Selbstbedienungs-Kasse oder „Darf ich mal kurz in deine Tüte gucken?“

Nicole Krey vergleicht das Einkaufen im digitalen Zeitalter zwischen den Niederlanden und Deutschland. Sie stellt fest, dass sich die Begeisterung für Selbstbedienungskassen ohne Barzahlungsmöglichkeit in ihrem Stamm-Supermarkt in einem Düsseldorfer Vorort in Grenzen hält, während die elektronische Bezahlung mit stichprobenartigen Kontrollen an den Selbstbedienungskassen in den niederländischen Supermärkten den Normalfall darstellt.

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In immer mehr Geschäften stehen inzwischen auch in Deutschland Selbstbedienungskassen, an denen man als Kunde die Tätigkeit der Kassiererin oder des Kassierers übernimmt, die Produkte selbst scannt bevor man sie von der kleinen Arbeitsfläche in die Tüte packt und anschließend mit der Quittung die Schranke öffnet, um zum Ausgang zu gelangen.

In den Niederlanden sind die Selbstbedienungskassen schon längst selbstverständlicher Teil des Einkaufsalltags und in einigen Supermärkten gibt es die traditionelle Kasse gar nicht mehr. Die Selbstbedienungskassen werden rege genutzt, um die Schlange an der traditionellen Kasse zu vermeiden. Die traditionellen Kassen werden nur noch genutzt von Bargeldliebhabern. Im Supermarkt bei mir um die Ecke ist die Schlange an der einzigen traditionellen Kasse daher nie besonders lang. Bargeldzahler sind in den Niederlanden Ausnahme, mal abgesehen von deutschen Touristen. Sollte die Schlange doch einmal länger als etwa 3 Personen werden, und reiht man sich dann als jüngerer Mensch in diese Schlange ein, wird man vom Kontrollpersonal, auf das ich gleich noch einmal zu sprechen komme, gefragt, ob man mit Karte zahlen wird. Falls ja, dann könne man auch an eine der 10 Selbstbedienungskassen ausweichen.

Bei Falsch-Scannen drohen drakonische Strafen in den Niederlanden

Zum Vergleich mein Stamm-Rewe in einem Düsseldorfer Vorort: Hier stehen der traditionellen Kasse 5 Selbstbedienungskassen gegenüber. Dieselbe Kassiererin, die dort schon vor 10 Jahren an der Kasse saß, sitzt dort noch heute. Die Schlange ist noch genauso lang und das Bargeld wird noch immer abgezählt, während die Kassiererin die gleichen Gespräche mit den Kunden über das gute bzw. schlechte Wetter führt wie vor der Einführung der Selbstbedienungskassen. Egal wie lang die Schlange ist, an den Selbstbedienungskassen herrscht gähnende Leere. Wenn ich mein Schälchen Ananas für 2,29 EUR – mit Karte – an der Selbstbedienungskasse abrechne, bin ich die Einzige. Kontrollpersonal steht dort nicht. Das Personal kommt nur herbei, wenn jemand beim Scannen oder Bezahlen Hilfe benötigt, also zur Unterstützung bei technischen Schwierigkeiten (siehe auch Beschluss des Landgericht Kaiserslautern vom 26.8.2021 – Aktenzeichen 5 Qs 68/21). Es hat weder eine Kassierer- noch eine Kontrollfunktion. Da ich geübte Scannerin bin, erledige ich den Vorgang mühelos innerhalb von 20 Sekunden ohne Hilfe des Personals.

Das Thema Selbstbedienungskasse hat in der niederländischen Presse in den letzten Wochen Wellen geschlagen. Die Supermärkte hätten vergangenes Jahr Millionenschäden durch Diebe erlitten, die ihre Produkte nicht scannen würden oder wenn sie ein Produkt händisch scannen müssten, die günstigere Variante wählten. Das Kontrollpersonal sehe sich dabei zunehmend Auseinandersetzungen mit Kunden ausgesetzt. Das Fazit war, dass niederländische Supermarktketten nun Maßnahmen zur Eindämmung dieses Problems treffen würden. Eine davon sei, dass sie bereits bei einmaligem Auffallen des Nicht- oder Nicht-Richtig-Scannens eines Produktes in der jeweiligen Kette landesweit Hausverbot erteilen würden. Wie bei Sharida, die vergessen hatte, Hühnchenfilet zu scannen und jetzt landesweites Plusmarkt-Verbot hat.

Das landesweite Hausverbot fand bei den niederländischen Kommentatoren in den sozialen Medien jedenfalls breite Zustimmung im Sinne von „Geschieht Ihnen Recht, den asozialen Dieben! Hausverbot auf Lebenszeit!“ Auch bei nicht-virtuellen Gesprächen in meinem Umfeld traf meine ablehnende Sicht auf wenig Verständnis. Mein Einwand, dass man die Kunden mit den ewigen Kontrollen sowieso unter Generalverdacht stelle und ein landesweites Hausverbot in einer Supermarktkette (wohlgemerkt der Versorgung von Basisbedürfnissen dienend) bei einem einmaligen Falsch- oder Nichtscannen von 0,30 EUR in keinerlei Verhältnis stünde, machte einige Bekannte sogar richtig sauer. Tenor: „Woher sollen denn die Supermärkte sehen ob du nicht gerade derjenige bist, der stehlen möchte?“, „Musst du halt gut aufpassen beim Scannen!“, „Worüber regst du dich auf? Die Produkte gehören noch nicht dir, denn du hast noch nicht bezahlt!“, „Das steht so in deren AGB, dass die dir Hausverbot erteilen können und wenn du in den Laden kommst, dann stimmst du denen zu! Sonst darfst du dort halt nicht einkaufen gehen!“

Aufwendiges Kontrollprocedere

An dieser Stelle möchte ich nun darauf zu sprechen kommen wie 1. der Scanvorgang im niederländischen Supermarkt abläuft, 2. der „Beruf“ des Supermarkt-Kontrollpersonals aussieht und 3. „worüber ich mich aufrege“.

1. Zunächst scannt man als Kunde die Produkte, und da die Arbeitsfläche kleindimensioniert ist, packt man die Gegenstände nach dem Scannen logischerweise in seine Tüte, um die Übersicht zu behalten. Sobald man auf Bezahlung drückt, erwartet einen der spannende Moment, ob man zu den Auserwählten gehört die kontrolliert werden oder ob man wirklich Zeit gespart hat und einfach bezahlen und gehen kann. Die Kontrollen geschehen „stichprobenartig“, und jedes Geschäft kann die Kriterien selbst bestimmen. Dafür würden objektive Kriterien zugrunde gelegt wie bspw. die Geschwindigkeit, mit der man einkauft. Gefühlt bei jedem dritten Einkauf erscheint bei mir die Meldung: „Einen Moment Geduld, du wirst kontrolliert. Ein Mitarbeiter kommt gleich.“

2. Dann kommt ein Mitarbeiter des Kontrollpersonals und fragt, ob er mal in die Tüte gucken dürfe. „Mal in die Tüte gucken“ bedeutet in dem Supermarkt bei mir um die Ecke, dass die komplette Einkaufstüte wieder auf die kleine Arbeitsfläche ausgeräumt wird, um zu kontrollieren ob die Arbeit vom Kunden auch richtig erledigt wurde. Anschließend muss man alles erneut einpacken. Der Kontrollprozess dauert erheblich länger als der Selbstscanvorgang, da das Kontrollpersonal die Liste der Reihe nach abarbeitet und jedes Produkt einzeln suchen muss, wo man zuvor die Waren einfach willkürlich nacheinander gescannt hatte.

3. Mich nervt nicht nur die Zeit, die das Warten, die Durchführung der Kontrolle sowie das doppelte Einpacken kostet. Die Vorgehensweise führt auch rechtlich zur Beweislastumkehr und Übertragung der Verantwortung vom Laden auf den Kunden, wie man an folgendem Beispiel sieht:

Letztens geriet ich in eine Kontrolle und unter den Produkten befand sich ein Croissant. Backwaren müssen händisch aus der Palette an der SB-Kasse ausgewählt werden. Nun gibt es dort ein „Buttercroissant“ aber auch ein „Croissant“ zur Auswahl. Da ich keine Bäckereifachverkäuferin-Ausbildung absolviert habe, bin ich nicht mit allen Feinheiten der Gebäck-Produktpalette jedes Supermarkts vertraut. Das „Buttercroissant“ sieht auf dem Kassen-Bildchen gebogen aus, das „Croissant“ dagegen gerade. Da mein Croissant gebogen aussah, wählte ich das „Buttercroissant“. Der Kontrolldame fiel auf, dass ich ein „Croissant“ in meiner Tüte hatte. Das „Buttercroissant“ sei größer und darauf sei abzustellen, meinte sie, nicht auf den Beugungsgrad. Daraufhin schlussfolgerte sie, dass ich Glück gehabt hätte kontrolliert zu werden, denn beinahe hätte ich 0,30 EUR zu viel bezahlt. Glück habe ich eigentlich deswegen gehabt, weil mir das Versehen nicht andersherum passiert ist. Dann wäre ich nach dem herrschenden niederländischen Narrativ ein Dieb gewesen, der die günstigere Variante ausgewählt hat.

Vision = der gläserne Einkaufskorb

Mal abgesehen davon, dass nicht-juristisch geschultes Personal sich quasi auf den Stuhl der polizeilichen Ermittlungsbehörden, der Staatsanwaltschaft sowie des Strafrichters setzt, wird auch Verantwortung des Geschäftsinhabers auf den Kunden verlagert. Bestimmt vertut sich auch der angestellte Kassierer das ein oder andere Mal bei der händischen Auswahl des Brötchens, obwohl er mit der Produktpalette seines Arbeitgebers bekannt sein sollte. Dennoch unterstellt man ihm wohl kaum Diebstahl, obwohl Diebstahl auch mit sogenannter Drittzueignungsabsicht möglich ist, also durch den Kassierer zugunsten des Kunden. Ich habe mir daher überlegt, ob ich beim nächsten „Darf ich mal kurz in deine Tüte gucken“ antworte: „Nein, das darfst du nicht. Das ist meine Tüte und ich habe Gewahrsam an den Gegenständen in ihr begründet und bin bereit, den Kaufpreis an dich zu übereignen. Wenn du denkst, dass ich stehlen möchte, kannst du aber gerne die Polizei rufen, damit diese meine Tüte kontrolliert.“ Das Hausverbot wird mir dann vermutlich aufgrund der abgelehnten Kontrolle erteilt. Steht bestimmt auch irgendwo in den AGB, die ich ja akzeptiert habe, als ich reinkam.

Nun könnte man überlegen, ob die Selbstbedienungskassen überhaupt Sinn machen, wenn die Schäden die eingesparten Kosten übersteigen und das Kontrollpersonal den Unmut der Kunden zu spüren bekommt. Man könnte beispielsweise wieder mehr traditionelle Kasse neben den Selbstbedienungskassen zur Verfügung stellen. Der niederländische Einzelhandel hat diese Frage für sich anders gelöst und zwar mit mehr Digitalisierung beim Einkaufen. Digitale Supermärkte nach dem Beispiel von Amazon seien nur noch eine Frage der Zeit. Wenn man diese digitalen Geschäfte von Amazon ohne Personal betritt, registriert man sich über eine App. RTL Nieuws schreibt, dass alle Produkte die man in seinen Einkaufskorb packt, von Kameras registriert werden. Die Waren werden zu diesem Zweck aus 150 Perspektiven fotografiert und in einer Database abgespeichert. So kann das Geschäft nachvollziehen, was man kauft. Der Kaufpreis wird automatisch abgebucht.

Ein ähnliches Konzept eines digitalen Supermarktes wurde 2019 bereits auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol getestet. Die Türe zu diesem Supermarkt öffnete sich mittels Scan der EC-Karte am Eingang. Auch hier wurde automatisch registriert welche Produkte man einpackt, und der Kaufpreis wurde entsprechend automatisch abgebucht. Bis der digitale Supermarkt ohne Personal Standard wird, dauert es aber noch etwas. Bis dahin wird mit mehr künstlicher Intelligenz und mehr Kameraüberwachung gearbeitet. Mittlerweile gibt es eine Supermarktkette, bei der die künstliche Intelligenz an der Selbstbedienungskasse automatisch Fotos von Kunden macht, die vergessen hatten, ihre Produkte zu scannen und diese Bilder an das Ladenpersonal übermittelt.

Für mich gibt es gleich erstmal ein Heißgetränk bei meinem Stammkiosk in einem Düsseldorfer Vorort. Mit abgezähltem Bargeld und Plausch über das frostige Wetter dieses Wochenende. Fotos werden dabei auch gemacht – aber nur von der Schneelandschaft.
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Nicole Krey
Gebürtige Bonnerin, aufgewachsen in den Niederlanden. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und anschließender Tätigkeit als Anwältin in Düsseldorf ist sie inzwischen als Unternehmensjuristin im digitalen Bereich tätig und wohnt wieder an der niederländischen Küste. Als Angehörige der Generation X hat sie in den 90ern auf einem 386er noch über MS-DOS prompt Befehle eingegeben, sich mit Unbekannten in Chatrooms über Musik ausgetauscht und Partys ohne Smartphone gefeiert.

 

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