Alle Jahre wieder
In der Erwartung, dass an Weihnachten kaum jemand eine Kolumne lesen will, erlaubt Heinrich Schmitz sich einen Rückblick auf einen Heiligabend seiner Kindheit. Heute geht’s mal nicht um Recht und Politik, sondern ein Spielzeugkrokodil steht im Mittelpunkt.
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Bewusste Erinnerungen an ein Weihnachtsfest habe ich erst ab etwa 1963. Da war ich fünfeinhalb Jahre alt und noch Einzelkind. Meine Schwester wurde erst im darauffolgende Jahr geboren. Bis dahin genoss ich die alleinige Aufmerksamkeit meiner Eltern.
Dass der Heilige Abend bevorstand, merkte ich an der seit ein paar Tagen verschlossenen Wohnzimmertür. Obwohl die beiden Türflügel einen hohen Glasanteil hatten, konnte ich mir die Nase an den Scheiben platt drücken, ohne etwas dahinter zu erkennen. Es war stockfinster.
Süppsche
Irgendwann, das war dann am 24.12.1963, erschien zunächst mein Opa am späten Nachmittag in unserer Küche und fragte meine Mutter, ob er schon etwas von „demm Süppsche hann könnt“. Opa kam gerne bei uns essen, weil die Kochkünste der „kleinen Oma“ eher nicht seinem Geschmack entsprachen und der Weg über den gemeinsamen Hof ein kurzer war. Natürlich bekam der sein Süppchen und machte es sich gemütlich.
Ich saß dabei, während er nach der Suppe erst mal eine wohlriechende Zigarre anzündete. Ich war häufig bei meinem Opa, der gerne in seinem Sessel saß, ein Glas Wein trank, eine Zigarre oder auch seine Pfeife rauchte und etwas las. Nach der Zigarre ging er mit mir spazieren und erzählte dabei, dass das Christkind heute ins Haus käme.
Christkind gesehen
Ich wollte natürlich sofort zurück, um das Christkind nicht zu verpassen, denn meine Mutter hatte mir erzählt, sie habe es selbst einmal gemeinsam mit ihrer Freundin Yvonne gesehen. Das war am Anfang des Krieges. Yvonnes Eltern hatten ein renommiertes Bekleidungsgeschäft in der Neustraße und dort war es passiert. Die zwei hatten sich am frühen Abend im Laden versteckt und plötzlich ein helles Licht gesehen, das durch den Laden zog und wie ein Engel aussah. Das Christkind verschwand am anderen Ende des Ladens. Meine Mutter erzählte das dermaßen überzeugend, dass ich später, als alle anderen Kinder schon längst nicht mehr an die Existenz des Christkindes glaubten, immer wieder sagte: „Aber meine Mama hat es doch gesehen.“
Nun denn, Opa hielt mich geschickt von Zuhause ab und nach ca. einer Stunde, die mir wie ein halber Tag vorkam, ging es zurück. Wieder in die Küche. Das Wohnzimmer war immer noch zu. Also weiter warten. Irgendwann sagte Mama, sie würde mich jetzt fein machen. Das bedeutete, dass ich eine graue Anzughose und ein weißes Hemd mit furchtbar kratzigem Kragen anzog. Dann ging es wieder in die Küche, in der es ziemlich heiß war. Wo mein Vater abgeblieben war, wusste angeblich keiner. Aber ohne den konnten wir doch nicht Weihnachten feiern. Verzweiflung machte sich bei mir breit.
Bevor meine Verzweiflung am Höhepunkt war, kam die kleine Oma zu uns, und mein Vater mit der großen Oma und dem anderen Opa ierschienen n der Küche. Es wurde langsam eng. Papa verschwand aber gleich wieder.
Domglocken
Und dann hörten wir auf einmal die Glocken. Es waren die Glocken des Kölner Doms, die eine Weihnachtsschallplatte einleiteten, was ich Jahre später erfuhr. Danach ein klares Klingeln eines Glöckchens.
Mama sagte: „Ich glaube, das Christkind ist da.“ und ich war schon auf dem Weg ins Wohnzimmer. Der Weihnachtsbaum war hell mit echten Kerzen erleuchtet, reich geschmückt und mit Lametta behängt. Goldene und silberne Glaskugeln, silbernes Lametta. Das war für mich so schön, dass ich erst mal nur staunte. Meine Frage, ob das alles das Christkind gemacht habe, wurde selbstverständlich bejaht.
Dann setzte sich mein Vater ans Klavier und wir sangen Weihnachtslieder. Meine Eltern und meine Omas und Opas hatten schöne Stimmen und konnten alle singen. Während die die Kinderlein kommen ließen, der Tannenbaum grünte, das Schneeflöckchen geschneit kamen und das gesamte Repertoire deutscher Weihnachtslieder abgefeiert wurde, durfte ich meine Geschenke auspacken. Was das – bis auf eines – genau war, weiß ich heute nicht mehr, vermutlich überwiegend Kleidung. Früher gab es nicht so furchtbar viele Geschenke wie heute, dafür glaubte man aber auch nicht, der Vorname des Christkinds sei Amazon.
Gaty
Das eine Geschenk von damals habe ich heute noch. Es ist ein Steifftier namens Gaty und Sie dürfen dreimal raten, was für ein Tier es ist. Richtig ein Alligator. Krokodile und Alligatoren mochte ich damals schon sehr und das Christkind hat das gewusst. Gaty hat heute einen ordentlichen Sammlerwert, aber er muss nicht befürchten, verkauft zu werden.
Nach der Bescherung gab es Essen. Erst die Hühnerbrühe, danach Pastetchen mit Hühneragout und zum Abschluss einen Schokoladenpuddig mit Vanillesoße für mich und Eierlikör für die Damenriege. Die Opas tranken noch ein paar Cognac ( Dat wärmste Jäckche is e Conjäckche) und irgendwann war ich dann auf dem Teppich mit meinem Gaty eingeschlafen.
Warum ich Ihnen das alles schreibe, weiß ich nicht. Nein, keineswegs um zu behaupten, früher sei alles besser gewesen. Es war anders, es war schön, aber es war nicht besser.
Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. Machen Sie für sich das Beste draus, und den Abend für Ihre Kinder, Enkel und Urenkel auch zu einem schönen, magischen Ereignis, an den sie sich noch 60 Jahre später positiv erinnern. Etwas Magie hat selten geschadet.