Schwarze Schokolade und deutsche Kartoffeln?

Sicher darf Müllermilch mit leichtbekleideten Frauen und Stereotypen werben, meint Kolumnist Sören Heim. Aber das darf man auch scheiße finden, ohne dass es gleich als Angriff auf grundlegende freiheitliche Werte gebrandmarkt wird.


Ein mittlerweile im Rheinland ansässiger Farmer aus Kentucky hat eine unglaublich witzige Idee! Sein schmackhaftes Sauerkraut, ein in der Region bisher nur unter ferner Liefen laufendes Produkt, bebildert er mit einem rotgesichtigen Jüngling dessen wilder gelber Rauschebart von Soße trieft. „Kraut for Krauts: Jetzt 100 % mehr Kraut“ – betitelt er das Produkt. Und die deutschen Käufer, die sich an Stereotypen niemals stoßen würden und für pfiffiges Marketing immer zu haben sind, rennen ihm natürlich die Bude ein.

Kraut für Krauts und Deutsche Kartoffeln

Eine Bäuerin mit türkischem Migrationshintergrund fragt sich, wie sie ihre Knollenfrüchte besser an den deutschen Mann und die deutsche Frau bringt. Kartoffeln? Puh. Kartoffeln gibt’s hier doch zuhauf. Da kommt ihr ein blitzgescheiter Einfall. Sie bebildert fortan ihre Kartoffelsäcke mit einem dicken Mann in Lederhosen, dessen Gesichtsbehaarung ein wenig an die rauhe Schale des Erdapfels erinnert. Und ist diese Nase nicht eine Eins-A Solanum tuberosum? „Kartoffeln – das Beste aus Deutschland“ wirbt die Bäuerin. Der Beifall der Kundschaft ist ihr sicher!

#Aufschrei der Freedom-Fighters

Wie bitte? Das glauben Sie nicht? Also weder, dass diese Form von Werbung existiert, noch, dass sie positiv aufgenommen würde? Natürlich nicht. Man müsste sich den Shitstorm (Verzeihung, den Fäkalienwind) nur einmal vergegenwärtigen, wenn irgendein Unternehmer in Deutschland, und noch dazu ein „Ausländer“ derart offensiv mit Klischees um sich werfen würde. Insbesondere jene Milieus, die im Moment mit dem gesamten (allerdings überschaubaren) begrifflichen Repertoire des Jargons der Freedom Fighters eine heißdiskutierte Müllermilchkampagne verteidigen, die eine stark überzeichnete schwarze Frau Schokolade bewerben lässt, und die zuvor schon an der Logogestaltung des Mainzer Dachdeckers Thomas Neger überhaupt nichts Problematisches finden konnten, würden sich mit Sicherheit gar nicht mehr einkriegen. Einen veritablen #Aufschrei gäbe es da.

„Aber bei schwarzer Haut denke ich an Schokolade“

Halt, halt, sagen Sie nun? Das könne man doch gar nicht vergleichen? Immerhin seien Kartoffeln und Kraut eindeutig bösartige Schimpfworte, während es doch einfach normal sei, dass man schwarze Haut mit Schokolade assoziiere? Sicher datt. „Normal“ ist die Assoziation. Bei Kindern vielleicht sogar noch verständlich. Aber diese „Normalität“ wurde auch durch gut zwei- bis dreihundert Jahre Kolonialgeschichte und in diese eingebettete Werbekampagnen mit geformt, mit dem Sarotti-Mohr als einem berühmtem Höhepunkt. Was die Sache nicht gerade besser macht. Und bei Kraut und Kartoffeln denken übrigens wirklich viele Menschen an Deutschland, das ist also auch „normal“. Man höre sich nur mal auf der Straße um und befrage halt nicht nur „Krauts“ und „Kartoffeln“.

Wenn Meinungsfreiheit „meine Freiheit“ meint

Gewiss, die Müllermilchwerbung ist von der „Meinungsfreiheit“ gedeckt. So wie es die oben skizzierten Beispiele auch wären. Es gibt ein Recht auf Dummheit, auch eins auf dumme Werbung. Aber aus diesem Recht auf Dummheit erwächst nicht die Pflicht jegliche Idiotie auch noch zu verteidigen, und die Kritiker als kindisch oder gleich als Feinde der Freiheit abzustempeln. Das ist in sozialen Netzwerken leider im Umfeld der Müllermilch – Diskussion einmal mehr ein beliebtes Steckenpferd auch solcher bürgerlicher Aktivisten, die dem oben angesprochenen konservativen/rechtslibertäten Freedom-Fighters Millieu mit gutem Gewissen nicht zugerechnet werden können. Vielleicht sollten man da mal seine Reflexe prüfen und einen Moment länger nachdenken, ehe man, wie man es dem linken Wutbürgertum so gerne vorwirft, lospoltert.

Denn die Sache ist relativ einfach: Da macht jemand eine Werbung, in die (post-)koloniale Bilderwelt anklingt wie lange in keiner Kampagne eines großen Unternehmens mehr. Ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Und dann verhält man sich dazu. Auch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Aber wie man sich verhält, sagt nunmal jenseits allen Meinungsfreiheits-Konsens viel über die sich Verhaltenden aus.

Lesen Sie auch die letzte Kolumne von Sören Heim: Onlinekommentare: Die Trolle von der Qualitätssicherung

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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