB und alle Vereine sollten sich darüber im klaren sein, dass das häufig genau die gleichen Leute sind, die im Stadion für Stimmung sorgen, die sich heiser singen und schreien, die ihre Freizeit und ihr gesamtes Geld für Fahrten zu Auswärtsspielen investieren und wirklich für ihren Verein „kämpfen“ wollen und nicht irgendwelche Außenstehenden.

Perversion der Grundidee

Die gerne aufgestellte Behauptung, diesen Leuten gehe es gar nicht um Fußball, sondern nur um Gewalt, greift zu kurz. Natürlich geht es um die Zelebrierung von Gewalt. Aber bei Tischtennisturnieren kommt das so wenig vor, wie beim Basketball oder anderen Mannschaftssportarten. Es ist seit Jahrzehnten ein in erster Linie fußballspezifisches Phänomen. So wie islamistischer Terror selbstverständlich auch etwas mit dem Islam zu tun hat, haben gewalttätige Hooligankrawalle auch etwas mit dem Fußballfantum zu tun, auch wenn es sich in beiden Fällen um eine Perversion der Grundidee handelt.
Die Verbände und die Vereine müssen, wenn auch in Zukunft noch Profifußball gespielt werden soll, von der von ihnen selbst aufgebauten Überhöhung der eigenen Mannschaft und der des Fußballsports herunterkommen. Es gibt eben Menschen, die das alte Lied der Nationalmannschaft „Fußball ist unser Leben“ bitter ernst nehmen und bereit sind, für diesen Fußball anderen das Leben zu nehmen und auch das eigene zu riskieren.

Die Offiziellen sollten aber die Fanatiker unter ihren Anhängern nicht einfach dadurch ausgrenzen, dass sie sie als Nichtfans bezeichnen. Das ist für die, als hätte ihre große Liebe, für die sie ihr Leben geben würden, sie verraten, mit einem anderen gepennt und sie eiskalt vor die Tür gesetzt. Es ist leicht vorzustellen, dass diese verschmähte Liebe in blanken Hass und damit in noch schlimmere Aktionen in und außerhalb der Stadien umkippen könnte. Bisher schlagen die Hooligans sich in aller Regel mit anderen Hooligans. Nicht-Hools werden meist ignoriert. Ausnahmen, wie die am Kölner Dom am Donnerstag, kommen vor.

Für solche Kämpfe existieren ungeschriebene, aber unter den einschlägigen Gruppen allgemein anerkannte und im Einzelfall modifizierte Regeln. So wird die Gruppenstärke vorher verabredet, wobei nur mit Zustimmung des in Unterzahl antretenden Gegners ein zahlenmäßiges Ungleichgewicht hergestellt werden darf. Im Verlauf eines Kampfes muss jedoch nicht Mann gegen Mann gekämpft werden, insbesondere, wenn einzelne der Gegner bereits ausgefallen sind, können sich auch mehrere Kämpfer gegen einen Gegner wenden. Frauen sind nicht zugelassen. Waffen sind verboten, Schutzbekleidung (Mund-, Tief-, Handschutz), Mützen und Sturmhauben erlaubt. Gekämpft wird in allen Kampfstilen, Schläge und Tritte sind mit Ausnahme des Genitalbereichs gegen alle Körperregionen – auch gegen den Kopf – gestattet, zugleich jedoch nur das Tragen von leichtem Schuhwerk. Wer am Boden liegt und keine Anstalten macht, sich zu erheben, oder wer sonst zu erkennen gibt, dass er nicht wieder in den Kampf eingreifen will, darf nicht mehr angegriffen werden. Allerdings kann es trotzdem dazu kommen, dass solche Personen weiter verletzt werden. (BGH – Urteil des 3. Strafsenats vom 22.1.2015 – 3 StR 233/14 -)

Und so könnte man auf die Idee kommen, dass die sich doch ruhig prügeln sollen, da sie ja mit den wechselseitigen Körperverletzungen einverstanden sind und selbst auch nie Strafanzeige erstatten, wenn ihnen mal wieder die Nase gebrochen wurde. Aber das geht nicht, weil diese ganzen Einwilligungen schon wegen der abstrakten Todesgefahr, die die Beteiligten trifft, sittenwidrig und damit wirkungslos sind.

Was die wenigsten Hooligans wissen dürften, ist, dass die Gründung einer Hooligan-Truppe in Deutschland vom BGH als Gründung einer kriminellen Vereinigung angesehen wird und somit auch eine Bestrafung erfolgen kann, wenn man sich gar nicht persönlich an der Klopperei beteiligt hat, sondern nur Mitglied der Gruppe ist.

Wie soll es nun weitergehen? Martialische Sprüche von lebenslangen Stadionverboten werden eher nicht zu einer Befriedung führen. Dann werden sie halt – wie man ja schon sieht – vermehrt außerhalb des Stadions aktiv. Wer wollte das verhindern? Die Polizei kann nicht überall sein. Bei derartigen Fanatikern gilt der Spruch, du kannst zwar den Fan aus dem Verein entfernen, aber nicht den Verein aus dem Fan. „E Levve Lang“ ist für die ernst gemeint.

Schnelle Verfahren

Wer solche Straftaten begeht, muss dafür von der Justiz angemessen bestraft werden. Je schneller um so besser. Da kann man auch anlässlich solcher Turniere ganz flinke Verfahren ermöglichen, die trotz Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze sehr schnell zu einem Urteil und falls erforderlich zu einer sofort zu vollstreckenden Freiheitsstrafe führen. Die französische Justiz hat am Donnerstag schon gezeigt, wie das geht. Da wurden bereits mehrere Hooligans zu Haftstrafen verurteilt. Viel hilft das aber nicht, da solche Strafen und auch Prügeleien mit Polizeibeamten als Auszeichnung betrachtet werden.

Zur Vermeidung derartiger Taten taugen die Mittel der Justiz alleine daher nur bedingt bis gar nicht. Zur Vermeidung müssen die Offiziellen bei allem Verständnis für  Patriotismus und Profitdenken vor allem verbal und medial abrüsten. Fußball ist kein Krieg, sondern ein Sport. Also sollte er auch als Sport inszeniert werden und nicht als Schlacht. Werbesprüche wie „die Mutter aller Schlachten“ und ähnlicher Unfug müssen genauso verschwinden, wie alles, was im Vorfeld die Emotionen der emotional gestörten Fanatiker aufputschen könnte.

Auch die Medien, ob es nun die Boulevardpresse oder die TV-Sender sind, könnten einmal versuchen, den Fußball ausschließlich als sportliche Veranstaltung und nicht als Religions- oder Kriegsersatz zu präsentieren. Oder aber, wenn sie das aus wirtschaftlichen Gründen nicht wollen, einfach dazu stehen, dass auch diese Krawalle wieder prächtig zu vermarkten sind und für einen weiteren „Brennpunkt“ taugen. Wenn England gegen Wales spielt, dann muss ich keine Vorberichterstattung sehen, die Löwen gegen einen Drachen kämpfen lässt. Das heizt die Stimmung nur unnötig an.

Die Veranstalter, die ja an solchen Turnieren insbesondere über die wahnsinnigen Fernsehlizenzgelder nicht übel verdienen, sollten deutlich mehr Zeit und Geld in Fanprojekte stecken, um auch und gerade mit den Fanatikern ins Gespräch zu kommen. Ihnen von klein auf klarmachen, dass andere Mannschaften nicht Ausgeburten des Teufels sind, sondern einfach andere Mannschaften, die den gleichen Sport betreiben. Dass es ohne Gegner auch kein Spiel gibt und vor allem, dass Fußball ein Spiel ist. Ein faszinierendes Spiel manchmal, aber nur ein Spiel.

Für völlig verrückt ist die Idee, einzelne Nationalmannschaften von einem Turnier auszuschließen, weil Schläger aus diesem Land randalieren. Wie sollte ein Verband das verhindern können? Soll z.B. der DFB Grenzzäune errichten? Ausschlussdrohungen werden diese Idioten höchstens zu neuen „Högschdleischdungen“ motivieren und die friedlichen Fans und die Mannschaften zu Unrecht bestrafen. Damit gibt man den Hooligans ohne Not Macht über ein Turnier. Ähnlich wie bei Terroristen muss denen aber klar gemacht werden, dass sie keine Macht haben und die Zivilgesellschaft auch nicht bereit ist, ihnen irgendeine Macht einzuräumen. Wenn man sie nicht an der Einreise hindern konnte, dann müssen sie bei Gewaltexzessen mit massivem Polizeieinsatz nebst Tränengas und Wasserwerfer gestoppt, danach festgenommen und umgehend bestraft werden.

Dazu braucht es weder neue „schärfere“ Gesetze, noch neue Überwachungsmaßnahmen. Dazu braucht es nur eine ausreichende Zahl von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern.

Aber auch bei bester Vor- und Nachbereitung wird man es nicht schaffen, völlige Sicherheit zu garantieren. Denn Voltaire schon wusste:

„Bedenkt, dass Fanatiker gefährlicher sind als Schurken. Einen Besessenen kann man niemals zur Vernunft bringen, einen Schurken wohl.  (Quelle: Voltaire, Potpourri, 1765)

 

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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