Die verdrängte Pandemie
Rebecca Makkais „Die Optimisten“ ist eine starke Auseinandersetzung mit der AIDS-Krise, findet Literaturkolumnist Sören Heim.
Ich unterscheide bekanntlich streng zwischen wichtigen und guten Romanen. Mancher Roman hat historisch eine wichtige Position inne und ist doch ästhetisch misslungen. Rebecca Makkais Die Optimisten ist definitiv ein wichtiger Roman. Größtenteils aus der Perspektive des Kunsterxperten Yale erzählt behandelt er die inneren Schocks der homosexuellen Comunities Chicagos während der AIDSKrise. Unterbrochen wird diese Handlung, die in den Jahren ab 1985 bis in die 90er spielt, von der 2015 ansetzenden Suche Fionas nach ihrer Tochter. Fiona ist in den 80ern einer von zahlreichen Nebencharaktere in Yales Geschichte und verliert ihre Tochter an eine Sekte. Sie wurde zuletzt in Paris gesehen.
Auch der gediegene Stil hat seinen Grund
Ich kenne bis jetzt kaum literarische Texte, die sich dieses Themas ausführlich angenommen haben, und allein deshalb lohnt die Lektüre. Aber handelt es sich auch um einen gelungenen Roman? Im englischen Amazon habe ich Kritiken gelesen, die die Prosa als steif beschreiben. Nein, das kann ich nicht bestätigen. Ja, es ist ein sehr traditionell erzählter Roman, dessen verhängnisvoller Zusammenhang sich eher langsam entfaltet. Aber vom Satz bis zum Kapitel, alles ist sauber aufgebaut, man sollte sich eigentlich nicht langweilen. Man mag einwenden, dass es nicht adäquat sei, von einer solch schrecklichen Zeit, die eine Protagonistin sogar mit einem Krieg vergleicht – Freunde der Protagonisten sterben wie Fliegen – in einem solch gemächlich bürgerlichen Tonfall zu erzählen. Doch das heißt, den Roman nicht begreifen: Denn der Teil der „Szene“, aus dem hier erzählt wird, ist bürgerlich, teils geradezu spießig. Ein ganz normales durchschnittliches Leben verhindern allein die Homophobie der Gesellschaft und der Umgang mit der AIDS-Krise. Beklemmende Bedrohlichkeit wird von Autorin Makkai gerade dadurch erzeugt, dass auf besondere stilistische Mittel größtenteils verzichtet wird, der Roman sich ganz nach dem Muster des klassischen Gesellschaftsromans entfaltet, den verdrängten „Krieg“ also mit fast 40 Jahren Verspätung in die Heimeligkeit bürgerlicher Wohnzimmer holt.
Die Doppelhandlung müsste nicht sein
Mein größter Kritikpunkt betrifft dann auch gerade die Konstruktion der Doppel-Handlung 2015 und 1985, also das „modernste“ Element des Romans. Es ist aufgesetzt. Der regelmäßige Wechsel zwischen beiden Ebenen wirkt komplett willkürlich, als habe es etwas gebraucht, um das Buch zu strecken. Man könnte auch beide Texte einzeln lesen. Keine Sorge: Beide Handlungen sind eigentlich durchgehend interessant, nur ist die Verknüpfung der beiden Handlungen kaum zwingend.
Die Optimisten wird wahrscheinlich nicht als großes Meisterwerk in die Literaturgeschichte eingehen. Dennoch ist es ein wichtiges Buch und dazu eines, das sich auch noch mit Genuss lesen lässt. Also, „Genuss“ im Sinne von: Man hat auf keinen Fall das Gefühl, seine Zeit zu verschwenden. Denn die Geschehnisse sind im Großen und Ganzen natürlich brutal deprimierend.
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