Der „Gutmensch“ – berechtigte Moralkritik?

Ist die Verwendung des Begriffs Gutmenschen oder Gutmenschentum demokratiefeindlich? Oder offenbart vielmehr die Kritik an der Verwendung eine intolerante Gesinnung der Kritiker?


Vor vier Jahren erschien in der „Welt“ ein Artikel , der die zweifelhaften Qualifikationen der Piratenpartei als Hüter von Moral und Political Correctness untersuchte. Weil deren Gebaren dabei als „Gutmenschentum“ bezeichnet wurde, brach ein Shitstorm los, in dem vielfach bekräftigt wurde, welche ein Unwort, gar ein „Nazi-Wort“ Gutmensch sei.

Wer einen anderen als Gutmenschen diskreditiert, schien bisweilen der Tenor, sei eine Auseinandersetzung gar nicht wert. Diese Denkungsart geht auf ein interessantes Missverständnis zurück, das mit der Gesellschaft für deutsche Sprache (GdfS) und dem Deutschen Journalistenverband von renommierten Organisationen genährt wird.

Aktuell wurde der  Begriff Gutmensch sogar zum Unwort des Jahres 2016  gewählt. „Mit dem Vorwurf ‚Gutmensch‘, ‚Gutbürger‘ oder ‚Gutmenschentum‘ würden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert.“ heißt es in der Begründung.

Aber halt halt. Alles der Reihe nach: dem Mitmenschen Gutes zu tun, jenen unter die Arme zu greifen, mit denen es das Schicksal nicht gut gemeint hat, das sind tatsächlich des Menschen edelste Eigenschaften. Ohne die gelebte Solidarität, Christen nennen sie ‚Nächstenliebe‘, wäre die moderne Zivilisation undenkbar. Erst das Wissen, dass ein jeder von uns im Ernstfall nicht alleine ist, erlaubt es planend vorauszuschauen, statt nur die je am nächsten liegenden Dinge zu betrachten.

Begriff Gutmensch wird zum Kampfbegriff diskreditiert

Wenn die GdfS behauptet, der Begriff Gutmensch diskreditiere das ethische Ideal des guten Menschen, so erklärt sie diesen zum reinen Kampfbegriff. Dabei übersieht sie geflissentlich, dass „Gutmensch“ gar nicht solche Menschen meint, die nach bestem Wissen und Gewissen Gutes tun, sondern solche, die ihre Moral zur einzigen rein gültigen erklären.

Und damit nicht genug: Ähnlich wie der Ausdruck Wutbürger, so die selbsternannten Sprachwächter in einer früheren Publikation, widerspreche der abwertend verwendete Ausdruck Gutmensch Grundprinzipien der Demokratie, da er das Aushandeln gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationaler Diskussion verunmögliche.   Die GdfS argumentiert ganz, als bezeichneten „Wutbürger“ und „Gutmensch“ nicht Phänomene, die im deutschen Alltag regelmäßig zu beobachten sind. Doch „Wutbürger“ und „Gutmenschen“ existieren.

Erstere sind Protestler, die alltägliche politische Interessenskonflikte zu existenziellen Kämpfen aufbauschen, und die zweiten sind nichts anderes als „Moralisten“, also Menschen die ihre eigene Moral unabhängig von allen realen Gegebenheiten verabsolutieren und von dieser sicheren Warte auf den Rest der Welt herabschauen. Wutbürger und Gutmenschen existieren, wie einst auch der „Spießer“ existierte: als polemische Zuspitzung, die gesellschaftliche Realitäten zumindest berührt.

Jürgen Hoppes vielfach zitierte Behauptung

Wenn die GdfS solche Polemik als demokratiefeindlich geißelt, übersieht sie, dass auch der Streit zu einer funktionierenden Demokratie gehört, und sie begibt sich zugleich ganz offen auf das angebliche Niveau derer, die man mit der Wahl zum Unwort des Jahres zu treffen versucht.

Mit der unhinterfragten Autorität im Nacken, die deutsche Sprache rein zu halten von unliebsamen Begriffen, spricht die im Übrigen keinesfalls demokratisch gewählte GdfS all denen, die den Begriff „Gutmensch“ gebrauchen, die Demokratiefähigkeit ab.

Noch weiter als die GfdS geht ein Memo des Deutschen Journalistenverbandes von 2006, auf das sich bis heute auch die meisten Kritiker des Begriffs berufen. Dort wird mit Berufung auf den WDR-Journalisten Jürgen Hoppe die bis heute vielfach zitierte Behauptung aufgestellt, dass es sich bei „Gutmensch“ um einen von Nazis geprägten Begriff handele. Er sei verballhornend von dem jiddischen „a gutt mensch“ abgeleitet, und womöglich von Goebbels persönlich benutzt worden.

Mindestens aber sei „Gutmensch“ als pejorative Bezeichnung in einer Ausgabe des „Stürmer“ von 1941 nachzuweisen. Der freie Journalist Tom Schimmeck erklärte die Vokabel „Gutmensch“ auf dem Mainzer Mediendisput gar explizit zum „Nazi-Wort“.

Keine Belege im „Stürmer“

Dem widerspricht selbst die Gesellschaft für deutsche Sprache: „Unser Erstbeleg zu Gutmensch stammt aus dem Jahr 1985: In der US-amerikanischen Zeitschrift ,Forbes‘ wurde Gutmensch auf den damaligen Gewerkschaftsführer Franz Steinkühler (IG Metall) bezogen.“ Belege für die wilde Spekulation, Gutmensch sei von den Nazis erfunden worden, hatte schon Alan Posener 2007 auf „Welt Online“ eingefordert , allerdings keine Antwort erhalten.

Das ist kein Wunder. Mit ein wenig Recherchearbeit lässt sich leicht feststellen, dass in der betreffenden Ausgabe des „Stürmer“ zwar tatsächlich gegen „wohlmeinende“, oder „gute“ Menschen gehetzt wird, und man ihnen vorwirft, hinter ihrer netten Fassade in Wahrheit eine finstere Agenda zu verfolgen.

Jedoch findet weder der Begriff „Gutmensch“ Gebrauch, noch wird dabei das Phänomen beschrieben, das heute mit „Gutmensch“ kritisiert wird. Ein Gutmensch ist ja alles andere als ein Mensch, der seine wahren Absichten verschleiert. Nichts läge ihm ferner.

Dem Gutmenschen ist es todernst mit seiner Moralität, er ist ein Moralapostel, der auch wo seine Moral schädliche Konsequenzen zeitigen könnte, streng an ihr fest hält. Das fällt ihm leicht, denn ihm selbst geht es meist nicht schlecht, und die Konsequenzen treffen in der Regel andre weit heftiger als ihn.

Wenn trotz der klaren Faktenlage immer wieder Versuche unternommen werden, Menschen die den Begriff „Gutmensch“ gebrauchen, mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen, weist das darauf hin, dass den so argumentierenden nicht an berechtigter Kritik an einem polemischen Begriff gelegen ist, sondern an Diffamierung. Mit Nazis diskutiert man nicht, das lernt heute jedes Kind.

Auf menschenfeindlichen Sprachgebrauch hinweisen

Gerade Liberale und Konservative, die seit Erscheinen des „Wörterbuch des Gutmenschen“ von Klaus Bittermann mit dem Begriff jene neuere Linke beschreiben, die sich mit Ökologismus, einem wohlfeilen Antiimperialismus, eindeutig reaktionäre Positionen zu eigen gemacht haben, können wie nun auch wieder in den Kommentarspalten auf „Welt Online“ zu erleben war, so leicht in die rechte Ecke gestellt werden.

Und dort gehören sie, so scheint es ja auch die Gesellschaft für deutsche Sprache zu sehen, hin. Immerhin impliziert schon deren Erklärung aus dem Jahre 2012, dass wer den Begriff Gutmensch benutzt, sich außerhalb des demokratischen Konsens stelle. Man könnte dieses Spiel nun immer weiter spielen.

Die GdfS, die sich anhand eines Wortes anmaßt zu erklären, die Grenzen des Demokratischen abzustecken, wäre ein leichtes Ziel. Aber sicher falsch: Immerhin hat die GdfS in der Vergangenheit etwa durch die Auszeichnung von Begriffen wie „sozialverträgliches Frühableben“ tatsächlich einen wertvollen Beitrag geleistet, wenn es darum geht, auf menschenfeindlichen Sprachgebrauch hinzuweisen.

Doch selten ist der Sprachgebrauch das Problem, fast immer ist es das Denken, das dahinter steht. Vielleicht ist „Gutmensch“ tatsächlich ein Begriff, der die Feinbestimmung leicht, und die Debatte schwierig macht ? Eine Debatte, die doch darum kreisen müsste, wessen Denken problematischer ist. Das Denken derer, die einen bestimmten Charaktertypus als Gutmenschen bezeichnen? Oder doch das Denken der, in Ermangelung eines anderen Begriffes: Gutmenschen?

Hasso Mansfeld

Mit seinen Kampagnen Ostpakete für den Westen und Bio goes Lifestyle setzte Hasso Mansfeld gesellschaftliche Akzente. Er ist Diplom-Agraringenieur und fand durch seine Karriere in der Markenartikel-Industrie zur Publizistik. Viermal wurde er mit dem deutschen PR-Preis ausgezeichnet. Gemeinsam mit Christoph Giesa organisierte er die Facebookkampagne „Joachim Gauck als Bundespräsident“ und hat die liberale Ideenschmiede FDP Liberté im Netz initiiert. Mansfeld trat als Kandidat der FDP für die Europawahl an. Hasso Mansfeld arbeitet als selbstständiger Unternehmensberater und Kommunikationsexperte in Bingen am Rhein.

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