Francis Underwood – Blaupause für Donald Trump?

Nach 73 Folgen „House of cards“ sagt Henning Hirsch: Selbst ein filmischer Präsident erscheint realistischer als der womöglich nächste POTUS.

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Mit ZIEMLICHER Verspätung habe ich mir „House of cards“ angeschaut. Die erste große Serie, die nicht von einem TV-Sender, sondern einem Streamingdienst (Netflix) in Auftrag gegeben wurde. Produziert wurden 6 Staffeln im Zeitraum zwischen 2012 und 2018 mit insgesamt 73 Folgen. Die erzählte Geschichte spielt auch in diesen Jahren. Es gibt 3 Protagonisten – Francis Underwood, seine Frau Claire und ihren Adjutanten Doug Stamper –, denen im Verlauf der Handlung immer mal andere wichtige Figuren an die Seite gestellt werden, die jedoch nach ein, zwei Staffeln wieder verschwinden.

Haupttenor der Staffeln 1 & 2:

Ich will Kalif werden anstelle des Kalifen!
© Isnogud

Wechseln Sie „Kalif“ in „US-Präsident“ aus, dann passt es.

Politik zwischen Heuchelei und Skrupellosigkeit

Die Geschichte im Schnelldurchlauf:

House of Cards (englisch für Kartenhaus) ist eine US-amerikanische Fernsehserie, deren Erstausstrahlung 2013 bei dem Video-on-Demand-Anbieter Netflix lief und die vorwiegend den Genres Politthriller und Drama zugeordnet wird. Sie erzählt die Geschichte des durchtriebenen Abgeordneten Francis „Frank“ Underwood, der gemeinsam mit seiner ähnlich machthungrigen Ehefrau ein System von Intrige, Korruption und Mord kreiert, um in höhere politische Ämter aufzusteigen und somit seinen Machteinfluss zu vergrößern.
© Wikipedia
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Die US-Serie House of Cards hat sich der kompromisslosen Erforschung des Willens zur Macht, politischer Ambitionen und der amerikanischen politischen Tradition verschrieben. Basierend auf einer britischen Miniserie steht in „House of Cards“ der von Kevin Spacey porträtierte Francis Underwood im Zentrum. Er übt eine Funktion aus, die man in der amerikanischen Politik als House Majority Whip bezeichnet – im House of Representatives ist er in der Partei mit der aktuellen Mehrheit (Majority) dafür verantwortlich, die Abgeordneten bei Abstimmungen auf Parteilinie zu halten (whip=Peitsche). Denn in den USA gibt es bei Abstimmungen keinen (indirekten) Fraktionszwang, da die Parteien wegen der kompletten Direktwahl kein Druckmittel gegen die Abgeordneten haben.

Die Majority Whip hat also die schwierige Aufgabe, die einzelnen Abgeordneten mit Zuckerbrot und Peitsche dazu zu bringen, die Wünsche der Parteiführung in Abstimmungserfolge im Parlament umzusetzen. Das geschieht meist hinter den Kulissen. Dort spielt sich die Handlung von „House of Cards“ ab, in der Gier, Liebe, Sex und Korruption treibende Kräfte sind. Robin Wright porträtiert die ambitionierte Ehefrau von Underwood.
© serienjunkies.de
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Ein Politiker zwischen Heuchelei und Skrupellosigkeit: Mit fiesen Intrigen kämpft sich der US-Abgeordnete Frank Underwood (Kevin Spacey) an die Macht, unterstützt von seiner ebenso kaltblütigen Frau Claire (Robin Wright).

Kevin Spacey liefert in „House of Cards“ als zynisch abgekochter Politiker mit absolutem Willen zur Macht eine hypnotisierende Performance ab. An seiner Seite brilliert Robin Wright als ebenso Gattin Claire, die ihrem Mann in Sachen Ehrgeiz und Machthunger in nichts nachsteht. Michael Kelly spielt Underwoods treusten Untergebenen und wichtigsten Vertrauten, Doug Stamper.
© sky.de
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Weil der frisch gewählte US-Präsident Walker ihm das fest versprochene Amt des Außenministers verwehrt hat, plant der machtbesessene Kongressabgeordnete Francis Underwood eine Intrige gegen die Regierung. Um selbst in die oberste Etage der US-Politik vorzudringen, sucht sich Underwood Komplizen und schreckt auch nicht vor falschen Versprechungen, Manipulation oder gar Erpressung zurück. Angetrieben wird er von seiner nicht minder berechnenden und ehrgeizigen Ehefrau Claire. Auch die aufstrebende Jungjournalistin Zoe Barnes bringt er auf seine Seite.
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Ich habe ein bisschen gebraucht, um mich von der Story in ihren Bann ziehen zu lassen. Washington- und Präsidentengeschichten gibt es en masse, fiesen Abgeordneten bin ich schon in ner Menge Filme begegnet, und Politik als Geschäft – und nicht aus Überzeugung – ist nun auch nicht gerade ein innovatives Thema. Ich wollte deshalb eigentlich am Ende von Staffel 1 wieder aussteigen, weil alles in Variationen schon mal woanders gesehen, zappte aber unvorsichtigerweise doch in die Fortsetzung rein und blieb dann bis zum blutigen Finale in Episode 73 kleben. War’s nur Suchtverhalten, das mich nicht genug vom Washingtoner Politikbetrieb kriegen ließ, oder: Worin besteht das Außergewöhnliche dieser von Kritikern und Publikum hochgelobten und mehrfach ausgezeichneten Serie?

99 Prozent Realität?

Lassen wir hier ein paar Profis zu Wort kommen:

99 Prozent von House of Cards stimmen mit der Realität überein. Das verbleibende Prozent: Es ist unmöglich, dermaßen schnell ein Bildungsgesetz zu verabschieden.
© Bill Clinton

Dieser Kerl bekommt wirklich eine Menge geregelt!
Das Leben in Washington ist in der Realität langweiliger, als in der Serie dargestellt
© Barack Obama

Underwood wird mit all den falschen Eigenschaften dargestellt, die man so über Washington hört. Er bringt ein Kongressmitglied wortwörtlich um. Wenn ich nur einen Abgeordneten umbringen könnte, müsste ich mir nie wieder mehr Sorgen über das Stimmverhalten machen.
© Kevin McCarthy

Das Mobiliar, die Telefone, die Vorhänge, die Skandale, die Verhandlungen in den Hinterzimmern… das alles basiert tatsächlich auf der Realität. Der einzige große Unterschied ist Underwood, der im Gegensatz zu seinen realen Vorbildern im Kongress „einen Plan“ hat.
© Thomas Massie

Das politische Geschehen in Washington ist mir zu düster, um regelmäßig eine Episode zu sehen.
© Justin Trudeau

Die Serie ist sehr nah dran am realen politischen Geschehen. Unter anderem wird die enge Beziehung zwischen Politikern und der Presse sehr gut dargestellt. Allerdings werden Entscheidungen in der Serie schneller getroffen werden und insgesamt sieht die Geschichte viel glamouröser aus als ihr reales Vorbild.
© Rina Shah

So weit, so gut bzw. schlecht. Denn die schiere Menge der Eine-Hand-wäscht-die-andere-Deals, die täglich auf den Fluren des Kapitols und in den Zimmern des Weißen Hauses geschlossen werden erstaunt (iSv. erschrickt) schon bisweilen: Du gibst mir deine Stimme für mein Gesetzesvorhaben; ich besorge dir im Gegenzug eine Krebsklinik für deinen Wahlbezirk.

Wo die Serie allerdings den Boden der Realität verlässt, scheint mir die Mordlust des Protagonisten-Trio-infernale zu sein. Schwer vorzustellen, dass ein Vizepräsident am Tag vor seiner Vereidigung noch schnell eine unbequeme Investigativjournalistin vor die U-Bahn schubst oder seelenruhig einen Abgeordneten, der ihm eventuell gefährlich werden könnte, in dessen Auto erstickt. Auch dass Präsidenten ihre Außenministerin eine Treppe (im Weißen Haus!) runterstoßen, damit die nicht in einem Untersuchungsausschuss aussagt, ist eher ungewöhnlich. Flankiert von all den Tötungsdelikten des Stabschefs und der First Lady fühlt man sich mitunter an den Blutdurst, wie er an europäischen Fürstenhöfen in der Renaissancezeit herrschte, erinnert und wundert sich, wie so was in Räumen, die 24/7 videoüberwacht sind, (a) ständig geschehen und (b) unentdeckt bleiben kann.

Klar, es ist Fiktion und keine Doku. Deshalb müssen wir bei den o.g. 99 Prozent Wirklichkeitstreue doch Abstriche machen. Ich taxiere den Realitätsgehalt auf 80 (was ja immer noch hoch ist).

Dramaturgie & Figurenentwicklung

Die Serie lebt vom Realitätsbezug (auch wenn der „nur“ bei 80 liegt), dem diabolischen Agieren des Ehepaars Underwood und der mitunter hypnotischen Kraft, die Kevin Spacey als Politiker, der weder Grenzen noch Skrupel kennt, um an die Schalthebel der Macht zu gelangen, verströmt. Doug Stamper als treuer Paladin, der sich die Finger ordentlich mit Blut besudelt, ist zwar ebenfalls wichtig für die Handlung, wäre aber als Figur jederzeit austauschbar; während die Geschichte ohne Mr. & Mrs. Underwood nicht funktioniert. Weshalb es nicht verwundert, dass Staffel 6, bei der Kevin Spacey nicht mehr mitwirkt, qualitativ abfällt. Das liegt nicht daran, dass nun Frau Hale (frühere Underwood) das Präsidentenamt innehat, sondern am Fehlen ihres kongenialen Partners. Wahrscheinlich wäre es andersherum – Robin Wright scheidet vorzeitig aus – ebenfalls schwierig geworden, den ursprünglichen Spannungsbogen beizubehalten. Wobei Spacey doch eine Spur elektrisierender auf den Zuschauer wirkt als seine Film-Ehefrau, die überwiegend die Rolle der kühlen Blondine, bar jeglicher emotionaler Ausbrüche, spielt. Er mit seinen sporadischen Wutanfällen ist greifbarer, „menschlicher“.

Für meinen Geschmack wird der Fokus dennoch zu sehr auf das glamouröse Ehepaar gerichtet. Bei zu viel Oval Office und Abgeordnetenbüros macht sich irgendwann auch beim politikaffinen Zuschauer ein (Über-) Sättigungsgefühl bemerkbar. Etwas mehr Augenmerk auf die anderen Charaktere wäre deshalb gut gewesen. mMn wurde eine große Chance am Ende von Staffel 1 vertan, als man Zoe Barnes und Peter Russo sterben ließ (beide eigenhändig vom Vizepräsidenten in spe ermordet). Die hätte man gut zu dauerhaften Antagonisten aufbauen können. Die Erstgenannte setzt den Underwoods journalistisch zu, der Zweite entwickelt sich zum machtvollen Gegenspieler im Kapitol. So, wie es die Drehbuchautoren stattdessen handhaben – jede Staffel ein anderer Widersacher, der nach ein paar Folgen vom Trio infernale ausgetrickst wird und geprügelt von der Bühne schleicht –, ist es zum einen abträglich für die Spannung, und zum anderen entwickelt man als Zuschauer zu niemand große Sympathie. Ja, man ertappt sich oft dabei, dass man dem skrupellosen Ehepaar die Daumen drückt, wissend, dass die 2 letztlich bloß eiskalte Killer sind, die notfalls eine kleine Atombombe in der syrischen Wüste zünden, wenn sie sich damit an der Macht halten können. Das fällt dann wohl in die Rubrik „cineastisches Stockholm-Syndrom“.

Die Figurenentwicklung lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Die Underwoods waren seit Folge 1, Minute 1 von jeglicher Moral befreit und bereit, über Leichen zu gehen, um ihr Ziel (die Präsidentschaft) zu erreichen. Ihr Grad an Skrupellosigkeit wächst von Staffel zu Staffel; dass sie jemals ins Zweifeln geraten, ob der Zweck tatsächlich jedes Mittel heiligt, ist nicht erkennbar. Eher legen sie eine weitere Schippe Lug & Betrug drauf, als einen Gang runterzuschalten. Doug Stamper – eine echt undankbare Rolle – hätte eine Wandlung durchlaufen können, bleibt aber dem von ihm vergötterten Francis Underwood bis zum Schluss sklavisch ergeben und mordet lieber weiter, als die Art und Weise, in der der Aufstieg seines Chefs zustande kam, zu hinterfragen. Russo und Barnes wären weitere denkbare Charaktere gewesen, die man sich hätte entwickeln lassen können = von ursprünglichen Mitläufern zu ernstzunehmenden Kontrahenten der Underwoods. Aber die ließ man halt beide am Ende von Staffel 1 lieber sterben, als die Figuren weiter zu nutzen. Und die ständig neuen, auf die Lebensdauer von ein paar Folgen begrenzten, Widersacher bleiben alle überwiegend blass. Auch der republikanische Gegenkandidat Conway verschwindet nach 1 Staffel völlig in der Versenkung. So kommt mangels nachhaltiger Widersacher allmählich Langeweile auf. Das System Underwood scheint unbesiegbar zu sein.

War’s tatsächlich Liebe?

Die Ehe der 2 = große Liebe oder doch nur eine Zweckgemeinschaft? Schwer zu sagen. Vermutlich eine Mischung aus beidem. Als er ihr, augenscheinlich eifersuchtslos, gestattet, sich einen Liebhaber zuzulegen (ein libidinöser Schriftstellerklugscheißer), kamen mir erste Zweifel am Fortbestehen der Beziehung. Die gerät spätestens dann an ihre Belastungsgrenze, als er seine Präsidentschaft aufgibt und sie ihm im Amt nachfolgt. Er verlässt das gemeinschaftliche Schlafzimmer, übersiedelt in ein Hotel, aus dessen Fenster er beim Blick auf das White House täglich daran erinnert wird, dass sich die Verhältnisse in seiner Ehe um 180 Grad gedreht haben. Zärtliche Gefühle wird das bei einem machtfixierten Charakter wie Frank Underwood eher nicht auslösen. Wahrscheinlich mutiert die Liebe nun zu Hass.

So ganz genau erfahren wir als Zuschauer das jedoch nicht, weil zwischen Staffel 5 – an deren Ende das Präsidentenamt von Frank auf Claire übergeht – und dem Beginn von Staffel 6 Kevin Spacey aufgrund der Vorwürfe, die 2018 gegen ihn erhoben wurden, unvermittelt ausscheidet. Das Drehbuch musste im Schnellverfahren neu geschrieben werden, das Finale findet ohne den Protagonisten statt. Der Ex-Präsident ist zwischenzeitlich verstorben, wird nur noch in Unterhaltungen erwähnt. Robin Wright müht sich zwar, Staffel 6 zu retten, agiert jetzt noch machiavellistischer als ihr Mann; trotzdem fehlt das Diabolische Spaceys an allen Ecken und Enden. Das kann auch nicht durch den in eine milde Form des Wahnsinns abdriftenden Doug Stamper, den mittlerweile immer tiefer ins Herz der Finsternis vorstoßenden Journalisten Tom Hammerschmidt und die aus dem Hut gezauberte Gegenspielerin Annette Shepherd – früher die beste Freundin der Präsidentin – kompensiert werden. Diese 3 zusammen ergeben noch nicht mal 1 Drittel Frank Underwood. Staffel 6, mit 8 Folgen ohnehin die kürzeste, erreicht leider nicht mehr das Spannungsniveau der vorangehenden 5.

Am Ende ist man froh, als Claire im Oval Office ihrem langjährigen Komplizen Doug den Dolch (der strenggenommen ein Brieföffner von Francis ist) ins Herz stößt und der treue Paladin in ihren Armen seinen letzten Seufzer tut. Sie lächelt (diabolisch?), dann fällt der letzte Vorhang. Erinnert mehr an die Schlussszene einer Tragödie als an die normalerweise im Weißen Haus gängigen Vorgehensweisen, sagen Sie? Stimmt, antworte ich. Das sind halt die 20 Prozent Fiktion, die „House of cards“ von der Realität unterscheiden.

PS. Ach so, bevor ich es vergesse: War Francis Underwood die Blaupause für Donald Trump? Auf gar keinen Fall! Selbst in seinen schlechtesten Momenten schien der Film-Präsident klarer in seinem Urteilsvermögen und stringenter im Handeln zu sein als der womöglich nächste POTUS. Ich persönlich würde definitiv lieber von Kevin Spacey als vom Zweitgenannten regiert werden

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8 Punkte (ist streckenweise langatmig erzählt, fokussiert zu sehr auf das Ehepaar Underwood bei gleichzeitiger Vernachlässigung anderer interessanter Charaktere, und sobald Kevin Spacey die Bühne verlässt, verliert die Geschichte dramatisch an Fahrt. Ansonsten natürlich eine gute Arbeit).
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House of Cards
 6 Staffeln, 73 Episoden
 Genre: Politthriller, Drama
 Idee: Michael Dobbs, Andrew Davies, Beau Willimon
 Erscheinungsjahre: 2013 bis 2018
 Produktionsunternehmen: Media Rights Capital, Trigger Street Productions
 Produziert im Auftrag von Netflix
 Budget: rd. 5 Mio USD/Folge.

Darsteller:
 Kevin Spacey = Francis/Frank Underwood
 Robin Wright = Claire Underwood geb. Hale
 Michael Kelly = Doug Stamper
 Kate Mara = Zoe Barnes
 Corey Stoll = Peter Russo
 Boris McGiver = Tom Hammerschmidt
 Diane Lane = Annette Shepherd.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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