Band Aid und „Do They Know It’s Christmas?“

Eine Hymne, die verbindet – und polarisiert. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Myriams-Fotos auf Pixabay

Morgen ist der erste Advent. Es ist Dezember, die ersten Schneeflocken fallen, und in den Einkaufszentren ertönen allseits bekannte Melodien. Neben „Last Christmas“ und „All I Want for Christmas Is You“ taucht auch immer wieeder ein Lied auf, das sich von all den klingelnden Glöckchen und romantischen Liebesballaden abhebt: „Do They Know It’s Christmas?“ von Band Aid. Doch was ist es eigentlich, das diesen jetzt schon 40 Jahre alten Klassiker so besonders macht – und warum sorgt er bis heute für Diskussionen?

Die Geburt eines Charity-Phänomens

Die Geschichte beginnt im Jahr 1984, als der irische Musiker Bob Geldof und der schottische Sänger Midge Ure von der verheerenden Hungersnot in Äthiopien erfuhren.

1984 waren nach einem nahezu vollständigen Ausfall der Ernten fast acht Millionen Menschen in diesen Gebieten von Hunger betroffen. Viele Hungernde flohen in die Städte und Städtchen wie Mek’ele und Korem, wo sich sogenannte Hungerlager bildeten.

1985 folgte ein weiteres Dürrejahr, und zu Beginn des Jahres 1986 hatte sich die Hungersnot auch auf Teile des südlichen Hochlandes ausgeweitet. In diesem Jahr wurde die Lage zusätzlich durch Heuschreckenplagen verschärft, schätzungsweise 5,8 Millionen Menschen hingen von Nahrungsmittelhilfe ab. (Quelle: wikipedia)

Schockiert von den Bildern und Berichten wollten die Künstler mehr tun, als nur ihre eigenen Spenden zu überweisen. Ihre Idee war damals revolutionär: ein Weihnachtssong, aufgenommen von den größten britischen Pop- und Rockstars, dessen Erlöse direkt den hungernden Menschen zugutekommen sollten.

Innerhalb weniger Wochen trommelten sie Größen wie Bono (U2), George Michael (Wham!), Sting (The Police) und viele andere zusammen. Das Ergebnis war „Do They Know It’s Christmas?“, ein Lied, das in nur einem Tag aufgenommen wurde:

It’s Christmas time, and there’s no need to be afraid
At Christmas time, we let in light and banish shade
And in our world of plenty
We can spread a smile of joy
Throw your arms around the world
At Christmas time
But say a prayer and pray for the other ones
At Christmas time, it’s hard but while you’re having fun
There’s a world outside your window
And it’s a world of dread and fear
Where a kiss of love can kill you
And there’s death in every tear
And the Christmas bells that ring there are the clanging chimes of doom
Well tonight we’re reaching out and touching you
Bring peace and joy this Christmas to West Africa
A song of hope they’ll have is being alive
Why is comfort deadly fear
Why is to touch to be scared
How can they know it’s Christmas time at all
Here’s to you
Raise a glass to everyone
Here’s to them
And all their years to come
Can they know it’s Christmas time at all
Feed the world, let them know it’s Christmas time again
Feed the world, let them know it’s Christmas time again
Heal the world, let them know it’s Christmas time again
Feed the world, let them know it’s Christmas time again
Heal the world, let them know it’s Christmas time again
Heal the world, let them know it’s Christmas time again
Feed the world, let them know it’s Christmas time again
Heal the world, let them know it’s Christmas time again
Heal the world

Gut gemeint, aber problematisch?

Obwohl „Do They Know It’s Christmas?“ seit seiner Veröffentlichung 1984 bereits rund 170 Millionen für wohltätige Zwecke eingesammelt hat, steht der Song immer wieder in der Kritik. Im Zentrum dieser Diskussion stehen Fragen zu den Textinhalten, der Darstellung Afrikas und der Herangehensweise von Band Aid an die humanitäre Krise.

Hier die zentralen Kritikpunkte:

Ein eurozentrisches Weltbild

Der Titel selbst – „Do They Know It’s Christmas?“ – wird häufig als bevormundend und eurozentrisch kritisiert. Die Frage impliziert für die Kritiker, dass Weihnachten eine universelle Norm sei und die Menschen in Äthiopien (und Afrika im Allgemeinen) etwas verpassen würden, wenn sie dieses christliche Fest nicht feiern. Tatsächlich gibt es in Äthiopien eine christliche Tradition,die älter ist als die in Europa, aber so etwas stört ja keinen großen Geist, wie Karlsson vom Dach sagen würde. Aber diese koptischen Christen feiern Weihnachten nach dem orthodoxen Kalender erst im Januar. Die Idee, dass der Westen der Maßstab für kulturelle Werte sei, wirkt angeblich herablassend. Na denn.

Stereotypisierung und Vereinfachung

Der Songtext beschreibt Afrika mit Zeilen wie:

Where nothing ever grows, no rain or rivers flow.

Solche Aussagen verallgemeinern angeblich einen riesigen und vielfältigen Kontinent auf ein Bild von Wüste, Armut und Hoffnungslosigkeit. Tatsächlich war die Hungersnot, auf die der Song aufmerksam machen wollte, ein regionales Problem, das auf komplexe politische, klimatische und wirtschaftliche Faktoren zurückzuführen war. Die Darstellung reduziert Afrika auf ein Opferbild und vernachlässigt die Eigenverantwortung und die Stärke der betroffenen Gemeinschaften.Nun ist allerdings ein Songtext keine Doktorarbeit und wenn ich Songtexte schreibe (was ich ab und an unter einem Pseudonym mache) bilde ich mir nicht ein, eine soziologisch und geopolitisch korrekte Abhandlung zu verfassen, sondern einfach nur einen guten Text. Der kann dem besungenen Problem beim besten Willen nie vollständig gerecht werden. Und wenn nun die Eigenverantwortung und die Stärke des afrikanischen Kontiunents damals so toll gewesen wären, hätten sie das Problem wohl selbst in der Griff bekommen. Haben sie aber nicht.

Das Helfer-Syndrom des Westens

Die Initiative Band Aid und ähnliche Projekte werden oft als Beispiele für den sogenannten „White Savior Complex“ genannt. Dieses Konzept kritisiert die Tendenz des globalen Nordens, sich als Retter des globalen Südens darzustellen, ohne die tiefere Rolle der westlichen Länder in den strukturellen Problemen (Kolonialismus, Ausbeutung, Wirtschaftspolitik) zu reflektieren. Kritiker bemängeln, dass die Aktion von Band Aid eher den westlichen Musikern ein gutes Gefühl gab, als die wahren Ursachen der Krise zu bekämpfen.

Ja schön. Die Künstler wollten helfen. Hätten sie nicht gemusst. Wenn sie die Kohle für sich selbst verwendet hätten, hätte ich die Kritik verstanden. Aber so? Die Musiker verkörpern gerade nicht den „globalen Norden“ oder die Kolonialstaaten oder was auch immer, sondern einfach Menschen, die angesichts des Leids in Äthiopien Geld locker machen wollten, mit dem was sie können. Was mögen all die Labertaschen so an Kohle zusammen gespendet haben? Nach deren Logik hätte man wohl gar nicht helfen sollen. „Tut mir leid, aber ich will nicht übergriffig sein und Dir was zu essen geben, ich lasse Dich lieber politisch korrekt verrecken“? So etwa?

Kommerzialisierung von Wohltätigkeit

Während die Absicht, Geld für einen guten Zweck zu sammeln, lobenswert ist, werfen manche dem Projekt vor, dass es eher dem Image der beteiligten Stars zugutegekommen sei.

Die Medieninszenierung und der PR-Wert der Aktion stellten die Musiker als Helden dar, während die Betroffenen in Äthiopien anonym blieben. Zeigen die Medien hingegen verhungernde Kinder mit dicken Bäuchen, auf denen die Fliegen sitzen, ist es auch wieder nicht recht.

Zudem wurde die Frage gestellt, wie nachhaltig die Hilfe war, die aus den Spendengeldern finanziert wurde. Ach so. Eine gute Tat darf natürlich auf keinen Fall dem Image des Helfenden zu Gute kommen. Dieser Sankt Martin soll sich gefälligst etwas schämen, dass er den Mantel geteilt hat und damit über die Jahrhunderte berühmt geworden ist, während der Name des erfrierenden Bettlers heute keine Sau mehr kennt. Ist das wirklich zu begreifen?

Veralteter Ansatz und fehlende afrikanische Perspektiven

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Lied nahezu ausschließlich von westlichen Künstlern geschrieben und interpretiert wurde. Die Stimmen afrikanischer Künstler oder Aktivisten wurden nicht eingebunden, was die Darstellung einseitig machte. In späteren Benefizprojekten, wie etwa „We Are the World“, wurden diese Perspektiven stärker berücksichtigt, doch Band Aid bleibt ein Beispiel für eine veraltete Herangehensweise. Leute, wisst Ihr was: drauf geschissen. Die haben wenigstens versucht was zu tun, während ihr hochnäsig daher kommt.

Eine ambivalentes Vermächtnis

„Do They Know It’s Christmas?“ bleibt ein kulturelles Phänomen und ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Musik gesellschaftliche Themen ins Bewusstsein rücken kann. Gleichzeitig zeigt die Kritik zwar, wie wichtig es ist, bei solchen Projekten nicht nur kurzfristige Hilfe, sondern auch langfristige Lösungen und einen respektvollen Umgang mit den betroffenen Regionen zu bedenken. Das ist allerdings nicht Sache von Künstlern, die aus freien Stücken Geld sammeln um zu helfen, sondern von Staaten und Staatengemeinschaften. Aber die schaffen es ja nicht mal, den Hunger auf der Welt in den Griff zu bekommen, geschweige denn den Klimawandel, der uns weitere Notlagen bescheren wird.

Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.

schrieb Immanuel Kant in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Darüber könnten die Meckerköppe ja mal nachdenken.

Ich wünsche jedenfalls allen Leserinnen und Lesern eine friedliche Adventszeit. Und wenn Sie für einen wohltätigen Zweck spenden möchten, tun sie es. Wer Sie dafür verurteilen will, hat ein Rad ab.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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