Mail, Mail, Strafbefehl
Ein Bauunternehmer muss nach einer Mail an Manuela Schwesig in Haft. Ein Skandal? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
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Hui, da war die Aufregung mal wieder groß. 30 Tage Haft für einen Bauunternehmer, der eine Mail an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig geschicklt hatte, die alles andere als freundlich war. Was nun genau da drin stand, wissen nur der Mann selbst, Manuela Schwesig und die betroffenen Ermittlungsbehörden, denn der Text wurde bisher nur in Teilen veröffentlicht.
Nach Informationen der Welt hatte der Mann
sie darin als „Märchenerzählerin“ bezeichnet. Weiter heißt es: „Liebe Dame Schwesig, zu spät für Sie. Wir brauchen noch Frauen auf’m Bau. Wäre das was für Sie!? Da brauchen Sie nicht dummes Zeug den Menschen verkaufen.“ Zum Schluss der Mail schrieb der Mann: „Wollen Sie wirklich, wie ich gehört habe, die Mordaktion von den bepissten Leuten in Moskau unterstützen.“
Das ist sicher nicht nett, ob das aber tatsächlich eine Straftat war, darf man getrost bezweifeln, wenn in der Mail nicht noch mehr stand.
Ein Held
Nun saß der Mann also 30 Tage in Haft und ist der heimliche Held aller Wutbürger. Ein Märtyrer der Meinungsfreiheit, in einschlägigen Kreisen auch „Mehrtürer“ geschrieben.
Zu 30 Tagen Haft verurteilt wurde er allerdings nicht. Genaugenommen wurde er überhaupt nicht verurteilt, sondern er erhielt lediglich einen Strafbefehl.
Der Strafbefehl ist in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt und stellt ein vereinfachtes Verfahren dar, das ohne Hauptverhandlung auskommt. § 407 StPO definiert den Strafbefehl als eine Entscheidung des Strafrichters auf Grundlage der Anklage der Staatsanwaltschaft. Der Strafrichter muss dabei prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Strafe vorliegen und ob diese ohne die Notwendigkeit einer Hauptverhandlung verhängt werden kann. So ist das jedenfalls in der Theorie. In der Praxis hat man allerdings den Eindruck, dass es mit der Prüfung nicht immer so weit her ist.
Das Verfahren wird eingeleitet, wenn die Staatsanwaltschaft zu der Auffassung gelangt, dass der Beschuldigte ein Vergehen begangen hat, das mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden kann, und sie einen entsprechenden Antrag auf Erlass eines Strafbefehls stellt. Ist der Strafrichter der Meinung, dass eine Strafe verhängt werden kann, erlässt er den Strafbefehl. Der Beschuldigte wird dann darüber informiert, dass gegen ihn eine Strafe verhängt wurde, und er die Möglichkeit hat, innerhalb von zwei Wochen Einspruch zu erheben.
Das hat der Märtyrer offenbar versäumt. Ansonsten hätte es eine Hauptverhandlung gegeben und dann hätte auch geklärt werden können, ob seine Äußerungen überhaupt den Bereich der zulässigen Meinungsäußerung verlassen haben. Hat er aber nicht.
Das Besondere am Strafbefehl ist, dass der Beschuldigte durch den Erlass dieses „Befehls“ quasi bereits „verurteilt“ wird, ohne dass eine öffentliche Hauptverhandlung stattfindet. Der Erlass des Strafbefehls steht eben im Gegensatz zu einem normalen Gerichtsverfahren, bei dem es zu einer öffentlichen Verhandlung und einer mehr oder weniger eingehenden Beweisaufnahme kommt.
Die Vorteile des Strafbefehls
Bevor die Problematik des Strafbefehls im Detail untersucht wird, ist es wichtig, die Gründe zu verstehen, warum dieses Verfahren überhaupt existiert und warum es grundsätzlich als vorteilhaft betrachtet wird. Der Strafbefehl ist ein wesentliches Instrument zur Effizienzsteigerung im Strafprozess. Das Zauberwort ist Prozessökonomie. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte können durch das Verfahren erheblich Ressourcen sparen, indem auf langwierige und kostenintensive Hauptverhandlungen verzichtet wird. Dies entlastet nicht nur das Justizsystem, sondern ermöglicht auch eine zügige Abwicklung von Verfahren, die weniger komplex sind und bei denen die Schuld des Angeklagten relativ klar und nicht allzu groß ist.
Ein weiterer Vorteil des Strafbefehls ist die Möglichkeit für den Angeklagten, relativ schnell zu einer finalen Entscheidung zu gelangen. Wer den Strafbefehl akzeptiert, spart sich das Risiko eines längeren Verfahrens und kann möglicherweise schneller zu einer sogenannten „Strafmilderung“ gelangen, da in einigen Fällen bereits eine mildere Strafe verhängt wird, ohne dass der Angeklagte sich einer intensiven öffentlichen Verhandlung stellen muss.
Die Problematik des Strafbefehls
Trotz dieser Effizienz und der vermeintlichen Vorteile für das Justizsystem, gibt es erhebliche Kritikpunkte, die den Strafbefehl problematisch machen. Im Folgenden sollen einige der zentralen Problematiken eingehender beleuchtet werden.
1. Fehlende Hauptverhandlung
Der wohl gravierendste Kritikpunkt am Strafbefehl ist, dass keine öffentliche Hauptverhandlung stattfindet. In einem regulären Strafverfahren wird der Angeklagte in einer öffentlichen Sitzung gehört, die Beweise werden geprüft, und es gibt die Möglichkeit für den Angeklagten und seine Verteidigung, die vorgelegte Anklage zu widerlegen. Im Falle eines Strafbefehls entfallen diese Sicherheiten. Der Richter prüft – wenn er es denn wirklich macht und nicht nur einfach unterschreibt – lediglich die vorgelegten Akten, ohne dass eine Diskussion vor Gericht stattfindet. Dies kann zu einer oberflächlichen Beurteilung des Falls führen, bei dem möglicherweise entscheidende Aspekte übersehen werden.
Insbesondere bei weniger klaren oder komplexeren Fällen, in denen sich die Schuld des Angeklagten nicht eindeutig nachweisen lässt oder wie hier, wo verfassungsrechtliche Abwägungen eine Rolle spielen, kann die Entscheidung des Richters im Rahmen des Strafbefehls problematisch sein. Es wird zu wenig Raum für die Darstellung des Sachverhalts und für die Auseinandersetzung mit möglichen Verteidigungsstrategien gegeben.
2. Fehleranfälligkeit und Ungerechtigkeit
Ein weiteres Problem des Strafbefehls liegt in der potenziellen Fehleranfälligkeit des Verfahrens. Da der Richter keine öffentliche Verhandlung durchführt, kann es zu einer falschen Beurteilung der Beweislage kommen. Der Strafbefehl basiert auf der Arbeit der Staatsanwaltschaft und der Aktenlage, was bedeutet, dass Fehler im Ermittlungsverfahren nicht durch eine öffentliche Verhandlung korrigiert werden können. Falsche Annahmen, rechtliche Würdigungen oder unvollständige Ermittlungen könnten zu einer ungerechtfertigten „Verurteilung“ führen, die ohne ausreichende Möglichkeit zur Überprüfung erst einmal bestehen bleibt.
3. Unzureichende Verteidigungsrechte
Ein weiteres zentrales Problem des Strafbefehls ist die Einschränkung der Verteidigungsrechte. Da der Strafbefehl nicht nur ohne eine öffentliche Hauptverhandlung, sondern auch ohne einen umfassenden Austausch zwischen Anklage und Verteidigung ergeht – jedenfalls dann, wenn man meint, man brauche keine Verteidigung – , wird dem Angeklagten die Möglichkeit genommen, sich vor Gericht ausgiebig zu verteidigen. Ein Verteidiger kann nicht aktiv an der Beweisaufnahme teilnehmen, sondern ist lediglich darauf angewiesen, Einspruch gegen den Strafbefehl zu erheben, wenn er zu der Meinung gelangt, dass dieser unrechtmäßig ist. Die kurze Frist zur Einlegung eines Einspruchs und die begrenzte Möglichkeit zur rechtlichen Auseinandersetzung mit der Beweislage oder aber auch einfach die Angst vor einer öffentlichen Hauptverhandlung können dazu führen, dass sich der Angeklagte mit der Verurteilung abfindet, auch wenn diese möglicherweise unberechtigt ist.
4. Druck der Angeklagten
Durch den Erlass eines Strafbefehls wird der Angeklagte in die Position gebracht, sich entweder für den Strafbefehl zu entscheiden oder Einspruch einzulegen. In vielen Fällen, insbesondere bei geringeren Straftaten, neigen Angeklagte dazu, den Strafbefehl zu akzeptieren, um ein langwieriges Verfahren zu vermeiden. Dies kann zu einem ungerechtfertigten Druck führen, bei dem der Angeklagte aus praktischen Gründen eine Strafe akzeptiert, obwohl er möglicherweise nicht schuldig ist. Es könnte auch dazu kommen, dass der Angeklagte aufgrund der Angst vor einer intensiveren Untersuchung oder einem öffentlichen Verfahren auf den Einspruch verzichtet, was zu einer Art „Wegschauen“ bei potenziellen Ungerechtigkeiten führt.
5. Fehlende Erziehung und Präzedenzwirkung
Ein weiteres oft übersehenes Problem des Strafbefehls ist seine Wirkung auf das Verständnis des Rechtssystems. Wenn jemand durch einen Strafbefehl verurteilt wird, ohne die Möglichkeit einer umfassenden juristischen Auseinandersetzung, verliert das Verfahren an öffentlicher Bedeutung. In Fällen, in denen Strafen verhängt werden, die möglicherweise nicht streng genug sind, besteht die Gefahr, dass eine potenziell abschreckende Wirkung entfällt, die in einer öffentlichen Verhandlung durch mediale Präsenz und Diskussion erzeugt werden könnte. Zudem fehlt bei einem Strafbefehl die Möglichkeit, eine breitere rechtliche Auseinandersetzung mit dem Fall und damit eine klare Positionierung des Gerichts in Bezug auf bestimmte Straftaten zu ermöglichen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Strafbefehl sowohl eine effiziente als auch problematische Möglichkeit im deutschen Strafrechtssystem darstellt. Einerseits bietet er eine schnelle, kostengünstige und pragmatische Lösung für Bagatellstraftaten und entlastet das Justizsystem erheblich. Andererseits gibt es erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten, der Fehleranfälligkeit und der Einschränkung der Verteidigungsrechte des Angeklagten. Die Tatsache, dass es keine öffentliche Hauptverhandlung gibt, kann zu einer oberflächlichen Beurteilung und einer potenziellen Fehlverurteilung führen. Darüber hinaus steht der Strafbefehl unter dem Verdacht, den Angeklagten zu einem schnellen „Plebiszit“ zu drängen, bei dem er unter Druck gesetzt wird, entweder zu akzeptieren oder Einspruch zu erheben, ohne wirklich die Möglichkeit einer fairen rechtlichen Auseinandersetzung zu haben.
Der Strafbefehl ist somit ein zweischneidiges Schwert: Während er der Justiz eine wertvolle Möglichkeit zur Straffung des Verfahrens bietet, sollte er dennoch nur in Fällen eingesetzt werden, in denen eine sorgfältige Prüfung und eine umfassende rechtliche Beratung sichergestellt werden können, um den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu wahren.
Im konkreten Fall hat der Beschuldigte den Strafbefehl offenbar nicht mit dem Einspruch angegriffen., Der wurde damit bestandskräftig. Und im Anschluss hat er die verhängte Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 100€ nicht bezahlt, was dann dazu führt, dass er für jeden Tagessatz einen Tag Ersatzfreiheitsstrafe absitzen musste. Das ist halt so.
Warum der Mann, der als Bauingenieur vermutlich nicht am Hungertuche naget, wenn er nach Abzug von Belastungen 3000€ monatlich zur Verfügung hat, keine/n VerteidigerIn beauftragt hat, weiß ich nicht. Mit einer ordentlichen Verteidigung wäre das jedenfalls vermutlich ganz anders ausgegangen. Aber dann wäre er jetzt auch nicht der Held im Erdbeerfeld. Alles hat seinen Preis.