Kommissar KI

Die Kontroverse um KI und Biometrie in der polizeilichen Fahndung. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von kiquebg auf Pixabay

Macht ist kein Mittel, sie ist ein Endzweck. Man etabliert keine Diktatur, um eine Revolution zu festigen; man macht eine Revolution, um eine Diktatur zu etablieren. Das Ziel von Verfolgung ist die Verfolgung. Das Ziel der Folter ist Folter. Das Ziel der Macht ist Macht.« (c) George Orwell: 1984

In einer Welt, in der die Technologie unaufhaltsam voranschreitet, stehen wir vor neuen ethischen und rechtlichen Herausforderungen, insbesondere wenn es um den Einsatz von sogenannter künstlicher Intelligenz (KI) und biometrischen Daten in der polizeilichen Fahndung geht. Diese Themen haben gerade nach der Festnahme der mutmaßlichen RAF-Terroristin Daniela Klette eine intensive Debatte ausgelöst, die von starken Argumenten auf beiden Seiten geprägt ist.

Lassen Sie uns die Pro- und Contra-Argumente betrachten.

Pro

Effizienz und Genauigkeit: KI-Algorithmen können dabei helfen, große Mengen an Daten blitzschnell zu analysieren und potenzielle Verdächtige zu identifizieren. Dies führt zu einer effizienteren Verbrechensbekämpfung und einer höheren Wahrscheinlichkeit, Täter zu fassen.

Verbesserung der Sicherheit: Der Einsatz von biometrischen Daten wie Fingerabdrücken, Gesichtserkennung oder DNA-Analysen in KI-gesteuerter Kombination kann helfen, gefährliche Verbrecher schneller zu identifizieren und festzunehmen, bevor sie weiteren Schaden anrichten können. Deshalb sind auch Law-and-Order-Sheriffs wie Rainer Wendt, Vorsitzender der DPolG, ohne Wenn und Aber für den Einsatz solcher Techniken.

Es kann doch nicht sein, dass der Staat sich künstlich dumm macht und moderne Technik ignoriert, statt sie zur Aufgabenerfüllung zu erlauben und anzuschaffen“, sagte er gegenüber der BILD.

Nun ja, es gibt eben künstliche und natürliche Dummheit allenthalben.

Prävention von Verbrechen: Durch präventive Maßnahmen, die auf der Analyse von Verhaltensmustern basieren, könnten zudem potenzielle Verbrechen frühzeitig erkannt und verhindert werden. Dies kann dazu beitragen, die Sicherheit der Gesellschaft insgesamt zu verbessern. Womöglich bekommen wir demnächst nach der Wettervorhersage gleich auch die Verbrechensvorhersage. „Achtung im Gebiet von XY ist mit zunehmenden Taschendiebstählen zu rechnen. Am Besten bleiben Sie zuhause.“

Contra

Verletzung der Privatsphäre: Der umfassende Einsatz von biometrischen Daten und KI in der polizeilichen Fahndung wird die Privatsphäre aller Bürger ernsthaft beeinträchtigen. Die permanente Überwachung und Speicherung persönlicher Daten stellt eine potenzielle Gefahr für demokratische Grundrechte dar. Wer will sich schon rund um die Uhr und überall in der Öffentlichkeit beobachtet fühlen? Ich jedenfalls nicht. Auch wenn ich gar nichts zu verbergen habe, möchte ich nicht dauernd beobachtet werden.

Aber auch dieses Argument zählt für einen wie Wendt nicht wirklich denn:

Der Datenschutz darf nicht länger Täterschutz sein, schon gar nicht, wenn es um gesuchte Terroristen oder andere Schwerkriminelle geht.

Datenschutz ist demnach was für Loser.

Fehlende Transparenz und Kontrolle: Oftmals fehlt es an Transparenz darüber, wie genau KI-Algorithmen arbeiten und welche Daten sie verwenden. Dies kann auch zu Fehlern führen und unschuldige Personen fälschlicherweise ins Visier der Fahndung rücken, ohne dass es eine angemessene Möglichkeit zur Überprüfung gibt.

Ich, der Heilige

Vor bereits vielen Jahren setzte ich eine Gesichtserkennungssoftware bei der Sortierung meiner Digitalfotos ein. Das war recht praktisch. Man musste nur ein Foto aufrufen, dort eine Person markieren und der Person einen Namen geben, und schwuppsdiwupp suchte das Programm alle Fotos, auf denen sie dieses Gesicht erkannte, mit einer unglaublichen Präzision. So wurde mein Gesicht sogar erkannt, obwohl dieses als Clownsgesicht geschminkt war. Allerdings erkannte die Software auch das Foto eines orthodoxen Priesters, der mir in Griechenland vor die Linse gelaufen war ebenso wie eine Heiligendarstellung auf einem Fresko in Italien. Nun ja, ich konnte das händisch korrigieren. Blöd wäre jetzt allerdings, wenn die schöne neue Fahndungs-KI mich mit einem gesuchten Schwerverbrecher verwechseln würde und gleich mal wieder ein Rollkommando oder auch gleich ein Robocop  bei mir anrücken würden..Andererseits kommen solche Verwechslungen natürlich auch bereits heute vor und möglicherweise erkennt die Software sogar eine Person nun doch präziser als ein halbblinder Zeuge, der das Foto eine Woche zuvor bei Aktenzeichen XY gesehen hat.

Risiko von Missbrauch und Diskriminierung: Der Einsatz von KI und biometrischen Daten in der polizeilichen Fahndung birgt allerdings auch das Risiko von Missbrauch und Diskriminierung. Wenn Algorithmen „voreingenommen“ sind oder auf fehlerhafte Daten trainiert werden, können sie zu unfairen oder auch rassistischen Ergebnissen führen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark betreffen.

Für den totalen Überwachungsstaat muss man die Gesichterkennung nur noch mit den Bewegungsdaten von Handys und den Bildern von Überwachungskameras kombinieren. Da lacht das Herz jedes Diktators.

Der DAV (Deutsche Anwaltverein) will daher die Nutzung biometrischer Daten zur Fernidentifizierung komplett verhindern:

Um die Grundrechte aller Bürger:innen umfassend vor der Bedrohung durch biometrische Massen­über­wachung zu schützen, sollte das KI-Gesetz jegliche biometrische Ferniden­ti­fi­zierung – ob in Echtzeit oder nachträglich – in öffent­lichen Räumen durch jeden Akteur umfassend verbieten,

meint Rechts­anwalt Dr. David Albrecht, Mitglied des Ausschusses Gefahren­ab­wehrrecht.

Ich habe mir da noch keine abschließende Meinung gebildet. In Anbetracht der Argumente ist es aber wichtig, einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der zwar möglicherweise die Sicherheit der Gesellschaft erhöht, gleichzeitig aber auch die Grundrechte und Freiheiten der Bürger respektiert. Dies erfordert eine sorgfältige Regulierung des Einsatzes von KI und biometrischer Daten durch klare Gesetze und Richtlinien, die Transparenz, Rechenschaftspflicht und den Schutz der Privatsphäre gewährleisten. Es liegt an uns, diese Technologien verantwortungsbewusst zu nutzen und sicherzustellen, dass sie dem Wohl der Gesellschaft dienen, ohne dabei grundlegende demokratische Prinzipien zu gefährden.

Wer also angesichts der fantastischen technischen Möglichkeiten, die die KI bietet, auf die Frage ,„Wollt Ihr die totale Überwachung?“, begeistert mit „Ja“ antwortet, sollte zumindest bedenken, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Überwachung auch missbraucht werden kann, recht hoch sein dürfte. Der allzeit im öffentlichen Raum auffindbare, identifizierbare, gläserne Bürger sollte nicht das Ziel des Staates sein.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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