Lügde – Das erste Urteil

Das Landgericht Detmold verurteilte einen 49-jährigen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil löste zum Teil heftige Reaktionen hervor.


Bild von Marvin Mennigen auf Pixabay

Zwei Jahre auf Bewährung sind kein Pappenstiel. Für einen Ersttäter ist das schon eine ordentliche Packung. Dennoch wird das Urteil, insbesondere die Tatsache, dass der Verurteilte nach sieben Monaten aus der U-Haft entlassen wurde, auf viel Kritik. Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp sah sogar Gesetzeslücken und plädierte für eine Verschärfung des Strafrahmens bei solchen Taten, weil es nicht sein könne,

dass es bei einem solchen Vergehen, was Leben zerstört, eine Bewährungsstrafe geben kann.

Nimmt man diese Kritik ernst, dann bedeutet das entweder, dass für solche Straftaten eine Mindeststrafe von zwei Jahren und einem Tag eingeführt werden müsste oder dass die Vorschriften über die Strafaussetzung zur Bewährung deliktsspezifisch verändert werden müssten. Beides ist nicht wirklich sinnvoll.

Auch der Kinderschutzbund kritisierte die Entscheidung. Deren Landesgeschäftsführerin, Krista Körbes, meinte, es

stelle  sich die Frage, wie das Urteil auf andere Täterinnen und Täter wirkt, die kinderpornografisches Material besitzen oder zu sexueller Gewalt anstiften. Ich bin nicht sicher, ob dieses Signal wirklich abschreckend genug ist.

In diese Richtung gingen einige Kommentare. So meinte die Opferanwältin Zeliha Evlice gegenüber der Lippischen Landeszeitung

Alle Täter da draußen lachen sich jetzt doch ins Fäustchen. Dieses milde Urteil ist für Kinderschänder ein Freibrief.

All diesen Kommentaren ist gemeinsam, dass sie dem erkennenden Gericht vorwerfen, sein Entscheidung haben keine genügende generalpräventive Wirkung, schrecke also potentielle Täter nicht ausreichend ab.

Abschreckung

Das ist allerdings eine laienhafte Idee von der Abschreckungsidee, die sich mit der kriminologischen Forschung nicht in Einklang bringen lässt. Höhere gesetzliche Strafandrohungen haben ebenso wie höhere konkrete Strafen keine nachweisbaren Auswirkungen auf die Begehung von Straftaten durch andere. Es ist daher auch zwar grundsätzlich denkbar, generalpräventive Überlegungen in die konkrete Urteilsfindung gegenüber einem einzelnen Täter einfließen zu lassen, allerdings ist dabei folgendes zu beachten:

Die Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen setzt die Notwendigkeit allgemeiner Abschreckung für den Gemeinschaftsschutz voraus. https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/08/3-150-08.php

Was den meisten Kritikern des Urteils fehlt, ist das Wissen darüber, welchen Zweck eine Strafe hat und wie die „richtige“ Strafe durch das Gericht ermittelt wird. Regelmäßige Leser meiner Kolumne wissen da mehr. Aber ich wiederhole das gerne noch einmal.

Strafen

Die Strafzumessung steht ganz am Ende eines Strafverfahrens, also dann wenn für das Gericht klar ist, ob und falls ja welcher Tat jemand schuldig ist. Für jedes Delikt sieht das Strafgesetzbuch einen bestimmten Strafrahmen vor, innerhalb dessen das Gericht dann die konkrete Strafe finden muss.

Die Basis der Strafzumessung ist in § 46 StGB geregelt:

§ 46 Grundsätze der Strafzumessung

(1) 1Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. 2Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) 1Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. 2Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende,

die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,

das Maß der Pflichtwidrigkeit,

die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,

das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie

sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

Es gibt also keine feste Strafe, die man in irgendeinem Strafenkatalog nachschlagen oder präzise mathematisch errechnen könnte. Es gibt sie überhaupt nicht, DIE richtige Strafe. Es gibt vielmehr einen gewissen Spielraum, innerhalb dessen die Strafe vom Gericht bestimmt wird. Strafzumessung ist die Aufgabe des Gerichts, nicht die einer Rechenmaschine und auch nicht die der Volkes, auch wenn die Urteile in dessen Namen gesprochen werden.

Genau gleiche Taten gibt es schon nicht, weil die Täter unterschiedlich sind. Jeder Mensch ist einzigartig und so ist es auch jede Tat. Immerhin wird bei der Strafzumessung nicht gewürfelt. Sie folgt trotz aller Unwägbarkeiten bestimmten Regeln, über deren Einhaltung letztlich der BGH wacht.

Das ist eigentlich ganz einfach zu verstehen, aber die einen verstehen es wirklich nicht und die anderen tun so als würden sie es nicht verstehen, um damit den Rechtsstaat zu diskreditieren.

Die Ermittlung der Strafe folgt grundsätzlich immer demselben Prinzip.

Das Prinzip

Nachdem die Tat als solche festgestellt ist, das Gericht also davon überzeugt ist, dass der Täter einer bestimmten Straftat schuldig ist, muss zunächst der gesetzliche Strafrahmen gefunden werden. Der Strafrahmen ergibt sich aus dem Delikt. Hat jemand zum Beispiel eine Frau erwürgt – ohne dass besondere Mordmerkmale festgestellt werden – dann ist das eben ein Totschlag und kein Mord.

Der normale Strafrahmen für einen Totschlag beträgt „Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren“, also eine Strafe zwischen 5 Jahren und 15 Jahren.

Nach Feststellung des normalen gesetzlichen Strafrahmens muss noch geprüft werden, ob nicht vielleicht ein Ausnahmestrafrahmen zum Tragen kommt. Es kann also besondere Gründe geben, wonach eine Tat härter (z.B. § 212 Abs. 2 StGB) oder milder bestraft werden kann. In einem besonders schweren Fall gibt es dann auch beim Totschlag eine lebenslange Freiheitsstrafe; für einen minder schweren Fall, ändert sich der Strafrahmen auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Wenn also der zutreffende Strafrahmen gefunden wurde – was gar nicht mal immer funktioniert – muss das Gericht zunächst innerhalb dieses Rahmens einen weiteren Rahmen finden. Man arbeitet sich also von außen nach innen an die endgültige Strafe ran. Dazu muss das Gericht den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat bewerten.

Die Mindeststrafe ist dabei für die denkbar leichtesten, die Höchststrafe für die denkbar schwersten Fälle gedacht. Daraus ergibt sich dann ein gewisser Spielraum zwischen der schon gerade angemessenen und der noch so eben angemessenen Strafe.

Handelt es sich – wie im Fall Lügde I – um einen Anstifter, dann wird der wie ein Täter bestraft, ein Gehilfe, also jemand, der lediglich der Beihilfe schuldig ist, wird milder bestraft.

Bei der Suche nach der individuell richtigen Strafe für den Angeklagten muss das Gericht nun alles das, was im § 46 StGB drin steht, möglichst vollständig abarbeiten. Also strafschärfende und strafmildernde Gesichtspunkte ermitteln und berücksichtigen.

Das geht dann los mit dem bisherigen Leben des Täters: Ist er vorbestraft oder nicht, wie ist er aufgewachsen, heile Familie oder pures Chaos, Flucht, Gewalterfahrung, Missbrauch, Heim, Drogenkonsum (Jugendliche und Heranwachsende werden nach einem ganz anderen Prinzip nämlich dem Erziehungsprinzip verurteilt, das in dieser Kolumne nicht berücksichtigt wird) oder ist er besonders alt? Hat er bisher ein geregeltes Leben, Schulabschluss, was gelernt, gearbeitet, oder hat er eher die typische Karriere eines notorischen Straftäters eingeschlagen? Hatte er schwere Krankheiten oder Behinderungen? War er vielleicht vermindert schuldfähig?

Weiter geht’s mit dem Tatmotiv. Gab es ein Mitverschulden des Tatopfers an der Situation, war der Täter alkoholbedingt enthemmt, war sein Motiv vielleicht sogar vielleicht irgendwie ehrenwert oder nachvollziehbar (Tötung eines schwer leidenden Angehörigen alleine, um diesen zu „erlösen“) oder gerade das Gegenteil?

Wie sah es mit der konkreten Tatausführung aus? Kann man da eine besondere kriminelle Energie entdecken? Zeigt sich in der Tat eine brutale, menschenverachtende, fremdenfeindliche oder rassistische Gesinnung? Ist es ein grausamer Täter? Hat er ein besonderes Vertrauensverhältnis missbraucht? Handelte er aus der Not heraus?

Wie sind die Folgen der Tat für das Opfer, aber auch für den Täter?

Wohlfeile Kritik

Das alles – und noch viel mehr – muss ein Gericht bei der Strafzumessung alles berücksichtigen. Daran erkennt man bereits, dass es müßig ist, sich von einer Strafe ein Urteil zu bilden, wenn man weder die Ermittlungsakten kennt, noch in der vollständigen Hauptverhandlung anwesend war oder die schriftliche Urteilsbegründung gelesen hat. Das ist – gerade wenn es von einem Politiker oder einer Interessengruppe kommt – wohlfeiler Populismus, den man sich auch schenken kann.

Ich weiß nicht, ob das Urteil von Detmold richtig ist. Das kann ich gar nicht wissen. Aber genauso wenig kann ich behaupten, dass es falsch wäre. Das festzustellen ist nun Aufgabe des Bundesgerichtshofes. Denn der ist nun am Zug, nachdem die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil in Revision gegangen ist. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hatte eine höhere Strafe beantragt, zwei Jahre und neun Monate. Der BGH wird das Urteil nun auf Rechtsfehler hin untersuchen und wenn er welches oder auch nur einen findet, dann muss der Prozess wiederholt werden. Da hier wohl nur die Strafzumessung angegriffen wird, liegt die Latte allerdings recht hoch, denn die Strafzumessung ist ureigenste Aufgabe des erkennenden Gerichts. Dass der BGH da eingreift kommt eigentlich nur bei krassen Begründungsmängeln vor. Und die zu vermeiden, wird man sich beim LG Detmold alle Mühe geben. Das dürfte auch nicht besonders schwer fallen. Der Täter war geständig, er ist Ersttäter und damit besonders strafempfindlich, er hat bereits sieben Monate Untersuchungshaft abgesessen und dürfte dadurch angemessen beeindruckt sein und er hat eine Therapieauflage bekommen. Das sind schon einmal einige starke Argumente, die für die Richtigkeit der Entscheidung sprechen. Aber, das letzte Wort hat der BGH.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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