Rammstein und der Anfangsverdacht

Dieser Text kann nichts zur Causa Lindemann beitragen. Es geht alleine um die Frage, wann ein Anfangsverdacht vorliegt. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


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In der letzten Woche wurde ich mehrfach darum gebeten, in dieser Kolumne etwas zum Thema Rammstein zu schreiben. Das kann ich nicht. Ich habe weder jemals ein Konzert dieser Gruppe besucht, tauge auch nicht als Groupie und mir war schon Elton John in Köln viel zu laut. Ich besitze weder Platten, CDs, noch Streams von Rammstein. Kurz, die Band interessiert mich nicht die Bohne (das bezieht sich nicht auf Frau Dr. Bohne). Ich habe als bekennender Trashkonsument lediglich mitbekommen, dass der Frontsänger – an welcher Front singt der eigentlich? –, Till (nicht Erwin) Lindemann, mal was mit Sophia Thomalla hatte.

Aftershow

Nun sind Rammstein ja aktuell auch nicht wegen ihrer Musik in den Schlagzeilen, sondern wegen diverser Vorwürfe von zahlreichen Frauen, die behaupten auf Aftershowparties habe es sexuelle Übergriffe, womöglich unter Einsatz von K.o.-Tropfen gegeben. Für des Englischen nicht Mächtige: Aftershow bedeutet, nach einer Show und nicht, dass man zwingend seinen Hintern zeigt. Zu diesen Vorwürfen kann ich absolut nichts sagen. Und weil ich das nicht kann, lasse ich das auch bleiben.

Soweit aus den Medien bekannt ist, wurde allerdings bisher weder eine Anzeige der mutmaßlichen Opfer erstattet, noch ein Ermittlungsverfahren irgendeiner Staatsanwaltschaft eingeleitet. Und das verwundert mich dann doch.

§ 152 StPO – Anklagebehörde; Legalitätsgrundsatz

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.
(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

Wie Sie lesen, ist die Staatsanwaltschaft grundsätzlich verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, also dann, wenn es einen sogenannten Anfangsverdacht gibt.

Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft – außer bei Antragsdelikten – nicht darauf warten muss, dass irgendjemand irgendetwas anzeigt, sondern ermitteln muss, wenn sie von einer möglichen Straftat erfährt. Wie sie das erfährt, ist egal.

Offizialprinzip

In § 152 Absatz 1 StPO ist das Offizialprinzip geregelt, das zunächst aber nur besagt, dass die Strafverfolgung durch staatliche Organe betrieben wird und nicht etwa durch die Boulevardpresse oder den Facebookgerichtshof.

§ 152 Absatz 2 StPO enthält eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zum Einschreiten. Damit unterliegt die Staatsanwaltschaft dem Legalitätsprinzip. Sie kann also nicht nach eigenem Gusto entscheiden, ob sie ermittelt, sondern sie muss ermitteln, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen.

Dass sie das nicht immer und auch nicht immer in ausreichendem Maße, in anderen Fällen aber durchaus im Übermaße macht, ändert nichts an der grundsätzlichen Regelung.

Das Einschreiten darf aber nicht willkürlich geschehen, sondern setzt die Kenntnis verdachtsbegründender Umstände voraus, dass eine Straftat begangen worden ist.

Anfangsverdacht

Dieser Anfangsverdacht muss gar nicht mal besonders dicht sein, es genügt die bloße Möglichkeit, dass nach kriminalistischer Erfahrung eine verfolgbare Straftat gegeben ist.

Wenn nun eine ganze Reihe Frauen von Übergriffen berichten, dann dürfte diese bloße Möglichkeit durchaus gegeben sein. Zumal irgendeine Straftat wohl ganz offensichtlich begangen wurde. Das kann auf der einen Seite eine Straftat aus dem Umfeld der Band sein, wobei sexuelle Nötigung, Körperverletzung, Vergewaltigung etc. in Betracht kämen, auf der anderen Seite aber – wenn das alles nicht stimmt – vonseiten der betroffenen Frauen auch Verleumdung, üble Nachrede oder das Vortäuschen einer Straftat möglich wären. Man weiß also nicht welche Straftat vorliegt, aber dass es wohl eine gibt, ist eher wahrscheinlich.

Legalitätsprinzip

Das Legalitätsprinzip verpflichtet zunächst einmal nur zur Sachverhaltserforschung aufgrund des Verdachts einer Straftat und knüpft damit gar nicht notwendigerweise an eine tatsächlich begangene Straftat an. Bei schwerwiegenden Delikten reicht bereits die bloße Möglichkeit ihrer Begehung, um einen Anfangsverdacht zu begründen und damit ein Ermittlungsverfahren auszulösen. Dass hier schwerwiegende Delikte im Raum stehen , ist offenkundig.

Warum das manchmal bei den Staatsanwaltschaften nicht so funktioniert, wie der Gesetzgeber sich das vorgestellt hat, weiß ich auch nicht. Während z.B. die GStA München bei der Letzten Generation ganz fix war mit dem Verdacht der Gründung einer kriminellen Vereinigung, verschonte man die Missbrauchstäter im Bereich der Kirchen jahrelang von Ermittlungen und Ermittlungsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Beschlagnahme der kircheneigenen Archive, ja man überließ der Organisation, in der die Täter jahrzehntelang agieren konnten, tatsächlich selbst die Ermittlungen.

Aufklärung

Wie dem auch sei, die Ermittlungen bezwecken immer erst nur die Klärung der Frage, ob überhaupt eine strafrechtlich unerlaubte Handlung begangen wurde. Deren positive Kenntnis ist deshalb nicht Voraussetzung für ein Ermittlungsverfahren.

Die umfangreichen Presseberichte über die angeblichen Vorfälle im Mikrokosmos Rammstein sollten auch den ein oder anderen Staatsanwalt erreicht haben. Man konnte sich dem ja kaum entziehen. Und auch private Kenntnisse eines Staatsanwalts oder einer Staatsanwältin reichen, um einen Anfangsverdacht auszulösen. Aus meiner persönlichen Sicht liegen daher genügend Anhaltspunkte vor, um ein Ermittlungsverfahren nicht nur einleiten zu können, sondern sogar zu müssen.

Das ist zwar zunächst für die möglichen Beschuldigten beider Seiten unangenehm, es bietet ihnen aber immerhin die Möglichkeit, die Vorwürfe aufzuklären.

Rammstein geht mittlerweile rechtlich gegen die Vorwürfe vor und bezeichnet diese als ausnahmslos unzutreffend. Kann sein, kann nicht sein, ich weiß es nicht. Aber ich fände es im Interesse derjenigen, die die Wahrheit sagen, richtig, wenn nun eine zuständige Staatsanwaltschaft ein Verfahren eröffnen würde. Und solange sollten alle, die nicht unmittelbar beteiligt sind, ihren heiligen Spekulatius einfach mal für sich behalten, auch wenn die Unschuldsvermutung nur für die Justizbehörden und nicht für private Meinungsäußerungen gilt. Solange es keine Beweise in die eine oder andere Richtung gibt, gibt es auch keinen Grund zu spekulieren.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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