Die Muslimische Jugend und der Irrgarten der Muslimbruderschaft
Am 22. Oktober feiert die Muslimische Jugend Österreichs (MJÖ) im Vienna Austria Center mit einem großen Event ihr 20jähriges Bestehen. Eine gute Gelegenheit für die Organisation, reinen Tisch zu machen und ihr Verhältnis zur Muslimbruderschaft endlich abschließend zu klären, meint unsere Gastautorin Nina Scholz.
Die MJÖ begreift sich als Vertretung muslimischer Jugendlicher in Österreich und als Ansprechpartner für Politik und Medien in Fragen Islam, aber auch Integration, Bildung und Jugend. Es liegt in ihrer Verantwortung, Ungereimtheiten, das Verhältnis zur Muslimbruderschaft betreffend, aus der Welt zu schaffen und diesbezügliche Fragen endlich zu beantworten. Wenn, wie bisher, nur zugegeben wird, was sich nach Medienrecherchen nicht mehr bestreiten lässt, schafft das nur eines: Misstrauen.
Rendezvous mit der Muslimbruderschaft?
Die MJÖ war einst Mitglied im FEMYSO, dem Forum of European Muslim Youth and Student Organizations, das dem Netzwerk der Muslimbruderschaft zugeordnet wird. FEMYSO wurde 1996 von der europäischen Dachorganisation der Muslimbruderschaft, der Federation of Islamic Organizations in Europe (FIOE) ins Leben gerufen. Sie ist heute eine Jugendorganisation, die nach eigenen Angaben in 21 europäischen Staaten tätig ist. Gründer und erster Vorsitzender des FEMYSO war kein geringerer als der bekannte deutsche Muslimbruder Ibrahim el-Zayat.
Die Muslimbruderschaft ist die älteste islamistische Organisation der Welt. 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründet, breitete sie sich erfolgreich in der sunnitisch islamischen Welt aus. Die tunesische Ennahda ist ebenso ein Ableger der Bruderschaft wie die palästinensische Hamas oder die algerische FIS. Ziel der weltweit agierenden Bruderschaft ist die Umgestaltung von Staaten und Gesellschaften nach islamischen Kriterien oder kurz gesagt, ein islamischer Staat. Ihre Propaganda betrieb und betreibt sie hauptsächlich über soziales Engagement. Man kann von einer Art Graswurzel-Islamismus sprechen, der über eigene Sozialprojekte und Bildungseinrichtungen, sowie Unterwanderung anderer Organisationen und Projekte versucht, gesellschaftliche Relevanz zu erlangen. Das macht die Muslimbruderschaft gefährlich und für Außenstehende schwer durchschaubar. Jüngstes Beispiel ist der Skandal um die schwedischen Grünen, an deren Spitze es Personen geschafft hatten, die der Muslimbruderschaft nahestehen und im Fernsehen offen ihre Sympathie für diese bekundet hatten. Auf die radikal-islamistischen und antisemitischen Schriften ihrer Vordenker Hasan al-Banna und Sayyid Qutb beziehen sich heute Islamisten und Dschihadisten weltweit. Auch Teile der Bruderschaft griffen immer wieder zu Gewalt und Terror.
Die MJÖ gibt zu, zwischen 2003 und 2005 „außerordentliches Mitglied“ des FEMYSO gewesen zu sein. In einer Richtigstellung, die Profil im Mai 2015 auf Verlangen der Muslimischen Jugend abdrucken musste, heißt es:
Sie [die MJÖ, Anm.] ist nicht Mitglied des europäischen Netzwerks Muslimischer Jugend- und Studentenorganisationen „Femyso“, bei dem sie nur für einen kurzen Zeitraum (2003–2005) außerordentliches Mitglied war; insbesondere hat die MJÖ keine ideologischen oder organisatorischen Verbindungen zur Muslimbruderschaft.
Ideologischer Flirt?
An der Richtigkeit dieser Angaben sind allerdings Zweifel angebracht. Laut einem unwidersprochenen NZZ.at-Artikel soll etwa die Ma’thurat, eine Gebetssammlung von Hasan al-Banna, dem Gründervater der Muslimbruderschaft, auf einem Camp der MJÖ zum Einsatz gekommen sein, versehen mit dem Emblem der MJÖ und einem Vorwort ihres ehemaligen Vorsitzenden Wolfgang Bauer. Hier stellt sich die Frage, warum ausgerechnet ein Buch von al-Banna verwendet wurde, wenn keine ideologischen Verbindungen zur Muslimbruderschaft bestehen.
Im Juni dieses Jahres war die MJÖ auf der von SETA, einem türkischen, der Regierungspartei AKP nahestehenden Thinktank, organisierten und finanzierten „Islamophobie-Konferenz“ in Sarajevo vertreten, an der auch drei Organisationen teilnahmen, die eindeutig dem Umfeld der Muslimbruderschaft zugerechnet werden können. Was für die Zusammenarbeit mit rechten Extremisten gilt, gilt selbstverständlich auch für jene mit Islamisten: Man sollte sich hinterher nicht wundern, wenn man mit ihnen in Verbindung gebracht wird.
Lob den Vordenkern
Ebenso bemerkenswert ist die Tatsache, dass einer der Gründer der MJÖ, der Politikwissenschaftler Farid Hafez, in seinem Buch „Islamisch-politische Denker: Eine Einführung in die islamisch-politische Ideengeschichte“ sowohl die beiden Vordenker Hasan al-Banna und Sayyid Qutb, als auch den aktuellen Chefideologen der Muslimbruderschaft, Yusuf al-Qaradawi, durchwegs positiv darstellt. Den radikalen Islamismus der Genannten und die von ihnen begründete und weitergedachte Idee eines totalitär islamischen Staates wird im Buch verharmlost und zu einer islamisch-demokratischen Einstellung umgedeutet. Der Judenhass dieser islamischen Denker ist dem Autor nicht einmal eine Erwähnung wert. Al-Qaradawi etwa wurde dadurch bekannt, dass er die Todesstrafe für den Abfall vom Islam, 100 Peitschenhiebe als Strafe für Homosexuelle und Selbstmordattentate von Palästinensern befürwortet, den Holocaust für eine Strafe Gottes hält und Hitler für den Mann, dem es gelungen sei, die Juden zurechtzuweisen:
Das war ihre göttliche Bestrafung. So Gott will, wird das nächste Mal diese durch die Hand der Gläubigen erfolgen.
Wäre es vorstellbar, ein Buch über das Denken von Goebbels zu schreiben, ohne auf dessen totalitär völkische Anschauungen und seinen Antisemitismus einzugehen?
In einem Artikel für den Standard hat Hafez im Juli 2013 zudem die ägyptische Muslimbruderschaft als demokratische Kraft und al-Banna sowie al-Qaradawi als Demokraten verteidigt. Das geschah vermutlich in der Hoffnung, man könne kurz nach dem Militärputsch und der neuerlichen Verfolgung der Muslimbruderschaft auf westliche Solidarität bauen und die Organisation – in Kontrast zum brutalen und illegitimen Vorgehen des ägyptischen Militärs – als demokratische Alternative präsentieren.
Ein Betätigungsfeld der weltweit agierenden Muslimbruderschaft ist die „Islamophobie“-Forschung. Daher wundert es nicht, dass auch die der Bruderschaft nahestehende, uns hier interessierende Jugendorganisation FEMYSO sich dieser Thematik annimmt. Brisant ist nun, dass ausgerechnet Farid Hafez als Referent bei FEMYSO auftritt – und zwar nicht vor 2005, sondern im vergangenen Jahr. Zudem war Hafez einer der beiden akademischen Berater der bereits erwähnten „Islamophobie“-Konferenz in Sarajevo im Juni dieses Jahres, auf der er den von ihm mitherausgegebenen und ebenfalls vom AKP-nahen Thinktank SETA finanzierten European Islamophobia Report 2015 vorstellte. Der von Hafez verfasste Österreich-Teil des Reports würde im Übrigen von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7), dem Land Salzburg und den Grünen MigrantInnen Wien mitfinanziert.
Fragen über Fragen
Einige Ungereimtheiten ergeben sich auch, was den von der MJÖ eingeräumten Zeitraum ihrer „außerordentlichen“ Mitgliedschaft bei FEMYSO von 2003 bis 2005 betrifft. Im Annual Report 2003 ist unter den Aktivitäten des FEMYSO das Wintercamp der MJÖ aufgelistet. Die MJÖ wird als Member Organization (MO) bezeichnet. Das klingt eher nach Engagement und ganz normaler Mitgliedschaft denn nach „außerordentlicher“.
Entgegen der Behauptung der MJÖ, im Jahr 2005 nach nur zwei Jahren Mitgliedschaft wieder aus dem FEMYSO ausgeschieden zu sein, entdeckte die Journalistin Elisalex Henckel bei ihrer Recherche für den bereits erwähnten NZZ-Artikel ein anderslautendes Dokument. Auf der Internetseite der Jungen Musliminnen Österreichs (JMÖ), einer Unterorganisation der MJÖ, fand sie noch im Oktober 2015, also zehn Jahre nach dem behaupteten Austritt, folgendes Statement:
Auf europäischer Ebene arbeitet die MJÖ als Mitglied des europäischen Dachverbands „Forum of European Muslim Youth and Student Organizations (FEMYSO)“, der seinen Sitz in Brüssel hat und Teil des „European Youth Forum“ (EYF) ist.
Dudu Kücükgöl, 2015 Vorstandsmitglied der MJÖ, äußerte am 30. Oktober 2015 auf Facebook Unmut über die Journalistin und unterstellte ihr ein „islamophobes Weltbild“. Den Fund erklärte sie folgendermaßen: „Manchmal sind veraltete Dokumente noch online. Soll ja vorkommen, auch in den besten Familien.“
Allein, es kommt noch skurriler: Da das Internet nichts vergisst – Fluch und Segen zugleich – lässt sich über das Webarchiv nachweisen, dass jenes Dokument überhaupt erst nach September 2007 online gestellt worden war, also 2 Jahre nach dem behaupteten Austritt aus dem FEMYSO. Erscheint es noch nachvollziehbar, dass vergessen wurde, ein altes Dokument zu löschen, so wirft der Umstand, dass dieses Dokument erst nach dem angeblichen Austritt aus der Muslimbruder-Organisation online gestellt wurde, dann doch Fragen auf. MJÖ und JMÖ ließen die diesbezüglichen Nachfragen der Autorin unbeantwortet. Die MJÖ erklärte stattdessen: „Die Fragestellungen beziehen sich allesamt auf die Vergangenheit und sind für uns irrelevant.“
Die Aufarbeitung dunkler Flecken der eigenen Vergangenheit ist jedoch keineswegs irrelevant, sondern eine wesentliche Voraussetzung für Glaubhaftigkeit und dafür, aus den eigenen Fehlern zu lernen und zukünftig die Anbindung an extremistische Organisationen zu vermeiden – so man das will.
Der Ball liegt bei der MJÖ
Unabhängig von dieser verwirrenden Geschichte sollte die MJÖ als staatlich subventionierte Jugendorganisation offenlegen, welche Gründe sie damals bewogen haben, einer Jugendorganisation der Muslimbruderschaft beizutreten und welche Gründe sie dann wieder zum Austritt veranlassten. Politik und alle Einrichtungen, die mit der MJÖ zusammenarbeiten, wären gut beraten, darauf zu bestehen, dass die MJÖ hier ohne Wenn und Aber Aufklärung leistet. Sie laufen andernfalls Gefahr, durch ihre Anwesenheit bei MJÖ-Veranstaltungen bzw. durch Einladung von MJÖ Mitgliedern eine Organisation aufzuwerten, deren Verhältnis zum Netzwerk der Muslimbruderschaft nach wie vor ungeklärt ist. Es liegt an der MJÖ selbst, diesen Zustand zu beenden.
Eine Kurzversion dieses Artikels erschien gestern in der österreichischen Tageszeitung „Kurier“.
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