Die wunderbare Welt der Reality-Stars
Wer den Fernsehapparat anschaltet, kann ihnen kaum entkommen: Reality-Stars. Ein Phänomen. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
Bild von Joakim Mosebach auf Pixabay
Ah, das deutsche Privatfernsehen – eine Bastion der intellektuellen Stimulation, ein Hort der Hochkultur und eine unerschöpfliche Quelle von Inspiration. Oder etwa nicht? Nein, natürlich nicht. Stattdessen hat das Reality-TV das Ruder übernommen und uns in eine wunderbare Welt geführt, in der tiefgründige Dialoge wie „Ey, der hat meine Energy-Drinks geklaut!“, Motivationsmantras wie „Kasalla“ und tiefgehende Beziehungen, die auf einer Laufzeit von zwei Werbeblöcken basieren, den Ton angeben. Willkommen in der strahlenden Welt der Realitystars, diesen Leuchttürmen der Bedeutungslosigkeit.
Manchmal fragt man sich ja, was aus unserer Gesellschaft geworden ist. Eine Welt, in der Philosophen einst nach der Wahrheit suchten, Schriftsteller wie Goethe uns mit ihrem Genie beglückten und Künstler wie Beethoven die Seele zum Schwingen brachten, hat sich heute weiterentwickelt – nein, nicht zu Hochkultur auf TikTok oder intellektuellen Debatten auf Twitter. Vielmehr hat sie sich in ein Paralleluniversum aus Botox, Beziehungsdramen und belanglosem Geplänkel transformiert: Willkommen in der glorreichen Welt der Realitystars! Und keine Sorge, hier geht es nicht um Realität. Diese ist nämlich anstrengend und außerdem schlecht für die Quote.
Was sind Realitystars eigentlich?
Realitystars, das sind die Gladiatoren des 21. Jahrhunderts – jedoch ohne die ganze Mühe, sich mit blöden Löwen herumzuschlagen oder überhhaupt etwas besonderes zu können.
Stattdessen kämpfen sie mit subtileren Herausforderungen: Wer kann am lautesten schreien? Wer hat Latrinendienst? Wer schafft es, sich am kreativsten öffentlich zu blamieren? Und wer kann den größten Shitstorm in den sozialen Medien entfachen, indem er unbedacht ins Mikrofon stammelt? Und wer macht das so perfekt daneben, dass er danach zum „Promibüßen“ eingeladen wird?
Dank Formaten wie „Love Island“, „Das Dschungelcamp“ oder dem zeitlosen Klassiker „Big Brother“ erleben wir hautnah, wie sich eine gaze Generation selbst zerlegt – und dabei auch noch gefeiert wird.
Es geht nicht mehr darum, was du kannst, sondern wie oft du es ins Fernsehen schaffst. Die neue Währung heißt nicht Bitcoin, sondern Sendezeit. Talent ist so 2005. Heute zählt nur die Fähigkeit, sich auf Instagram als „Person des öffentlichen Lebens“ zu deklarieren und dabei so viel Schamgefühl zu zeigen wie ein nasser Schwamm, dicke Lippen wie ein Schlauchboot oder dicke, ach lassen wir das..
Der Zauber des Trash-TVs
Wer braucht schon Goethe oder Schiller, wenn wir die ultimative Versuchung haben? Die Prämisse: Setze instabile Paare auf eine Insel voller halb nackter Menschen mit dem emotionalen Reifegrad eines Teenagers – fülle sie mit reichliche Alk ab und schaue zu, wie die Monogamie kollabiert. Es ist wie eine anthropologische Studie, nur dass die Probanden hier freiwillig teilnehmen und sich danach wundern, warum niemand sie ernst nimmt, wobei sie sich doch selbst für högscht bedeutend halten..
Doch Trash-TV hat eine unbestreitbare Magie. Es ist wie ein Unfall auf der Autobahn – du weißt, du solltest wegsehen, kannst es aber einfach nicht. Warum? Weil es uns die Illusion gibt, dass unser eigenes Leben weniger chaotisch und bedauernswert ist. Sicher, du hast deine Steuererklärung immer noch nicht gemacht, aber zumindest hast du nicht gerade im Fernsehen verkündet, dass du „voll Bock auf Drama“ hast, während du mit drei verschiedenen Menschen allerlei Geschlechts rumknutschst.
Die Helden unserer Zeit
Aber wir sollten uns nicht täuschen: Realitystars sind wahre Meister ihres Fachs. Diese Menschen kassieren fünfstellige Summen für Instagram-Posts, die aus einem Foto mit Detox-Tee und dem Hashtag „Ad“ bestehen. Ihre Biografien, oft mit Titeln „Vom Nobody zum Reality-König“, füllen Bücherregale und künden von heroischen Aufstiegen, die in etwa so spektakulär sind wie der Sprung vom Sofa auf den Teppich.
Manche schaffen es sogar in die Politik , wie die deutsche Influencerin, die ihre Follower gefragt hat, ob „Südtirol eigentlich ein Land ist“. Bildung war noch nie so entbehrlich, und dennoch verneigen sich Millionen vor diesen selbsternannten „Entertainern“, als hätten sie das Rad neu erfunden, obwohl sie es offenkundig eher ab haben.
Trash-TV als gesellschaftlicher Spiegel
Kommen wir zu einem unbequemen Teil: Trash-TV ist das nicht Problem. Nein, es ist die Lösung. Für wen? Für uns alle!
Doch die Frage bleibt: Warum tun wir uns das an? Ist es der Eskapismus? Die Freude daran, zu sehen, wie andere scheitern, während wir gemütlich auf dem Sofa sitzen und Chips futtern? Oder ist es die leise Hoffnung, dass auch wir eines Tages im Dschungel sitzen könnten, um in Kakerlaken zu baden und dafür eine Gage zu kassieren, die unser Jahresgehalt übersteigt?
Vielleicht liegt die Antwort irgendwo dazwischen. Vielleicht brauchen wir Trash-TV, um uns daran zu erinnern, dass das Leben nicht immer Sinn ergeben muss. Manchmal reicht es schon, wenn es nur unterhaltsam ist.
Fazit: Die Bedeutung der Bedeutungslosigkeit
Realitystars und Trash-TV haben zweifellos ihren Platz in der Gesellschaft gefunden – direkt neben der Tiefkühlpizza und der dritten Tüte Gummibärchen, die man sich um Mitternacht reinzieht. Sie bieten uns die perfekte Mischung aus Amüsement, Fremdscham und einer Prise Existenzkrise. Und vielleicht ist es genau das, was wir brauchen.
In einer Welt, die immer komplexer und stressiger wird, ist es doch beruhigend zu wissen, dass es Menschen gibt, die bereit sind, für uns freiwillig die Dummheit auf sich zu nehmen. Denn während sie sich öffentlich demontieren, können wir uns für einen Moment überlegen fühlen – und das ist vielleicht der größte Service, den sie uns bieten können.
Danke, Realitystars. Danke, Trash-TV. Ihr seid die Helden, die wir nicht verdienen, aber die wir offensichtlich brauchen. Kasalla!