„Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten hat Sicherheit Vorrang“

Der Anschlag von Brüssel hat Europa tief getroffen. Um so schäbiger, dass der Innenminister, Thomas de Maiziére, das für einen Angriff auf den Datenschutz nutzen will.


„Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten hat Sicherheit Vorrang“

Als ich diesen Satz hörte, blieb mir die Spucke weg. Ach, da redet bestimmt einer von der NPD, dachte ich zunächst. Ich hab`s nicht so mit Stimmen.  Aber als ich von meiner Zeitung aufsah, da sah ich doch tatsächlich unseren Bundesinnenminister Thomas de Maiziére. Hatte der das wirklich gesagt? Der Verfassungsschutzminister? Derjenige, dessen Aufgabe es unter anderem ist, die verfassungsmäßigen Werte zu schützen? Der auch für die Informationssicherheit zuständig ist? Ja, hat er. Man kann es in der Mediathek auch nochmal nachhören, falls es jemand nicht glauben sollte.

Okay, er hatte uns ja vorgewarnt, dass ein Teil seiner Antworten uns beunruhigen könnten, aber doch nicht so. Ich dachte, das wäre auf einen einmaligen Vorfall bezogen und nicht bei jedem Interview. Bei Bundesinnenminister Friedrich war man derartig schräge Gedankengänge bereits gewöhnt. Der glaubte sogar ernsthaft, es gäbe ein Supergrundrecht auf Sicherheit, dem alles andere unterzuordnen sei. http://www.theeuropean.de/heinrich-schmitz/7213-supergrundrecht-sicherheit Nein, das gibt es eben nicht. Auch nicht in Krisenzeiten.

Und jetzt Thomas de Maiziére mal wieder. Die Leichen in Brüssel sind noch nicht richtig kalt und da stellt der Mann sich mit ernster Miene hin und suggeriert den Bürgern, dass der Datenschutz zwar was ganz Putziges für schönes Wetter und Sonntagsreden ist, aber aus seiner Sicht wohl doch eher störend für die Sicherheit. Hach, was wäre es für einen Innenminister doch schön, wenn er ohne diesen lästigen Datenschutz mal nach Lust und Laune herumschnüffeln könnte. Dann wäre Ratzfatz Schluss mit Terror. Natürlich nur in Krisenzeiten. Nee, is klar. Und nur zu unserem Besten. Sowieso.

Schon Wahlkampf?

Diese doofen Schutzrechte des Grundgesetzes sind aber für den Staatsapparat auch störend. Aber halt, ist das jetzt derselbe Innenminister, der uns noch 2014 mehr Datenschutz versprochen hatte? Ja, scheint so. 2014 war dann da bestimmt noch keine Krisenzeit, da gab es überhaupt noch keine Terroranschläge, keine Bürgerkriege und, am Wichtigsten, da hatte man ja auch gerade erst eine Wahl gewonnen. Da saß einem auch nicht die AfD im Nacken.

Nach meinem Herzinfarkt hatten die Ärzte mir dringend geraten, mich Stresssituationen zu entziehen und überflüssige Aufregungen zu vermeiden. Aber wer rechnet schon damit, dass einem des Abends auf dem Sofa ein leibhaftiger Bundesminister eiskalt einen Schlag in die Magengrube versetzt und einem in die Eier tritt? Wer rechnet damit, dass der oberste zivile Schutzmann der Republik bereit ist, die Rechte, die es durch ihn und seine Behörde zu schützen gilt, mit einem Satz lächerlich zu machen. Datenschutz, da lacht der drüber? Das ist  nur „was Schönes“? Unglaublich.

Ja, aber Sie haben doch nichts zu verbergen, Sie haben doch nichts zu befürchten, Sie sind doch gar nicht das Ziel einer Aufweichung Ihrer Rechte, würde er wohl einwenden. Wir wollen Sie doch nur besser schützen. Vor dem Bösen. Da darf man doch nicht mit dem Grundgesetz unterm Arm regieren. Wer ein reines Gewissen hat, braucht sich nicht vor diesem Staat zu fürchten. Mag im Moment vielleicht so sein, aber wer garantiert mir das auf Dauer? Jemand, der vor 2 Jahren noch mehr Datenschutz wollte und den jetzt für Quatsch mit Soße hält? Was weiß ich, ob ein, nennen wir es einmal optimiertes Sicherheitssystem ohne Datenschutz vielleicht einmal einer Regierung in die Finger fällt, die das ganz anders einsetzen möchte? Können Sie das ausschließen? Da gab es ja schon mal Landtagsabgeordnete, die sich für die Zahl der Schwulen im Land interessierte. Wäre für die doch schön, wenn sie nicht nur die Gesamtzahl, sondern gleich die Einzelnen mangels Datenschutz kennen würde. Oder die Juden. Ich will keinen Staat, der alles weiß, weil ich ncht weiß, wem dieses Wissen in die Hände fällt.

Rausgerutscht

Matthias Döpfner meinte in der Welt, dass dem Innenminister dieser Satz nur so raus gerutscht sei. Hat man ja in letzter Zeit häufiger, der einen rutscht bei GNTM ein Nippel raus, die andere rutscht auf der Maus aus. Das ist sehr nett gemeint von Döpfner. Allein, ich glaub’s nicht. De Maiziére ist kein Frischling, der kennt das Geschäft und der weiß auch, wann man wo mal was sagen kann. Einfach mal einen kleinen Test starten.

Mag sein, dass er sich der Tatsache bewusst ist, dass Datenschutz alles andere als ein entbehrliches Grundrecht ist. Mag sein, dass er sich der Tatsache bewusst ist, dass auch in diesem konkreten Fall ein schlechterer Datenschutz wieder einmal gar nichts verhindert hätte, weil auch hier, wie schon so oft, die Täter den Behörden bereits bekannt waren. Mag sein, dass er sich der Tatsache bewusst ist, dass es ein Mehr an Sicherheit nur mit einem Mehr an Polizisten geben kann – und dass auch er diese in den vergangenen Jahre unter der Herrschaft der schwarzen Null nicht eingestellt hat. Ich gehe sogar stark davon aus, dass er das alles sehr gut weiß, denn ein Idiot ist er ja nicht. Wüsste er das alles nicht, wäre er fehl am Platze. Aber wenn er es weiß, dann ist sein Satz an Unredlichkeit kaum noch zu toppen. Dann ist dieser Satz Dummenfang der übelsten Sorte, Fischen im modrigen Wählertümpel kombiniert mit gezieltem Ablenken von den eigenen Versäumnissen. Netter Versuch, erwischt!

Sicher, sicher über Alles?

Wenn mir von einem aktuellen Bundesminister so etwas präsentiert wird, werde ich hellhörig und stinkesauer. Dieses „Sicherheit geht allem anderen vor“ ist ja in mehrfacher Hinsicht falsch. Zum einen dient die Sicherheit nur den verfassungsmäßigen Rechten und ist kein Selbstzweck, zum anderen wäre sie auch unter Aufgabe aller anderen Grundrechte nicht zu 100% zu erreichen. Genau genommen ist Sicherheit überhaupt nicht zu erreichen. Wenn ihr Klempner Ihnen erzählt, ihre Wasserleitung wäre jetzt zu 95% dicht, dann ist sie eben immer noch leck. Mehr Sicherheit kann nur bedeuten, ein nicht vollständig kalkulierbares Risiko zu minimieren, mehr nicht.

Natürlich kann man z.B. einen Flughafen besser schützen. Man kann bereits – wie z.B. in Tel Aviv – mit Kontrollen weit vor dem eigentlichen Flughafengelände beginnen. Man kann dort – wie auch schon gefordert – flächendeckende Videoüberwachung einführen. Aber damit kann man die Sicherheit nur für diesen ganz konkreten Ort etwas erhöhen. Und das auch nur, wenn man die Kontrollen ständig auf das gesamte Personal ausdehnt. Da ist ja auch mal schnell ein Radikalisierter reingerutscht oder jemand der schon drin ist, hat sich radikalisiert. Das Alles  führt aber nicht unterm Strich zu einer erhöhten Sicherheit vor Terroranschlägen. Wer sagt denn, dass es immer ein Flughafen oder ein hochgesichertes Ministerium sein muss? Wenn ich die Junkies von einem bestimmten Platz in der Stadt vertreibe, dann gehen die eben wo anders hin. Die lösen sich ja nicht in Luft auf. Mit Terroristen ist das nicht anders.

Die „wichtigen“ Leute haben sich ja schon eingebunkert und die richtig Reichen ebenfalls. Aber wie soll das für den normalen Bürger gehen?

Weiche Ziele

In den Kölner Dom passen z.B. rund 4000 Menschen, auf ein Kreuzfahrtschiff etwa genauso viele. Beim Rosenmontagszug in Köln sind rund eine Million Menschen versammelt, bei den Kölner Lichtern sind es nur unwesentlich weniger. Die Fußgängerzonen unserer Städte sind jeden Samstag proppenvoll , die Fußballstadien auch, und wenn sie es sich noch etwas widerlicher vorstellen wollen, wie sind denn die Sicherheitsmaßnahmen in einer ganz normalen Schule, einem Altenheim oder einem Krankenhaus? Einem Schulbus, einem Zug? Wie leicht ist es, eines dieser weichen Ziele anzugreifen? Und wie will man all diese weichen und auch nur mäßig sicherbaren Ziele vor Terror bewahren? Durch die Abschaffung von Datenschutz? Lächerliche Idee.

Natürlich sollten die europäischen Sicherheitsbehörden und auch die Geheimdienste sich über wichtige Erkenntnisse auf dem Laufenden halten. Dazu muss man aber nicht am Datenschutz schrauben, sondern nur an der schwach ausgeprägten Kooperationsbereitschaft der einzelnen nationalen Behörden. Was auch immer für Daten der Innenminister gerne noch schutzlos stellen möchte, die nützen auch nur etwas, wenn sie zeitnah ausgewertet werden. Bedeutet, mehr Personal und zwar qualifiziertes Personal. Dass der Datenaustausch innerhalb Europas nicht so recht in die Gänge kommt, liegt auch nicht in der Verantwortung irgendwelcher böser Datenschützer, die dem Terror Vorschub leisten wollen, sondern an der Arbeit der Innenminister. Warum kommt EUROPOL nicht so richtig in die Pötte?

Radikalisierungsprophylaxe

Der Innenminister sollte sich darüber im Klaren sein, dass er seine Aufgabe nicht erfüllt, wenn er die Werte, deren Verteidigung seine Aufgabe ist, höhnisch verlacht. Das machen zwar andere Parteien auch, aber gerade er darf das nicht tun. Er sollte seine Aufgaben ernst nehmen und seine Behörde entsprechend ausstatten, personell und materiell. Er sollte seinen Kabinettskolleginnen und -kollegen deutlich machen, dass auch sie etwas zur Terrorbekämpfung tun können. Dass die Radikalisierungsprophylaxe schon im Kindesalter wichtig ist – Kindergartenpflicht für alle ab dem 3. Lebensjahr inklusive, dass Chancengerechtigkeit auch nichts schadet und dass man auch den fundamentalistischen Saudis nicht immer wieder in den Arsch kriechen und ihnen auch noch immer wieder Waffen verkaufen muss, dass es auch städtebaulich wichtig ist, keine Ghettos entstehen zu lassen. Allen fundamentalistischen und radikalen Bestrebungen können und müssen wir unser Verfassungswerte entgegenhalten. Die müssen wir ganz hochhalten und nicht durch dämliche Sprüche abwerten. Die sind unsere wichtigste Errungenschaft, die sind die Basis unserer freien Gesellschaft. Und diese Werte zu schützen und nicht etwa abzubauen gilt es gerade auch in Krisenzeiten.

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Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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