Das Ringen um die Singularität

„Dave“ von Raphaela Edelbauer ist ein interessanter KI/Sci-Fi-Roman, der manchmal etwas gezwungen wirkt, findet Literaturkolumnist Sören Heim.


Ich finde Raphaela Edelbauer großartig. Konkurrenz um den witzigsten Literaten Twitter-Account macht ihr allerhöchstens noch Clemens Setz; doch Edelbauer lädt auch immer wieder witzige Videos und absurde Lieder auf Twitter und TikTok hoch , sodass ihr die Online-Krone kaum zu nehmen sein dürfte. Meist sind die kurzen Texte und Wort/Bild-Schnipsel nicht nur lustig, sondern auch klug.

Ihr Debüt, Das flüssige Land, wirkte allerdings eher groß gemeint als dann auch entsprechend gelungen. Ein bisschen sehr auf literarisch getrimmt, ein bisschen sehr auf philosophisch “deep”, dann aber ohne die rechte Konsequenz. Durchaus ein beachtenswerter erster Roman, aber: Man merkte dem Text dieses Getrimmtsein an. Dabei spreche ich nicht über die realen Mühen, die dahinter stehen, es ist irrelevant ob an einem Werk 7 Tage geschrieben wird oder 7 Jahre. Entscheidend ist, wie es auf der Seite wirkt. Nein: Das flüssige Land war auch kein schlechter Roman. In jedem Fall kein 0-8-15 Roman. Man macht nichts falsch mit der Lektüre, und das Buch ließ definitiv auf Kommendes hoffen.

Und nun also der Zweitling (sagt man das?). Der Nachfolger (nein, das ist auch nicht richtig, die beiden Texte haben ja nichts miteinander zu tun), also kurzum: Der Dave.

Bemühter Prolog

Das Rezensionsexemplar hätte ich beinahe schon nach dem Prolog wieder beiseite gelegt. Gibt es im Deutschen eigentlich ein Wort für Overwritten? Der Prolog wirkt so, weil an sich ganz schöne Passagen von den Fakten, die vermittelt werden sollen, direkt konterkariert werden, ohne dass es dafür einen guten Grund gibt. Der Roman hebt an mit einer Personifizierung der kleinsten Bausteine des Universums:

Für Äonen waren Protonen, Gas-Partikel und Elektronen in einem ungesehenen Ballett umeinandergekreist, ehe sie in der Partnerposition des Heliumatoms ihre Pliés vollzogen. Als sich nach 300 Millionen Jahren die ersten Galaxien, kräftigrote Wirbel und ätherische Ringsysteme, bildeten, war noch niemand da, der ihre Schönheit hätte bewundern können.

Nur, um dann gleich zu bekräftigen:

Die ersten 10 Milliarden Jahre – metaphorisch, weil niemand die Zeit maß und sie sich damit aus dem Ereignishorizont absentiert hielt – war alles Mechanik.

Hier wird praktisch die Auftaktszene durchgestrichen, doch es wirkt nicht, als sei das dem Text klar, werde also in ihm reflektiert. Auch, dass niemand dort ist, der all das beobachten kann, wird als wichtig markiert. Und im nächsten Moment wird ein rezipierendes „man“ eingeführt, das „über der Ursuppe Gott noch schweben“ meine. Das klingt vor allem wieder, als solle es groß oder bedeutend klingen.

Ab dem zweiten Kapitel wird der Roman dann zum Glück deutlich nüchterner. Nicht, dass ich etwas gegen hochpoetische Texte hätte, im Gegenteil. Ich suche sie geradezu manisch, doch man findet so selten welche, die wirklich gelungen sind, bei denen es nicht knirscht im Gebälk, bei denen die Metaphern nicht etwas schief sitzen, der Fluss wirklich fließt, die Melodie nicht zu süßlich wirkt. Aber wie gesagt: Der Stil von Dave wechselt nach dem Prolog radikal.

Die Story

Nun befinden wir uns in einem gigantischen Forschungskomplex, in dem unzählige Programmierer und andere Wissenschaftler daran arbeiten, die allumfassende künstliche Intelligenz Dave zu entwickeln. Protagonist ist Syz, der sich in eine Ärztin verliebt, was in dieser Programmierer-Welt ein eher unangesehener Beruf ist, kaum über Putzkräften und anderer Versorgung des täglichen Bedarfs. Nur wer programmiert ist noch „Elite“. Außerdem wird Syz ausgewählt, als geistig-emotionale Blaupause für die Vermenschlichung der KI zu dienen. Das wiederum soll Probleme lösen, die man bisher mit der KI-Entwicklung hatte.

Dave (der Roman) bleibt auch hier eine zwiespältige Konstruktion. Die meisten Gespräche und Beschreibungen sind nun eher nüchtern, man hat das Gefühl´, einen typischen, wenn auch etwas anspruchsvolleren, Science-Fiction-Thriller zu lesen. Zwischendrin aber poppen immer mal wieder Bezeichnungen und Wendungen auf, die zum Rest total quer stehen. Etwa:

In der Ewigkeit ihres Handtaschenräumens klammerte ich mich noch an die Vorstellung, sie würde mich vielleicht nach meiner fragen, da sah ich in ihrer Hand schon ihre Schlüsselkarte glänzen. Ihr meine Hand hinzustrecken, war eine Resignation.

Da findet immer mal wieder ein krasses Poetisieren statt, das nicht so wirklich zum sonstigen Charakter der Hauptfigur passen mag, anders als die meines Erachtens auch noch etwas oft eingestreuten sehr exquisiten Fremdworte, die man aber prinzipiell mit der Figurenrede der auch literarisch interessierten Hauptfigur erklären könnte.

Ansonsten ist Dave ein spannender Science-Fiction-Roman, der zahlreiche Themen rund um die KI-Entwicklung behandelt. Die „Büro“-Welt, in der viele Berufsgruppen, die heute gar nicht genug auf andere Menschen herabsehen können, praktisch mit diesen Gruppen im Bodensatz der Gesellschaft gruppiert werden, ist ausreichend plausibel: Sie trägt durch die Geschichte, lässt Leser dran bleibten. Auch die Hauptfigur sowie die Frage, wie es mit Dave nun eigentlich weitergeht, sind spannend genug, als dass man über einige problematische Details hinweglesen wird. Das Verhältnis zur Außenwelt, wozu ich hier nicht zu viel verraten möchte, sorgt in seiner Rätselhaftigkeit für zusätzliche Spannung. Die Diskussionen verschiedener Perspektiven auf KI und Gesellschaft sind für meinen Teil etwas zu unsubtil, sprich es werden typische heutige Debatten um Probleme und Segen von KI nicht in Handlung übertragen und so spürbar gemacht, sondern die einzelnen Figuren debattieren. Besonders stört da, dass die Figuren, allesamt die Besten ihres Fachs, sich öfter gegenseitig Konzepte und historische Fakten der Programmiergeschichte erklären, die sie eigentlich längst kennen müssten; hier wird offenkundig für die Leser diskutiert. Dave wartet dann mit einigen starken, vielleicht nicht für jeden total überraschenden, aber gut ausgeführten Wendungen auf, die zu verfolgen in jedem Fall Spaß macht.

Im Großen und Ganzen ist „Dave“ leider nicht das Meisterwerk, dass auf Das flüssige Land auch hätte folgen können, denn die Autorin besitzt zweifellos den Willen und die Fähigkeiten, noch etwas ganz Großes zu schaffen. „Dave“ ist zugänglicher, wirkt weniger gezwungen, doch fehlt ihm auf der anderen Seite dieses besondere Schillern der Idee, womit Das flüssige Land trotz allem begeistern konnte. Dennoch. Auch Dave hat wieder genug interessante Momente und Anlagen, sodass ich mir wohl den nächsten Edelbauer-Roman wieder ansehen werde.

Die unterschiedliche Behandlung von „E“- und „U“-Genreliteratur

Ein Nachgedanke: Ich verstehe, warum Science Fiction- & Fantasy-Fans und Autoren manchmal sauer sind auf die sogenannte hohe Literatur. Es gibt neben Dave ja durchaus nicht wenige Genre-Texte zum Thema KI. Und doch stehen die Chancen ganz gut, dass Edelbauer auch damit wieder mindestens auf der Longlist verschiedener Buchpreise landen dürfte (und wiederum nicht zu Unrecht, wenn man die nicht selten langweilige E-Konkurrenz betrachtet). Etwas, das praktisch unmöglich ist, wenn man irgendwo in Heynes Sci-Fi-Sparte publiziert, in einem der Szeneverlage unterwegs ist oder überhaupt, wenn man nicht von Anfang an dem Bereich zugeordnet wurde, der im deutschsprachigen Raum als sogenannte E-Literatur (für „Ernsthaft“ im Gegensatz zu „Unterhaltung“) behandelt wird.

Dafür kann Edelbauer nichts, und sowohl Das flüssige Land als auch Dave sind wiederum besser als nicht wenige andere Short- und Longlist-Titel renommierter Buchpreise der letzten Jahre. Aber ich verstehe den Frust, der immer wieder durch die Szene(n) geht, wenn ein E-Autor Scifi oder Fantasy produziert und damit dann durch die Feuilletons gereicht wird, als habe sich endlich mal jemand mit Talent dieses Themas angenommen (Wie etwa auch im Fall von Ishiguros Der begrabene Riese). Auf der anderen Seite haben gute Szenetexte, glaube ich, oft deutlich höhere Auflagen und definitiv die aktivste, interessierteste und diskussionsfreudigste Leserschaft, die man sich im deutschen Sprachraum überhaupt vorstellen kann. Also wirklich die Arschkarte gezogen hat man dort nicht.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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