Needles and Pins

Ich weiß nicht, ob es einen „Anschlag“ auf Herrn Chrupalla gab oder nicht. Nur für den Fall, dass es diesen nicht gab, käme der § 145d StGB in Betracht. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von sutulo auf Pixabay

Nachdem zunächst von einem Anschlag, manche sprachen sogar von einem feigen Mordanschlag, auf Timo Chrupalla die Rede war, nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf. Der Berg kreißte kurz und bisher sieht man nur den Schatten einer Maus. Parturient montes, nascetur ridiculus mus.  Mag sein, dass die sich noch zu etwas Größerem entwickelt, vielleicht aber eben auch nicht.

Die toxikologische Untersuchung sei unauffällig gewesen, erfuhr angeblich die BILD aus Ermittlerkreisen. Lediglich zwei Schmerzmittel waren im Blut, die aber vor Ort von einem Arzt verabreicht wurden. Soweit in einem von Chrupallas Büro veröffentlichtem Entlassbericht von einer „intramuskulären Injektion“ oder einer „Injektion mit unklarer Substanz“ die Rede war, beruhte dies wohl nur auf einer bildlichen Beschreibung der Hautstelle und ansonsten auf den eigenen Angaben Chrupallas selbst. Der Begriff der unklaren Substanz passt auf dieses Verfahren wunderbar. Nichts Genaues weiß man nicht. Und die Ermittlungsbehörden haben bisher jedenfalls  keinerlei Erkenntnisse darüber, dass Herr Chrupalla angegriffen oder angegangen wurde. Gleichwohl war es dem Mann ja nun schlecht, und er wurde in ein Krankenhaus gebracht. Ob das also alles nur Fake ist, kann man ebenfalls nicht sagen.

Anfangsverdacht

Dass die Staatsanwaltschaft erst einmal aufgrund eines Anfangsverdachts gegen Unbekannt ermittelt, ist völlig in Ordnung. Ein Anfangsverdacht ist schnell da und häufig genauso schnell wieder weg. Sollte sich allerdings herausstellen, dass an der Sache so gar nichts dran ist, dann wird die StA trotzdem weiter ermitteln müssen. Und dann eben in Richtung der/des Anzeigeerstatters. Ich weiß gar nicht, ob das Herr Chrupalla oder jemand aus seinem Umfeld war, ja ich weiß nicht einmal, ob überhaupt Strafanzeige erstattet wurde. Die Staatsanwaltschaft muss ja schon ermitteln, wenn die von irgendwoher einen Anfangsverdacht nehmen kann. Dazu bedarf es gar keiner Anzeige.

§ 145d StGB

Der § 145d des Strafgesetzbuchs (StGB) regelt das Vortäuschen einer Straftat. Dieser Paragraf dient dem Schutz der Rechtssicherheit und Integrität des Strafverfolgungssystems, indem er das absichtliche Täuschen der Strafverfolgungsbehörden unter Strafe stellt:

§ 145d

Vortäuschen einer Straftat

(1) Wer wider besseres Wissen einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht,

1. daß eine rechtswidrige Tat begangen worden sei oder

2. daß die Verwirklichung einer der in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Taten bevorstehe,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 164, § 258 oder § 258a mit Strafe bedroht ist.

(2) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen eine der in Absatz 1 bezeichneten Stellen über den Beteiligten

1. an einer rechtswidrigen Tat oder

2. an einer bevorstehenden, in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat

zu täuschen sucht.

(3) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

1. eine Tat nach Absatz 1 Nr. 1 oder Absatz 2 Nr. 1 begeht oder

2. wider besseres Wissen einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen vortäuscht, dass die Verwirklichung einer der in § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 dieses Gesetzes, in § 31 Satz 1 Nummer 2 des Betäubungsmittelgesetzes oder in § 4a Satz 1 Nummer 2 des Anti-Doping-Gesetzes genannten rechtswidrigen Taten bevorstehe, oder

3. wider besseres Wissen eine dieser Stellen über den Beteiligten an einer bevorstehenden Tat nach Nummer 2 zu täuschen sucht,

um eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b dieses Gesetzes, § 31 des Betäubungsmittelgesetzes oder § 4a des Anti-Doping-Gesetzes zu erlangen.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

Sinn und Zweck des § 145d StGB

Der § 145d StGB verfolgt das hehre Ziel, die Integrität des Strafrechtssystems zu bewahren und vor Missbrauch zu schützen.  Das macht Böhmermann auch, aber irgendwie unterhaltsamer.

Das Vortäuschen einer Straftat kann erhebliche Auswirkungen auf die Ermittlungen haben und unschuldige Personen unnötig belasten. Die zuständigen Staatsorgane sollen nicht durch vorgetäuschten Firlefanz in ihrer Einsatzfähigkeit beeinträchtigt und damit Ressourcen verplempert werden. Durch die Einbeziehung erst noch bevorstehender Straftaten (jeweils Nr. 2) wurde dieser Schutz über die Strafverfolgungsorgane hinaus auch auf die Präventivorgane, insbesondere die Polizeibehörden, erstreckt. Im Vordergrund steht dabei aber nicht etwa die wirtschaftliche Schädigung der Behörde, sondern die Beeinträchtigung ihrer Fähigkeit, die ihr kraft Gesetz übertragenen Aufgaben wahrzunehmen.

Die Behörden haben schon genug mit echten Delikten zu tun und sollen sich nicht zusätzlich noch um Faketaten kümmern müssen. Geschützt werden dabei aber nur unsere inländischen Behörden. Gegenüber ausländischen Behörden greift § 145d nicht. Wenn Sie demnach einer schweizer Behörde etwas von einem Anschlag erzählen, dann machen Sie sich in Deutschland jedenfalls nicht strafbar.

Die Bestrafung von Straftatenvortäuschungen soll auch gewährleisten, dass Strafverfahren auf halbwegs zuverlässigen Informationen basieren und nicht auf Täuschungen.

Anwendung des § 145d StGB

§ 145d StGB findet Anwendung, wenn jemand vorsätzlich eine Straftat vortäuscht oder bewirkt, dass eine solche Vortäuschung vorgetäuscht wird. Die Strafe ist eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu maximal fünf Jahren.

Beispiele für mögliche Tatbestände:

Falsche Anzeige einer Straftat: Eine Person erstattet bei der Polizei eine Anzeige über einen angeblichen Diebstahl oder eine Körperverletzung, obwohl dieser Diebstahl oder diese Körperverletzung nie stattgefunden hat und die Anzeige rein fiktiv ist.

Rufschädigung: Eine Person verbreitet gezielt falsche Gerüchte über eine andere Person, indem sie gegenüber den Behörden vortäuscht, dass diese Person eine Straftat begangen habe. Da läge allerdings gleichzeitig eine Verleumdung vor, die dem Vortäuschen der Straftat rechtlich vorgeht.

Es müssen alle Tatbestandsmerkmale erfült sein, bevor eine Verurteilung wegen des Vortäuschens einer Straftat möglich ist.

Objektiver Tatbestand

Nehmen wir zunächst den objektiven Tatbestand.

Die Tathandlung besteht darin, entweder über eine angeblich begangene rechtswidrige Tat (§ 11 I Nr. 5) oder aber eine angeblich bevorstehende Katalogtat des § 126 I StGB zu täuschen. Diese Katalogtaten habe nichts mit einem Otto-Katalog zu tun, sondern sind eine Aufzählung ziemlich übler Straftaten:

1.

einen der in § 125a Satz 2 Nr. 1 bis 4 bezeichneten Fälle des Landfriedensbruchs,

2.

eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Fällen des § 177 Absatz 4 bis 8 oder des § 178,

3.

einen Mord (§ 211), Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder ein Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches),

4.

eine gefährliche Körperverletzung (§ 224) oder eine schwere Körperverletzung (§ 226),

5.

eine Straftat gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 232 Absatz 3 Satz 2, des § 232a Absatz 3, 4 oder 5, des § 232b Absatz 3 oder 4, des § 233a Absatz 3 oder 4, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 239a oder 239b,

6.

einen Raub oder eine räuberische Erpressung (§§ 249 bis 251 oder 255),

7.

ein gemeingefährliches Verbrechen in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 3, des § 309 Abs. 1 bis 4, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3, des § 316a Abs. 1 oder 3, des § 316c Abs. 1 oder 3 oder des § 318 Abs. 3 oder 4 oder

8.

ein gemeingefährliches Vergehen in den Fällen des § 309 Abs. 6, des § 311 Abs. 1, des § 316b Abs. 1, des § 317 Abs. 1 oder des § 318 Abs. 1

Als weitere Möglichkeit gibt es die Täuschung über Beteiligte an einer begangenen rechtswidrigen Tat (§ 11 I Nr. 5) oder an einer bevorstehenden Katalogtat des § 126 I.

Nun reicht es nicht, seine Oma oder seine Parteigenossen oder auch nur die Presse zu täuschen. Denn Adressat der Täuschung muss eine Behörde oder ein Gericht (§ 11 I Nr. 7) oder aber eine zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle (§ 158 I StPO) sein.

Wenn dies objektiv geschehen ist, braucht es noch die Erfüllung des sogenannten subjektiven Tatbestands. Das bedeutet, dass der Täter oder die Täterin einen Vorsatz bezüglich der Tathandlung haben muss und die Täuschungshandlung wider besseres Wissen erfolgt ist.

Glaubt also jemand, mit einer Nadel gestochen und dabei womöglich vergiftet worden zu sein, so darf er das selbstverständlich auch angeben. Auch wenn er niemanden gesehen hat. Schließlich gibt es ja bekanntlich seit der Genesis diese invisible touches.

Weiß er allerdings, dass der Stich, den er abbekommen hat von der Nadel eines frisch ausgepackten Hemdes stammt oder von der alten Brosche einer Verehrerin, die ihn kräftig umarmt hat, dann muss er das auch sagen und nicht die Polizei tagelang nach der Nadel im Heuhaufen suchen lassen.

Wie bei allen Strafsachen müssen noch Rechtswidrigkeit und Schuld dazukommen, die allerdings in der Regel vorliegen, falls nicht irgendein Rechtsgrund, wie z.B. eine Geisteskrankheit diese ausschließt.

Ob es überhaupt zu einem Verfahren gegen Herrn Chrupalla oder jemanden aus seinem Umfeld kommen wird, kann man derzeit nicht sagen. Übermäßig wahrscheinlich ist das aber nicht.

Bis dahin sollten wir das tun,was wir immer tun sollten = das Ergebnis der Ermittlungen abwarten.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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