Letztes Wort

Dem Angeklagten gebührt im Strafprozess das letzte Wort. Warum eigentlich? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

§ 258 Schlussvorträge; Recht des letzten Wortes.

(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.

(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.

Das letzte Wort im Strafprozess – manchmal ein Moment voller Dramatik, Emotionen und gelegentlich sogar einer Prise Comedy. Ja, richtig gehört, inmitten all der ernsten Gerichtsverhandlungen und Rechtsprechung gibt es Momente, die selbst die trockensten Kehlen zum Lachen bringen können. Doch bevor wir uns in die Welt der Gerichtssäle und Anwaltsroben stürzen, lassen Sie uns kurz klären, was dieses berühmt-berüchtigte letzte Wort überhaupt ist.

Subjekt des Verfahrens

Das letzte Wort ist im Grunde die Gelegenheit für den Angeklagten, sich vor der Verkündung des Urteils noch einmal selbst zu äußern. Die StPO (Strafprozessordnung) stellt mit dem letzten Wort noch einmal – kurz vor dem allerletzten Wort, das das Gericht mit seinem Urteil spricht – die Stellung des Angeklagten als Subjekt des Verfahrens heraus. Bevor das Gericht sich in sein stilles Kämmerlein zur Beratung zurückzieht und erst mal Kaffee trinkt oder vielleicht auch einen Joint durchzieht – man weiß das ja nicht, weil die Beratung geheim ist –, soll der Eindruck vom Angeklagten das Letzte sein, was es aus der Beweisaufnahme in Erinnerung hat. Ein bisschen wie das Grande Finale einer Bühnenshow, nur dass hier die Einsätze etwas höher sind, und die Zuschauer in der Regel eher aus Richtern und Anwälten bestehen als aus einem begeisterten Publikum. Bei Promis ist die Hütte voll, aber auch manche Angeklagten bringen einen Fanclub von Kameraden  mit.

Es ist der Moment, in dem der Angeklagte noch einmal die Bühne betritt, um seine Version der Geschichte zu erzählen, seine Gefühle zu teilen oder vielleicht einen letzten verzweifelten Appell an das Gericht zu richten, bevor dieses über ihn richtet. Oder auch nicht. Denn er hat zwar das letzte Wort, er muss aber nichts sagen.

Doch genug der Theorie – lassen Sie uns in die Welt der Praxis eintauchen, in der das letzte Wort manchmal zu den unerwartetsten und unvergesslichsten Momenten im Gerichtssaal führt.

Misslungene letzte Worte

Ein klassisches Beispiel für ein denkwürdiges letztes Wort stammt aus dem Fall eines Restaurantbesitzers, der wegen Lebensmitteldiebstahls angeklagt war. Als ihm das letzte Wort gewährt wurde, stand er auf, straffte seine Schultern und verkündete feierlich:

„Ich gestehe, ich habe nie einen einzigen Fisch aus dem Aquarium meines Restaurants gestohlen! Aber ich werde alles tun, um den Dieb zu fangen!“

Der ganze Saal brach in Gelächter aus, denn darum ging es gar nicht, und selbst der Richter konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, bevor er das Urteil verkündete.

Ein eher missglücktes letztes Wort schaffte einer meiner Mandanten, der sich unbedingt, gegen meinen Rat, äußern wollte und im Brustton der Überzeugung sagte:

„Ich bin völlig unschuldig. Der Zeuge konnte mich gar nicht erkennen, weil es dunkel war und er seine Brille nicht trug.“

Bingo!

Doch nicht alle letzten Worte sind humorvoll, doof oder unbeschwert. Manchmal sind sie auch von tiefem Ernst und echter Reue geprägt.

Volltreffer

In einem Fall von Fahrerflucht nutzte der Angeklagte das letzte Wort, um sich zerknirscht an die Familie des Opfers zu wenden und um Vergebung zu bitten.

„Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen und das Unheil ungeschehen machen“, sagte er mit brüchiger Stimme, „aber ich möchte, dass Sie wissen, dass ich von ganzem Herzen bereue, was passiert ist, und dass ich jede Strafe akzeptieren werde, die Sie für angemessen halten.“

Diese aufrichtigen Worte rührten nicht nur die Anwesenden im Gerichtssaal, sondern zeigten auch, dass das letzte Wort mehr sein kann als nur eine formelle Geste – es kann eine Gelegenheit zur Versöhnung und zum Neuanfang sein. Und aufrichtige Reue, die ja der Verteidiger nicht wirklich vermitteln kann, ist ein nicht zu verachtender Strafmilderungsgrund. Das muss natürlich glaubhaft rüberkommen.

Natürlich gibt es auch diejenigen, die das letzte Wort nutzen, um ihre Unschuld trotz eindeutiger Beweislage zu beteuern. In einem Fall von Betrug und Unterschlagung nutzte der Angeklagte das letzte Wort, um vehement zu protestieren:

„Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich unschuldig bin! Die Beweise gegen mich sind gefälscht, und ich werde bis zum letzten Atemzug kämpfen, um meine Unschuld zu beweisen!“

Diese kämpferischen Worte ließen keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte bis zum Schluss an seine Version der Geschichte glaubte und bereit war, für sie zu kämpfen. Ob ihm das geholfen hat, darf bezweifelt werden. Das Gericht wird dies wohl eher als Uneinsichtigkeit gewertet haben.

Vorbereitet

Als Strafverteidiger sollte man seinen Mandanten tunlichst auf das letzte Wort vorbereiten. Denn auch, wenn es wohl in den wenigsten Fällen viel nützen kann, etwa dann, wenn ein Geständiger noch einmal betont, wie leid ihm die Tat tut und er das Opfer aufrichtig um Vergebung bittet, kann es doch auch sehr viel schaden. Das führt dann häufig dazu, dass man dem Mandanten empfiehlt, sich den Worten des Verteidigers einfach anzuschließen und auf eigene Ausführungen zu verzichten.

Aber auch das ist nicht immer richtig. Manchmal kann eine persönliche Erklärung dann doch noch ein milderes Urteil herbeiführen.

Denn auch, wenn man das kaum glauben mag und wenn mancher Richter durch seine Mimik bereits vor dem letzten Wort zu verstehen gibt, dass er den Angeklagten bereits innerlich verurteilt hat, das letzte Wort kann noch einen Einfluss haben. Vielleicht nicht unbedingt auf die Schuldfeststellung, aber sicher bei der Strafzumessung. Wer das Gericht beschimpft, tut sich da keinen Gefallen. Und wer dem Gericht zu sehr in den Arsch kriecht, sicher auch nicht. Aber ein, es tut mir leid, oder auch ein, das habe ich so nicht gewollt, kann, wenn es denn ernst gemeint ist, beim Gericht ankommen.

Mensch

Doch ganz egal, ob das letzte Wort von Humor, Reue oder Entschlossenheit geprägt ist, eines steht fest: Es ist ein Moment, der die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen widerspiegeln kann und uns daran erinnert, dass hinter jedem Fall ein Mensch mit einer individuellen Geschichte steht. Und vielleicht ist das ja die wahre Bedeutung des letzten Wortes im Strafprozess – nicht nur ein formeller Abschluss, sondern auch ein Moment der Menschlichkeit. Denn auch der schlimmste Straftäter ist und bleibt ein Mensch.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

More Posts - Website