In Sachen Unfallflucht

Justizminister Buschmann will das Strafgesetzbuch von Ballast entlasten. Jetzt soll die Unfallflucht in bestimmten Fällen vom Vergehen zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Andreas Lischka auf Pixabay
Bisher sieht der Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wie folgt aus:

§ 142 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

(1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er

1.
zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder
2.
eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich

1.
nach Ablauf der Wartefrist (Absatz 1 Nr. 2) oder
2.
berechtigt oder entschuldigt

vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht.

(3) Der Verpflichtung, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Unfallbeteiligte, wenn er den Berechtigten (Absatz 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle mitteilt, daß er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, und wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeugs angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. Dies gilt nicht, wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt.

(4) Das Gericht mildert in den Fällen der Absätze 1 und 2 die Strafe (§ 49 Abs. 1) oder kann von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, freiwillig die Feststellungen nachträglich ermöglicht (Absatz 3).

(5) Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.

nemo tenetur

Eine seltsame Strafvorschrift, die den Grundsätzen des Strafrechts schon immer fundamental widersprochen hat. Normalerweise gilt im Strafrecht der Grundsatz des nemo tenetur. Das hat nicht mit findet Nemo zu tun, sondern bekräftigt, dass niemand sich selbst belasten muss. Das ist nicht nur so ein theoretisches Prinzip, sondern ein solches mit Verfassungsrang.

So darf niemand gezwungen werden, sich im Rahmen eines Strafverfahrens selbst zu belasten oder auch sonst irgendwie an seiner Überführung mitzuwirken. Sie kennen das ja schon als langjähriger Krimikonsument, wenn die Kommissare den Verdächtigen darüber belehren, dass er nichts sagen muss und jederzeit einen Anwalt hinzuziehen kann. Wenn jemand nichts sagen möchte, dann darf er schweigen, und zwar, ohne dass ihm das negativ angerechnet werden kann.

Wartepflicht

Kein Mensch käme auf die Idee, von einem Einbrecher, Mörder oder Vergewaltiger zu verlangen, am Ort der Tat zu verharren, bis er der Polizei seine Personalien angegeben hat.

Nur und ausschließlich bei einem Unfall im Straßenverkehr gilt aber etwas anderes. Da muss man warten, bis man schwarz wird. Zettel hinter den Scheibenwischer reicht eben nicht. Selbst wenn es nur ein kleiner Blechschaden bei einem Parkunfall ist, man muss erst mal eine angemessene Zeit warten. Tut man das nicht, gibt’s was auf die Mütze und in der Regel ist auch noch der Lappen weg. Das ist komisch, weil absolut systemwidrig. Nun kann man ja argumentieren, dass der Unfallgegner ja seinen Schaden ersetzt haben möchte und das nur geht, wenn der Unfallverursacher brav wartet. Ja, kann ich verstehen.

Indessen hat aber auch das Opfer eines Einbruchs einen mindestens finanziellen Schaden, Opfer von Körperverletzungen, Sexualdelikten oder Tötungsdelikten wären vermutlich froh, wenn sie nur einen Blechschaden hätte. Deren Täter dürfen sich aber ungestraft vom Ort des Geschehens verpissen, ohne dass ihnen dies zusätzliche Strafe einbringen würde..

holy cow

Ja, werden Sie sagen, aber hier geht es ja um den Straßenverkehr und den Schaden an der heiligen Kuh der Deutschen. Na ja, nicht ganz. Denn das gilt natürlich auch, wenn der Unfall im Straßenverkehr einen Menschen, einen Hund oder einen anderen Gegenstand beschädigt. Wenn ich Sie also mit meinem Auto anfahre und Ihnen den Arm breche, muss ich warten, wenn ich das mit einem Baseballschläger mache, darf ich mich verdrücken.

Man darf sich sogar, nachdem man zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und im Knast sitzt, straflos verdrücken. Die reine Flucht aus dem Gefängnis ist keine Straftat, solange man dabei keine anderen Straftaten begeht, etwa einen Justizbeamten verletzt oder eine Scheibe einschlägt. Warum nur soll das im Straßenverkehr anders sein.

Solange man ja nur einen Schaden verursacht hat, mag man ja ganz entspannt auf den Unfallgegner oder die Polizei warten. Kann natürlich sein, dass der Fahrer des Zuhälterschlittens tatsächlich Zuhälter ist und einem zur Begrüßung gleich paar aufs Maul haut. In der Regel wird es aber bei Geplärre bleiben. Hat man aber z.B. noch eine andere Straftat begangen, wie etwa eine Trunkenheitsfahrt, wird das Warten schon unbehaglicher. Da kann man nur hoffen, dass der andere so spät erscheint, dass die BAK wieder auf 0 gesunken ist. Alles nicht so einfach.

systemwidrig

Einfach wäre es, einen systemwidrigen Paragrafen einfach zu streichen. Dass man das weder der GdP und ihrem großen Vorsitzenden noch einem Großteil der Bevölkerung verkaufen kann, ist klar.
Buschmann hat sich also für eine kleine Lösung entschieden, die zumindest schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Künftig soll die Strafbarkeit nur noch bei Personenschäden eintreten. Bei Sachschäden soll es eine Meldepflicht geben, die auch über ein Internetportal erfolgen kann. Warten braucht man dann nicht mehr. Verstöße gegen diese Pflicht werden mit Bußgeldern geahndet. Nicht der große und konsequente Wurf, aber wie gesagt, nach ewigen Zeiten einer elenden Vorschrift immerhin ein Fortschritt.

 

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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