Meinungsfreiheit von Pegida bis Playboy
Salman Rushdie hat recht: Ohne diese Freiheit scheitern alle anderen Freiheiten.
Die letzte Woche begann damit, dass am Montag in Dresden irgendein Depp einen Galgen rumgetragen hat. Am Dienstag eröffnete Salman Rushdie die Frankfurter Buchmesse mit einem Plädoyer für die Redefreiheit. Und am Mittwoch las ich, dass der Playboy keine nackten Frauen mehr abbilden will. Die Bilanz der Woche lautet: Für die Meinungsfreiheit geht es nicht unbedingt bergauf.
Jeder muss sagen dürfen, was er will
Der unbekannte Pegida-Demonstrant mit der selbst gebastelten Galgenattrappe war offensichtlich der Meinung, dass Kanzlerin und Vizekanzler dem Land schaden. Als Tatbestand schwebte ihm vielleicht etwas wie Hochverrat vor. Und so brachte er seine eher wenig durchdachte Meinung zum Ausdruck, die beiden seien mit dem Tode zu bestrafen. Diese Meinung ist keineswegs sympathisch, und die Art, wie sie artikuliert wurde, war eher einfältig. Aber darum kann es bei Gedanken-, Meinungs- und Redefreiheit nicht gehen. Deshalb ist es falsch, dass dieser Mann polizeilich gesucht wurde und die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt.
Er ist nicht der einzige, der seine Überzeugung offen zum Ausdruck bringt, bestimmte Personen verdienten einen gewaltsamen Tod. Andere meinen es wahrscheinlich sogar ernster. So gibt es eine kleine Industrie, die T-Shirts. Jogginghosen, Autoaufkleber usw. mit der Aufschrift „Todesstrafe für Kinderschänder“ vertreibt. Begegne ich Menschen, die sich mit diesen Produkten schmücken, mache ich einen großen Bogen um sie und verspüre heftige innere Ablehnung. Gleichzeitig bin ich froh, dass diese Form der Meinungsäußerung mir zeigt, mit wem ich es zu tun habe, was in diesem Fall bedeutet: mit wem ich nichts zu tun habe möchte. Und ich bin tatsächlich auch der Auffassung, dass es sich um einen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte handelt, der uns dabei hilft, uns eine Meinung zu bilden.
Meinungsfreiheit ist ein universelles Gut
Salman Rushdie nannte bei seiner Eröffnungsrede die Meinungsfreiheit ein universelles Gut. Über alles andere könne man gerne diskutieren, darüber aber nicht: „Das ist das eine, was wir verteidigen müssen. Ohne diese Freiheit scheitern alle anderen Freiheiten. Ohne die Meinungsfreiheit gibt es keine anderen Freiheiten.“ Natürlich bekam Rushdie viel Beifall. Das ist gut. Nun müssen wir nur die Verbindung vom weltberühmten Autor zum namenlosen Wutbürger herstellen. Auch die Worte „Reserviert Siegmar ‚das Pack‘ Gabriel“ auf dem Galgen fallen in die Kategorie der öffentlichen Meinungsäußerung. Auch für sie gilt Rushdies Aussage: „Die Begrenzung der Meinungsfreiheit ist nicht nur Zensur, sie ist ein Angriff auf die menschliche Natur.“ Deshalb sollten wir uns in keiner Weise zurückhalten, zu sagen, was wir von der Galgenaktion halten. Wir sollten aber auch entschieden dagegen protestieren, dass Polizei und Justiz solche Äußerungen unterdrücken.
Busenloses Facebook
Die US-Ausgabe des Playboy wird ab März 2016 keine komplett nackten Frauen mehr abbilden. Auf der Website scheint es schon jetzt soweit zu sein. Das Unternehmen begründet diese Entscheidung durchaus nachvollziehbar damit, dass man sich anders positionieren müsse, weil mit Nacktheit im pornogesättigten Internet nicht mehr zu punkten ist. Ein weiterer Grund dürfte gewesen sein, dass Nacktheit in beträchtlichen Teilen des Internets gar nicht mehr gezeigt werden darf. Facebook, Apple und andere sind hier bekanntlich rigoros. Neben Zensur und Strafverfolgung gibt es weitere Kräfte zur Unterdrückung abweichender Meinungen, Vorlieben, Geschmäcker: Intoleranz und Konformismus. Diese führen auch im prinzipiell freien Worldwide Web zu einem Phänomen, das von Miriam Meckel einmal als „Gentrifizierung des Internet“ bezeichnet wurde, die schrieb: „Bei Apple heißt das zum Beispiel: Keine Titten, keine Tabubrüche, nicht mal in der Kunst.“ Wie im gut bürgerlichen Wohnviertel werden wir von abweichendem Aussehen, abweichendem Verhalten, abweichenden Meinungen abgeschirmt. Wenn der Playboy einziehen will, muss er den Damen etwas überwerfen.
Das Recht, jede Meinung zu hören
Es geht bei der Redefreiheit nicht nur um das Recht eines jeden, seine Meinung öffentlich kundzutun. Es geht vor allem auch um unser Recht, jede Meinung hören zu dürfen. Denn dieses Recht ist konstitutiv dafür, dass wir unsere Mitbürger und uns selbst nicht als manipulierbare Marionetten betrachten, sondern als zur rationalen Debatte fähige Menschen. Als Menschen, die keine höhere Instanz brauchen, die sie vor Verführung, Ekel oder Beleidigung schützt. Als Menschen, denen jede Meinung zugemutet werden kann, weil wir als Gesellschaft in der Lage sind, damit umzugehen.
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