Pinocchio vs. Donald Trump: Zwei legendäre Lügner

Die Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump war erschreckend. Ein ziemlich tatterig wirkender Präsident gegen einen notorischen Lügner. Für einen wird Amerika sich entscheiden. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Lisette Brodey auf Pixabay

Es war einmal, in einem fernen Land namens Italien, ein kleiner Holzjunge, dessen Nase wuchs, wenn er log. Diese liebenswerte Figur, Pinocchio genannt, wurde von einem gutmütigen, älteren Mann namens Geppetto aus einem Holzscheit geschnitzt. Mit seinem unschuldigen Gesicht und seiner kindlichen Naivität stolperte Pinocchio von einem Missgeschick ins nächste, immer begleitet von der unheilvollen Begleiterscheinung seiner wachsenden Nase, wenn die Wahrheit sich allzu sehr verbog.

Einige Jahrhunderte später, in einem ganz anderen Teil der Welt, erblickte ein anderer bemerkenswerter Charakter das Licht der Öffentlichkeit. Dieser Mann, Donald Trump genannt, trat nicht aus einem Holzscheit, sondern aus dem Luxus und Glanz der Immobilienwelt hervor. Seine Nase blieb, soweit wir wissen, stets von normaler Länge, ungeachtet der Wahrheit seiner Worte, was ihn wohl zu einem weit interessanteren Phänomen macht als unseren armen, simplen Pinocchio. Vielleicht wächst ihm bei jeder Lüge ein anderer Körperteil. Aber das ist reine Spekulation.

Auf der einen Seite ein sympathischer Märchenheld, auf der anderen Seite ein realer Politlügner, der Präsident war und gute Chancen hat, es erneut zu werden.

Naivität vs. Kalkül

Pinocchio, der naive kleine Kerl, wollte meist das Richtige tun. Er wollte ein „echter Junge“ sein und war auf der Suche nach Liebe und Akzeptanz. Seine Lügen waren meist von der Art, die man als kindlich und unschuldig bezeichnen könnte. „Ich habe meine Hausaufgaben gemacht“, sagte er, obwohl sein Heft leer war. „Ich war nicht im Vergnügungspark“, obwohl er den Süßigkeitenstand leergefegt hatte. Seine Motive? Angst vor Bestrafung und der kindliche Wunsch, in einem besseren Licht gesehen zu werden.

Donald Trump hingegen – hier haben wir es mit einem wahren Meister des Kalküls zu tun. Seine Lügen, oder wie er sie lieber nennt, „alternative Fakten“, sind strategisch platziert, um die öffentliche Meinung zu manipulieren, Wähler zu gewinnen oder politische Gegner zu diskreditieren. Als er behauptete, sein Amtseinführungspublikum sei das größte in der Geschichte, war das weniger ein kindlicher Wunsch nach Anerkennung als vielmehr ein bewusster Versuch, eine alternative Realität zu schaffen, die seinem Image als unangefochtene Nummer Eins entspricht.

Warum er nun in dem Duell mit Biden bestritten hat, mit einem Pornostar Sex gehabt zu haben, während seine Ehefraz schwanger war, verstehe ich nicht. Ein großer Teil seiner männlichen Wähler wird ihn gerade dafür bewundert haben.

Die Nase als Wahrheitssymbol

Pinocchios wachsende Nase ist ein ikonisches Symbol. Jede Lüge, so klein sie auch sein mag, wird sofort sichtbar gemacht. Dieses physische Merkmal verleiht der Wahrheit eine unbestechliche Direktheit. Pinocchio kann nicht umhin, irgendwann zu beichten, denn seine Nase ist ein unbarmherziger Richter und Verkünder seiner Fehltritte.

Trump hingegen operiert in einer Welt, in der die Nase unverändert bleibt. Stattdessen hat er eine unvergleichliche Fähigkeit entwickelt, die Narrative um seine Aussagen zu kontrollieren. Selbst wenn die Faktenchecker Alarm schlagen, bleibt sein Gesichtsausdruck ungerührt, und seine Unterstützer scheinen bereit zu sein, alle Fakten zu übersehen, so lange die Erzählung stimmt.

Die Reaktionen der Umwelt

Pinocchio wird oft von der Fee mit dem blauen Haar zur Rechenschaft gezogen. Seine Lügen führen zu sofortigen und sichtbaren Konsequenzen – seine Nase wächst, er wird ertappt und muss Reue zeigen. Die Märchenwelt ist gnadenlos in ihrer Bestrafung kindlicher Unaufrichtigkeit, doch zugleich barmherzig, da sie ihm immer wieder die Möglichkeit zur Besserung gibt.

In Trumps Welt jedoch wirken die Konsequenzen seiner Worte oft nebulös und verlagert. Trotz nachweislicher Unwahrheiten gelang es ihm, sich durchzusetzen, zu triumphieren und eine loyale Anhängerschaft zu kultivieren. Von blauer Fee keine Spur,  jeder Schmutz prallt an ihm ab. Die modernen Medien und die polarisierte politische Landschaft bieten ein Umfeld, in dem Lügen oft lediglich als taktische Mittel betrachtet werden und weniger als moralische Fehltritte. Selbst gerichtliche Verurteilungen führen nicht dazu, dass seine Wähler sich von ihm abwenden, im Gegenteil, die stärken sein Narrativ von der Ungerechtigkeit der Justiz.

Moralische Lektionen

Pinocchio lehrt uns, dass Lügen kurze Beine haben und dass am Ende Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit siegen. Er zeigt, dass Reue und der Wunsch, sich zu bessern, belohnt werden. Pinocchio muss durch viele Prüfungen gehen, aber am Ende wird er zu dem, was er immer sein wollte: ein echter Junge. Aber halt nur im Märchen. In der Realität siegt nicht das Gute, sondern das Dreiste.

Trump  liefert ein verwirrendes moralisches Bild. In seiner Welt sind Lügen nicht nur akzeptabel, sondern oft auch notwendig, um zu gewinnen. Der moralische Kompass, sofern er so etwas überhaupt hat, scheint weniger wichtig als das Endziel. Diese Sichtweise wirft grundlegende Fragen auf über die Natur von Wahrheit und Ehrlichkeit in der modernen Politik und Gesellschaft. Sind die überhaupt noch etwas, was den Wähler interessiert?

Sympathie und Abneigung

Es fällt schwer, Pinocchio nicht zu mögen. Trotz seiner Fehler bleibt er ein liebenswerter Charakter, dessen kindliche Naivität und aufrichtiger Wunsch nach Besserung uns rühren. Wir sehen ihn straucheln, fallen und wieder aufstehen – und am Ende jubeln wir, wenn er sein Ziel erreicht.

Bei Trump hingegen sind die Reaktionen polarisiert. Einige bewundern seine Durchsetzungskraft und Fähigkeit, Widrigkeiten zu trotzen – in Bayern würde man wohl anerkennend sagen: A Hund isser scho -, während andere seine Methoden und seine Beziehung zur Wahrheit zutiefst verabscheuen. Seine Persönlichkeit und sein Verhalten provozieren starke Emotionen, die von unerschütterlicher Bewunderung bis zu tiefster Abneigung reichen.

Ein Resümee

Pinocchio und Donald Trump sind zwei Seiten derselben Medaille – beide Figuren, deren Umgang mit der Wahrheit sie unvergesslich macht. Der eine ist eine warnende Märchengestalt, deren wachsende Nase die Notwendigkeit von Ehrlichkeit unterstreicht, während der andere ein moderner Politiker ist, der zeigt, wie flexibel Wahrheit in der realen Welt interpretiert werden kann.

Vielleicht liegt die größte Lektion, die wir aus diesem Vergleich ziehen können, in der Erkenntnis, dass unsere Wahrnehmung von Lüge und Wahrheit stark von der Umgebung und den Konsequenzen geprägt ist, in denen sie stattfinden. Während Pinocchio uns die simpelste aller Wahrheiten lehrt, dass Ehrlichkeit die beste Politik ist, erinnert uns Trump daran, dass die Realität weitaus komplexer und oft beunruhigend relativ ist. In einer Welt, in der Nasen nicht wachsen, bleibt die Verantwortung, die Wahrheit zu suchen und zu verteidigen, letztlich bei uns selbst. Ein Trump kann vermutlich nur darüber lachen. Und uns könnte das Lachen noch vergehen, wenn dieses moralische Vakuum ein weiteres Mal Präsident der vereinigten Staaten wird.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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