Wehret den Anfängen
Das Erstarken der AfD, vor allen in den neuen Bundesländern; ein AfD Landrat in Thüringen, rechte Tendenzen im Polizeiapparat, eine schweigsame Industrie sowie die Bagatellisierung und Vertuschung von Nazi-Terror: Es ist Zeit dem Warnruf „Wehret den Anfängen“ mehr Gewicht zu geben. Eine Kolumne von Georg Stamelos
Bild von Bernhard Riedl auf Pixabay
Lange war der historische Vergleich vom Übergang der Weimarer Republik zu Nazideutschland mit heutigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen verpönt. Wer in den 90er das Sprichwort „Wehret den Anfängen“ in den Mund nahm, galt wahlweise als Defätist, überkritisch oder ignorant.
Am erreichten Wohlstand, dem wiedererlangten Ansehen Deutschlands in der Welt und der eigenen, geschichtsgeklitterten Familiengeschichte durfte nicht gerüttelt werden. Wie sehr aber nationalsozialistisches Gedankengut und rassistischer Hass auch nach 1945 institutionell in den Rechtsstaat der jungen Bundesrepublik einwirkten, das zeigen leider nicht nur Filme wie „Der Staat gegen Fritz Bauer“ oder gedankenlos übernommene Nazi-Sprüche in der Werbung.
Mit dem zu trauriger Berühmtheit gelangten Ausspruch „Jedem das Seine“ –Er steht über dem Eingangstor der Gedenkstätte Buchenwald– warben im Januar 2009 die Konzerne Tchibo und Esso in einer gemeinsamen Plakataktion an mehr als 700 Tankstellen in ganz Deutschland für eine neue Kaffeesorte.
Rechte Brutalität im Alltag, rechte Ideologie in den Parlamenten
Die unfassbare Brutalität rechter, rassistischer Gesinnung brach und bricht sich auch in der Realität Bahn. Davon zeugen die Mordanschläge in Solingen und die NSU-Morde. Sie sind nicht nur furchtbare Gräueltaten, sondern belegen auch eine perfide Täter-Opfer-Umkehr als auch institutionelles Vertuschen und behördliche Mitschuld.
Der erst 2019 verübte Mord an Walter Lübcke schließlich zeigt, dass das erstarkte Selbstbewusstsein faschistoider Brandstifter und ihrer mutmaßlichen Erfüllungsgehilfen nicht einmal mehr vor politischen Amtsträgern halt macht. Bedrohlich ist dies in zweierlei Hinsicht. Einerseits erzeugen all diese Ereignisse Angst und schaffen Misstrauen in die Durchsetzungsfähigkeit unseres Rechtsstaates. Andererseits ermutigt diese grässlich zur Schau gestellte Virilität, die seit Jahren auch in die Landesparlamente und sogar den Bundestag Einzug gehalten hat, viele, sich dieser menschenverachtenden Ideologie anzuschließen. Auf der Straße in den Medien und sogar in den politischen Plenen nehmen Ihre Vertreter mittlerweile unverhohlen rhetorische Anleihen bei nationalsozialistischer Symbolik und Sprache.
Und nun markiert die Wahl Robert Sesselmanns zum Landrat des Kreises Sonneberg einen weiteren Dammbruch. Seine Wahl in ein kommunales Spitzenamt wird zum berühmten ersten Mal. Für die im Umfragehoch befindliche AfD ist sein Sieg eine willkommene Premiere und Rückenwind für Wahlen im kommenden Jahr, vor allem die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowie die Kommunalwahlen in Thüringen.
Friedmanns Dialektik trifft wunden Punkt
In einem 2018 geführten Doppelinterview der WELT mit Sigmar Gabriel, Sohn eines Nazis, und Michel Friedman, Sohn verfolgter jüdischer Eltern, sagte der Jurist, Politiker und Publizist Friedmann dialektisch:
Wer bei den heutigen Ereignissen noch von „Wehret den Anfängen‘“ redet im Zusammenhang mit dem, was wir damals erlebt haben, hat überhaupt nichts begriffen. NPD, Wehrsportgruppe Hoffmann, NSU, Beteiligung von staatlichen Stellen, jetzt die AfD, da stelle ich die Frage: Haben wir wirklich den Anfängen gewehrt?
So, wie sich die Lage darstellt, müssen wir mit einem klaren Ja und Nein antworten. Einerseits gibt es nach wie vor eine breite Mehrheit in der Bevölkerung, die Rassismus, Nationalsozialismus und Isolationismus ablehnt. Doch je unsicherer die politische Lage, je schwächer unsere derzeitige Regierung sich in Sachen Lösungskompetenz darstellt und wichtige Themen wie Bildung, soziale Gerechtigkeit, Energiepolitik nicht sichtbar voranbringt, desto mehr verfangen irrationale Ressentiments und schwächen das Fundament unserer Demokratie.
Die Wirtschaft schweigt
Gerade in einem solch gesellschaftspolitischen Vakuum braucht es eine klare Positionierung starker Kräfte in Deutschland – wie zum Beispiel die der Wirtschaftsführer.
Doch während Unternehmer sich nicht vor Kritik an der Bundesregierung scheuen, halten sie sich merklich zurück, wenn es um den Höhenflug der AfD geht, so der Politikchef des Handelsblatt, Thomas Sigmund, in seinem Kommentar Anfang Juni. Geht es nach ihm, gibt es gute Gründe, sich in die gesellschaftspolitische Debatte einzumischen.
Keine andere Partei grenze andersdenkende Menschen so aus, diffamiere und diskriminiere sie.
Längst ist ein gesellschaftlicher Diskurs im vollen Gang, der sich auch in die vielfältig aufgestellten Betriebe mit ihren Millionen von Beschäftigten hineinfrisst“,
so Sigmund.
Denn ohne Werte wie Toleranz und Liberalität wäre eine Exportnation wie Deutschland nicht denkbar. Wenn die Wirtschaft sich aus diesen Debatten nicht komplett verabschieden will, muss sie hier Position beziehen. Stattdessen herrscht auf Seiten der wirtschaftlichen Spitzenverbände Stillschweigen. Die Zurückhaltung macht hellhörig. Denn auch die Geschichte lehrt uns, dass es nicht reicht, Abgeordnete rechtsextremer Parteien und andere Vertreter verfassungsfeindlicher Anschauungen stillschweigend von Veranstaltungen auszuschließen. Es braucht offen formulierte und tatenreiche Zivilcourage gegen das Fortschreiten rechtsradikaler Gesinnung. Unternehmen, die sich mit rechtsnationalen Strömungen gemein machen, müssen öffentlich gemacht werden. Wirtschaftsverbände und andere Branchengrößen müssen sich klar distanzieren.
Am Ende der Weimarer Republik unterstützten Industrielle Adolf Hitler, in der Hoffnung ihn zu zähmen und für eigene Zwecke einspannen zu können. Statt ihn an die Wand zu klatschen wie eine Fliege, hatte Hitler letztendlich sie am Haken.
Ein Beispiel dafür die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft. Wikipedia beschreibt sie als eine am 1. Juni 1933 vom Reichsstand der Deutschen Industrie (RStDI) eingeführte Spende zugunsten der NSDAP. Die Abgabe wurde nach dem Führer der NSDAP, Adolf Hitler, benannt und war dazu bestimmt, den „nationalen Wiederaufbau“ zu unterstützen. De facto standen die Geldmittel Hitler zur persönlichen Disposition zur Verfügung.
Angeregt wurde diese Spendenaktion für den Nationalsozialismus im Frühjahr 1933 von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Hjalmar Schacht und Martin Bormann. Bei einem Treffen von Hitler, Göring und Schacht mit Vertretern wichtiger Unternehmen wie IG Farben, Friedrich Krupp AG, Vereinigte Stahlwerke, AEG, Siemens AG, Adam Opel AG erläuterte Hitler die Grundzüge seiner Politik und versprach dabei die Ausschaltung der Gewerkschaften, sowie das Ende aller demokratischen Verfahren für die nächsten Jahrzehnte.
Ovids Mahnung
Wehre den Anfängen! Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn die Übel durch langes Zögern erstarkt sind“,
schrieb einst der Dichter Ovid.
Principiis obsta. Sero medicina parata, cum mala per longas convaluere moras“,
so der Ursprungstext der heutigen Redewendung. Zwar ging es ihm damals um das Verhalten in Liebesangelegenheiten. Aber müssen wir nicht auch aus Liebe entschiedener gegen Hass, Menschenfeindlichkeit und ideologischen Wahn auftreten?
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