Moers‘ Blaubär, Arno Schmidt & die Joycesche Krankheit

Das Wortspiel sei die niedrigste Form des Humors, soll Samuel Johnson gesagt haben. Recht hatte er. Zumindest wenn man Sören Heims dritter Station der fantastischen Reise folgen will.


„Lose aneinandergereihte Geschichten“ (vielmehr „Geschehnisse“) „Zusammenhangslosigkeit“ nicht nur in der Erzählung, sondern auch in der Ausarbeitung der Welt. „Flache Figuren“, die nur als Aufhänger von Anekdoten dienen, und eine Erzählweise, die wirkt, als hätte der Autor sie im Großen und Ganzen bewusst provokativ entgegen dem in den letzten hundert Jahren Gelehrten nach dem Motto „tell, dont show“ gestrickt.

Amüsant, aber strukturlos

Das sind, von mir etwas aufgepeppt, Kritiken, die man in den negativeren Amazon- Rezensionen zu Walter Moers‘ Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär finden kann, und sie decken sich mit meiner Leseerfahrung. Wie überhaupt gut begründete negative Rezensionen – ob man ihnen zustimmt oder widersprechen möchte – die erste Quelle sind, die man heute aufzusuchen hat, möchte man entscheiden, ob ein Buch lesenswert sein könnte. Denn während Lob zu begründen Feuilletonisten wie Fans gleichermaßen verlernt haben, ist der vor allem am Genuss interessierte Freizeitkritiker oftmals überraschend begabt im Fabrizieren sauberer, klar argumentierter Verrisse.

Alldem zum Trotz ist der Blaubär durchaus halbwegs amüsant, man kann sich im Buch nett dahintreiben lassen und stößt vielleicht sogar auf den ein oder anderen lustigen Einfall (selten allerdings Schenkelklopfer). Ihn unter die fantastischen Romane, die ich in dieser Reihe eigentlich auf der Suche nach dem großen fantastischen Kunstwerk rezensieren möchte, einzureihen, fällt mir jedoch schwer. Dem Werk fehlt jede innere Stringenz, jeder über das reine „what happens next?“ (Rushdie) hinausweisende Zusammenhalt, der es überhaupt erst ermöglichen würde, dem Roman als Kunstwerk zu Leibe zu rücken. Der Blaubär ist eine größtenteils angenehme, plätschernde, selten wehtuende und den Leser kaum herausfordernde Sammlung von Geschichten, die ein rudimentärer Plot lose zusammenhält. Auch der viel gelobte Einfallsreichtum von Walter Moers ist in diesem Kontext zu betrachten. Er besteht vor allem darin, dass Moers jede Idee, die ihm so gerade kommt, in sein Werk einzuarbeiten scheint und sich einen Teufel darum schert, wie diese dann später im Ganzen zusammenpassen (das hat er gemein mit weiteren überschätzten Literaten wie Robert Musil oder David Forster Wallace – wenn Moers will, darf er sich das als Lob ins Stammbuch schreiben.

„Einfallsreichtum“ kann tierisch nerven

Der Unterschied zwischen einer Idee und einer Idee, den der große Ali G noch kannte, geht solchen ideenreichen Schriftstellern am Allerwertesten vorbei. Für lockere Unterhaltung reicht das zwar alle Mal, für mehr nicht. Doch man hört: Fans sei es außerordentlich wichtig, den Blaubär nicht als Kinderbuch begriffen zu sehen. Gutgut: Es ist auch keines. Ein Kind würde sich angesichts der 700 Seiten nur milde witziger Pseudogelehrsamkeit gepflegt langweilen. Beziehungsweise: das Werk rasch in die Ecke legen. Der Blaubär ist, schlimmer: ein Kinderbuch für Erwachsene.

Wortspiele mit und ohne Funktion

Das gilt übrigens auch für das ob seiner Wortspiele und seines Anspielungsreichtums höchstgelobte Buch Moers, Die Stadt der träumenden Bücher. Es gibt neben der Kafkaschen Krankheit meist deutschsprachiger Autoren – dem absichtlich düsteren Schreiben – auch noch die internationalere Joycesche oder Borgessche, nach der besonders junge Intellektuelle, etwa im Anschluss an die erste Lektüre von Finnegans Wake auf den Trichter kommen, ein literarisches Werk werde umso besser, je mehr Anspielungen auf andere literarische Werke und je mehr doppelte und dreifache „Be-Deutungen“ in einzelnen Worten versteckt werden. Eine Amazon-Rezension (wie gesagt, da lässt sich wirklich lesenswerte Literaturkritik finden) zur Joyce-Nachdichtung Stündels macht den Denkfehler deutlich:

„Finnegans Wake im Original ist ein harter Brocken. Neben dem (per se schon sehr schwer verständlichen) Haupttext an der Oberfläche laufen grundsätzlich mindestens zwei Subtexte mit. Joyce erreicht das durch seine vielen verdrehten Wörter und zahllose Anspielungen auf alles Mögliche. Auch Stündel bringt einen Haupttext (der sich mit dem von Joyce leidlich deckt) und viele verdrehte Wörter und zahllose Anspielungen. Das entscheidende bei Joyce ist, daß auch die Subtexte kohärent sind (und oft das Eigentliche des Buches). Bei Stündel sind sie das nicht: Seine Wortverdrehungen und Anspielungen wirken beliebig und zusammenhanglos. Sie sind nicht geeignet, die Joyce’schen (oder auch nur irgendwelche) (Hinter)Grundstimmungen zu transportieren. Damit verliert das Buch 2 von 3 „Handlungs“strängen. Was übrig bleibt, ist folglich nur mehr belangloses Geblödel – nicht der Mühe wert. Also besser doch das Original lesen eines Buchs, das zurecht als völlig unübersetzbar bezeichnet wird. “

„Nur Masturbation“ ?

So ist es. Das Sprachspielerische kann ein Werk bereichern und, wie etwa in Finnegans Wake so genial, wenn auch schwer zugänglich, gelungen, zum strukturell integralen Bestandteil werden. Wo es aber kaum eine andere Funktion erfüllt, als uns die Belesenheit des Autos vorzuführen, ist es noch lange kein Ausweis guter Literatur. „Its just masturbation“, würde George Costanza sagen. Selbst der große Arno Schmidt, mit dem ich, man glaubt es kaum, Moers auch schon verglichen fand, ist nicht immer wegen, sondern oft genug trotz oder gar gegen seine exzessive Neigung zum Wortspiel gut. Besonders wo diese zum Selbstzweck gerät oder schlimmer: einzig und allein dazu da ist, die doch sehr zweifelhafte Etym-Theorie stets aufs Neue zu untermauern.

Fortschritt der Fantastischen Reise:

rezensiert:

Andrzej Sapkowski – Der Hexer
China Miéville – Perdido Street Station
Walter Moers – Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär

nächster Text:

Esther Rochon – Der Träumer in der Zitadelle

ausstehend:

Joy Chant – Der Mond der Brennenden Bäume
Viktor Pelewin – Das 5. Imperium
Neil Gaiman – American Gods
Samit Basu – GameWorld
Michael Moorcock – Elric of Melniboné

Patrick Rothfuss – The Name of the Wind.

 

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

More Posts - Website

Follow Me:
TwitterFacebook

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert