Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag: Wächter der globalen Gerechtigkeit

In der letzten Woche beantragte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen die Hamas-Führung sowie den israelischen Premier Netanjahu. Dadurch geriet der Gerichtshof ins öffentliche Interesse. Kolumne von Heinrich Schmitz.


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Eine Rundreise durch die Welten der sozialen Medien ließen bei mir den Eindruck entstehen, als wären die Kenntnisse über das Gericht  nicht gerade umfassend.

Hüter des Völkerrechts

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag steht symbolisch für das Streben der Menschheit nach Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit. Seit seiner Gründung im Jahr 2002 hat sich der IStGH als zentraler Akteur in der internationalen Strafrechtspflege etabliert, indem er schwerste Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt. In dieser Kolumne soll der IStGH aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden, einschließlich seiner Entstehung, seiner Struktur und Funktionsweise, seiner bisherigen Erfolge und Herausforderungen sowie seiner Bedeutung im globalen Kontext.

Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs

Die Idee eines internationalen Gerichtshofs zur Verfolgung schwerer Verbrechen ist nicht neu. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Nürnberger und Tokioter Prozesse als Meilensteine im Kampf gegen die  bis dahin weitgehende Straflosigkeit von Verbechen gegen die Menschlichkeit angesehen. Diese Prozesse legten den Grundstein für die Entwicklung des modernen Völkerstrafrechts. Dennoch vergingen Jahrzehnte, bevor die internationale Gemeinschaft den politischen Willen und die notwendige Übereinkunft fand, um einen ständigen Gerichtshof zu etablieren.

1998 war ein entscheidendes Jahr: Die Verabschiedung des Römischen Statuts markierte die Geburtsstunde des IStGH. 120 Staaten einigten sich auf dieses Statut, das die rechtliche Grundlage für den Gerichtshof bildet. Es trat am 1. Juli 2002 in Kraft, nachdem die erforderliche Anzahl von 60 Staaten das Abkommen ratifiziert hatte.

Struktur und Funktionsweise

Der IStGH ist in mehrere Organe gegliedert: die Präsidentschaft, die gerichtlichen Abteilungen, die Anklagebehörde und das Kanzleramt. Jedes dieser Organe erfüllt spezifische Funktionen, die im Römischen Statut festgelegt sind.

Die Präsidentschaft: Sie besteht aus dem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten, die aus den Reihen der Richter gewählt werden. Die Präsidentschaft leitet die Verwaltung des Gerichtshofs und vertritt ihn nach außen.

Die gerichtlichen Abteilungen: Sie sind in drei Kammern unterteilt – die Vorverfahrenskammer, die Hauptverfahrenskammer und die Berufungskammer. Diese Kammern sind für die verschiedenen Phasen eines Verfahrens zuständig, von der Anklageerhebung über den Prozess bis hin zur Berufung.

Die Anklagebehörde: Geleitet vom Chefankläger, z. Zt. der britische Anwalt Karim Asad Ahmad Khan, ist sie für die Durchführung von Ermittlungen und die Anklageerhebung verantwortlich. Die Unabhängigkeit der Anklagebehörde ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit des IStGH.

Das Kanzleramt: Es unterstützt die anderen Organe administrativ und logistisch und sorgt dafür, dass der Gerichtshof reibungslos funktioniert.

Erfolgreiche Verfahren und Präzedenzfälle

Der IStGH hat im Laufe seiner Existenz eine Reihe bedeutender Verfahren durchgeführt, die sowohl rechtlich als auch symbolisch von großer Bedeutung waren. Zu den bemerkenswertesten Fällen gehören:

Thomas Lubanga Dyilo: Im Jahr 2012 wurde Thomas Lubanga Dyilo, ein kongolesischer Warlord, als erster Mensch vom IStGH verurteilt. Er wurde schuldig gesprochen, Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten eingesetzt zu haben. Dies war ein historischer Moment, da es das erste Urteil des Gerichtshofs war und ein starkes Signal gegen den Missbrauch von Kindern in Kriegen setzte. Er wurde zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Jean-Pierre Bemba: Im Jahr 2016 wurde der ehemalige Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo, Jean-Pierre Bemba, wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 18 Jahren verurteilt. Dieser Fall war besonders bedeutend, da er die Verantwortung von militärischen Befehlshabern für Verbrechen ihrer Untergebenen betonte. 2018 wurde Bemba dann allerdings im Berufungsverfahren freigeprochen.

Ahmad al-Faqi al-Mahdii: Im Jahr 2016 bekannte sich der malische Islamist Ahmad Al-Faqi Al-Mahdi schuldig, Kulturgüter zerstört zu haben. Dies war das erste Mal, dass der IStGH ein Urteil wegen der Zerstörung kulturellen Erbes fällte, was die Bedeutung des Schutzes von Kultur und Geschichte im Völkerrecht unterstrich.

Herausforderungen und Kritikpunkte

Trotz seiner Erfolge steht der IStGH vor zahlreichen Herausforderungen und ist Gegenstand verschiedener Kritikpunkte. Ein zentrales Problem ist die begrenzte Zuständigkeit des Gerichtshofs. Der IStGH kann nur in den Fällen tätig werden, in denen die Staaten, auf deren Territorium die Verbrechen begangen wurden oder deren Staatsangehörige beteiligt sind, das Römische Statut ratifiziert haben oder wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Verfahren einleitet.

Politische Einflussnahme: Einige Kritiker werfen dem IStGH vor, dass er zu politisch beeinflusst sei. Besonders deutlich wird dies in der Beziehung zu den Großmächten. Die USA, Russland und China haben das Römische Statut nicht ratifiziert und verweigern dem Gerichtshof ihre Unterstützung. Dies beeinträchtigt die globale Reichweite und Effektivität des IStGH erheblich.

Afrikanische Kritik: Der IStGH wird häufig dafür kritisiert, sich überproportional auf afrikanische Länder zu konzentrieren. Viele afrikanische Staaten fühlen sich ungerecht behandelt und werfen dem Gerichtshof vor, eine neokoloniale Agenda zu verfolgen. Diese Wahrnehmung hat in einigen Ländern zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem IStGH geführt, bis hin zu Drohungen, das Römische Statut zu verlassen.

Effizienz und Ressourcen: Ein weiteres Problem ist die Effizienz des Gerichtshofs. Die Verfahren sind oft langwierig und ressourcenintensiv. Die Komplexität der Fälle, die Sicherheitslage in den betroffenen Regionen und die Notwendigkeit, umfangreiche Beweise zu sammeln, tragen zu dieser Langwierigkeit bei. Dies führt zu Kritik an den hohen Kosten und der begrenzten Anzahl abgeschlossener Verfahren.

Die Bedeutung im globalen Kontext

Trotz der genannten Herausforderungen spielt der IStGH eine unverzichtbare Rolle im internationalen Rechtssystem. Er ist ein Symbol für das Engagement der internationalen Gemeinschaft, schwerste Verbrechen nicht ungestraft zu lassen. Der IStGH trägt dazu bei, dass Verantwortliche für Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden und sendet eine klare Botschaft an Täter weltweit, dass sie für ihre Handlungen belangt werden können.

Der Gerichtshof fördert auch die Entwicklung des Völkerstrafrechts durch seine Urteile und Rechtsauslegungen. Diese Entscheidungen haben prägende Wirkung und tragen zur Klärung und Weiterentwicklung internationaler Rechtsnormen bei. Zudem stärkt der IStGH die nationale Strafjustiz, indem er Staaten dazu ermutigt, eigene Kapazitäten zur Verfolgung schwerer Verbrechen aufzubauen. Dies geschieht oft in Form von Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Strafverfolgung auf nationaler Ebene.

Ein weiteres wichtiges Element ist die symbolische und moralische Dimension des IStGH. Opfer von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit finden im Gerichtshof eine Institution, die ihre Leiden anerkennt und sich bemüht, Gerechtigkeit herzustellen. Dieser Aspekt ist von unschätzbarem Wert für die Wiedergutmachung und die Versöhnung in von Konflikten betroffenen Gesellschaften.

Der Weg nach vorne: Reformen und Perspektiven

Um seine Mission besser zu erfüllen, muss der IStGH auf die genannten Herausforderungen reagieren und Reformen umsetzen. Einige Vorschläge hierzu sind:

Stärkung der Unabhängigkeit: Die Unabhängigkeit des IStGH muss weiter gestärkt werden, um politischen Einfluss zu minimieren. Dies kann durch institutionelle Reformen und eine bessere finanzielle Ausstattung erreicht werden.

Erweiterung der Zuständigkeit: Die Mitgliedstaaten könnten daran arbeiten, die Zuständigkeit des IStGH zu erweitern. Dies würde es dem Gerichtshof ermöglichen, auch in Fällen tätig zu werden, in denen die beteiligten Staaten das Römische Statut nicht ratifiziert haben, etwa durch eine stärkere Rolle des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

Effizienzsteigerung: Die Effizienz des Gerichtshofs muss verbessert werden. Dies könnte durch die Einführung schnellerer Verfahren, den Einsatz moderner Technologie und die verstärkte Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Ermittlungsbehörden geschehen.

Sensibilisierung und Aufklärung: Der IStGH sollte verstärkt Öffentlichkeitsarbeit betreiben, um das Verständnis und die Unterstützung für seine Arbeit zu fördern. Bildungsprogramme und Öffentlichkeitskampagnen könnten dazu beitragen, Missverständnisse und Vorurteile abzubauen.

Fazit: Ein unverzichtbares Instrument der Gerechtigkeit

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist ein unverzichtbares Instrument im Kampf gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und für die Durchsetzung des Völkerrechts. Trotz der zahlreichen Herausforderungen und Kritikpunkte hat der IStGH in seiner relativ kurzen Geschichte bedeutende Erfolge erzielt und wichtige Präzedenzfälle geschaffen. Er bleibt ein Symbol für die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Verantwortung in einer Welt, die allzu oft von Konflikten und Gräueltaten heimgesucht wird.

Die Zukunft des IStGH hängt davon ab, wie gut er auf die bestehenden Herausforderungen reagiert und sich weiterentwickelt. Mit den richtigen Reformen und einer stärkeren Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft kann der Gerichtshof seine wichtige Rolle noch besser erfüllen und dazu beitragen, dass schwere Verbrechen verfolgt werden.

Zu den aktuell beantragten Haftbefehlen ist zu sagen, dass ein Antrag noch kein Haftbefehl ist. Ob es die tatsächlich auch gegen Netanjahu geben wird, steht in den Sternen. Was mir sauer aufstößt ist aber, dass die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Mörder von der Hamas und Teile der israelischen Regierung den fatalen Eindruck erweckt, als werde deren Handeln gleichgesetzt mit dem Handeln der Hamas. Aber wie immer, schaun mer mal, was am Ende dabei rauskommt.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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