Unglaublich unwissenschaftliche Unverständlichkeiten

Unentbehrlicher Unsinn zur Unzeit – unzufriedenes und ungenaues Unwissen über Un.


Ist ein Unwort eigentlich ein Wort? Eine Untat ist auch eine Tat, ein Unkraut ist ein Kraut, ein Unmensch ist ein Mensch. Also ist ein Unwort vermutlich auch ein Wort. Alles andere wäre ein Unding, das ja auch ein Ding ist. (bei der Untiefe habe ich nie verstanden, ob sie nun eine Tiefe ist oder nicht. Wikipedia hilft da auch nicht weiter, denn auch eine geringe Tiefe ist ja eine Tiefe.)

Die Untaten der Unmenschen

Undinge wie Unkräuter, Untaten und Unmenschen sind irgendwie zwar Dinge, aber sie benehmen sich nicht so, wie man das von den Dingen erwartet oder erhofft. Sie sind unanständig (was dann aber keine besondere Form von Anständigkeit ist). Damit können Undinge eigentlich keine Begriffe der Wissenschaften sein, denn die Wissenschaft bewertet nicht, sie beschreibt nur, wie die Dinge sind, und sie erklärt, wie sie so werden, wie sie sind. Da macht die Wissenschaft keinen Unterschied zwischen dem Kraut und dem Unkraut – das macht der Gärtner, der die einen Kräuter haben will und die anderen nicht.*

Dem Wissenschaftler sind alle Kräuter gleich lieb, er will sie nicht essen, er will sie verstehen. Alles andere wäre unwissenschaftlich, was dann allerdings eben gerade auf keinen Fall wissenschaftlich ist, so, wie das Ungeheure nicht geheuer ist, die Unzufriedenheit nicht zufrieden ist, das Unmenschliche nicht menschlich – ach nein, stimmt nicht, das Unmenschliche ist vielleicht sogar zutiefst menschlich.

Es ist unglaublich mit diesem un – wobei das nicht heißt, das wir es nicht glauben können, so wie wir das unverständliche nicht verstehen. Das Unglaubliche glauben wir ja sogar besonders gern – man muss uns nur beteuern, dass es unglaublich ist – aber wahr. Nur die Unwahrheit sollten wir nicht glauben, das wäre unklug.

Unsinn und Sinn

Sprachwissenschaftler können diese unübersichtliche Ungetüm „Un“ erforschen, beschreiben, systematisieren. Sie können Sinn in den ganzen Unsinn bringen, den ich hier bisher ausgebreitet habe. Sie bewerten dabei nicht, ob das nun gut oder schlecht ist, was diese Vorsilbe Un mit den Wörtern macht. Sie wollen es nur verstehen.

Manchen von ihnen reicht das aber nicht. Sie wollen die guten von den bösen Wörtern trennen, sie wollen uns sagen, was wir sagen sollen und was nicht. Sie wollen festlegen, was die Unworte sind, die nur von Unmenschen für ihre Untaten benutzt werden.

Dieses Mal ist es also der Gutmensch. Eigentlich ein spannendes Wort. Es wäre wirklich interessant, was den Gutmenschen vom guten Menschen unterscheidet. Ist es das Gleiche, wie der Unterschied des Schöngeists vom schönen Geist?  Unterscheiden sich die beiden genauso voneinander wie der Vollidiot und der volle Idiot, oder eher so wie der Neubürger von neuen Bürger? Wie kommen solche Wortverbindungen zustande, wie entwickeln sie sich, wie verändern sie Bedeutungen?

Das alles kann Wissenschaft erforschen und uns mitteilen, damit wir – frei entscheidend – bewusster mit unserer Sprache umgehen und nicht unbewusst Unsinn reden.

Aber uns Vorschriften zu machen, wie wir reden sollen, um gute Menschen zu sein – das ist unnützer Unfug – noch dazu zur Unzeit und alles andere als unentbehrlich.

*(In der Kritik der vernetzten Vernunft habe ich mal geschrieben, dass die Trolle das Unkraut des Internet sind – ein oft missverstandener Satz, bei dem viele Leser ignoriert haben, dass ich direkt danach schrieb, dass es die Entscheidung des Gärtners ist, welches Kraut er liebt, und welches er vernichten will.)

Lesen Sie auch die letzte Kolumne von Jörg Friedrich zur Trauer um berühmte Künstler.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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