Freispruch trotz eines versuchten Totschlags

Für einige Fragen sorgt ein „cold case“ aus Köln, der am Mittwoch mit einem Freispruch endete, obwohl der Angeklagte einen versuchten Totschlag gestanden hatte. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Myriams-Fotos auf Pixabay

In der Nacht zum 25. Mai 1987 lernten sich der Angeklagte und sein späteres Opfer bei einem Kneipenbummel in Köln-Ehrenfeld kennen. Der Angeklagte war damals 20 Jahre alt, das Opfer 50 Jahre. Nach der Kneipentour ging man zusammen in die Wohnung des Opfers, um dort weiter zu trinken. Allerdings entwickelte sich das etwas anders als der Angeklagte sich es so vorgestellt hatte, denn der 50-jährige wurde übergriffig, indem er ihm zunächst an den Hintern packte und dann von ihm noch verlangte, sein Oberteil auszuziehen. Das fand der Angeklagte dann weniger witzig und wollte die Wohnung verlassen. Bei dem Versuch, dies zu tun, wurde er von dem Opfer gegen einen Schrank gestoßen. Dadurch geriet er nach eigenen unwiderlegten Angaben in Panik, griff nach einem schweren Pokal, der in der Wohnung herumstand, und schlug damit auf das Opfer ein. Der Mann überlebte zwar den Angriff, litt aber bis zu seinem Tod im Jahr 2013 unter den Folgen.

Anklage versuchter Raubmord

Die Staatsanwaltschaft hatte nun einen versuchten Raubmord zur Anklage gebracht, da sie glaubte beweisen zu können, dass der Angeklagte die Tat begangen hatte, um sich in den Besitz von Bargeld des Opfers zu bringen. Etwas anderes als einen Mordversuch hätte sie auch gar nicht mehr anklagen können, da jede andere Straftat bereits verjährt war.

Allerdings konnte die Hauptverhandlung den Vorwurf des Raubmordes schon deshalb nicht bestätigen, da nicht einmal geklärt werden konnte, ob und falls ja, wieviel Bargeld das Opfer überhaupt in seiner Wohnung hatte. Und ohne Mordmerkmal – hier Habgier – nun mal kein Mord.

Versuchter Totschlag

Und so blieb es bei dem von dem Angeklagten erstaunlicherweise eingestandenen versuchten Totschlag. Und der führte zwingend zu einem Freispruch und nahezu ebenso zwingend zu der üblichen Empörung in Teilen des Publikums.

Ja, es ist in der Tat, sagen wir einmal, komisch, dass jemand, der einen Menschen tatsächlich mausetot schlägt, nach Ablauf der Verjährungsfrist ganz ohne Strafe davonkommt wie jemand, der das nur versucht hat; hingegen jemand der zwar einen Mord „lediglich“ versucht bis ans Ende aller Tage bestraft werden kann, obwohl sein Opfer eben nicht tot ist.

Die Verjährungsregeln sind in der Tat schwer nachvollziehbar. Denn nicht nur der vollendete Mord verjährt nie, sondern auch der versuchte. Außerdem verjährt jegliche Beteiligung an einem Mord, also Beihilfe oder Anstiftung ebenfalls nicht.

Vielleicht sollte man weniger die Verjährungsregeln, als die eher willkürliche Differenzierung zwischen Mord und Totschlag noch einmal überdenken. Tot ist schließlich tot. Und ob das Töten eines Menschen, einfach so, tatsächlich weniger bestrafenswert ist, als das Töten aus einem bestimmten Grund heraus, ist schwer zu beantworten.

For ever and ever

Strafverfolgung geht in aller Regel nicht ewig. Irgendwann soll auch mal Schluss sein. Und bei den meisten Straftaten ist es das auch. Je nach Schwere der Tatbestände eher früher oder halt später:

§ 78 Verjährungsfrist

(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.
(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.
(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist

1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,
3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,
4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,
5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.

(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.

Nach Ablauf bestimmter Fristen ist also eine Strafverfolgung – außer bei Mord – gesetzlich absolut ausgeschlossen. Das kann man bedauern, weil damit ein möglicherweise begangenes Unrecht nicht mehr gesühnt werden kann.

Muss man aber nicht. Denn die Verjährung ist dennoch eine sinnvolle und kaum verzichtbare Einrichtung. Die Verjährung ist der Verzicht des Staates auf Ahndung und Anordnung von Maßnahmen wegen Straftaten, die so lange zurückliegen, dass kein Strafbedürfnis mehr besteht, oder ein faires Strafverfahren wegen des Verlusts oder der schleichenden Entwertung von Beweismitteln unmöglich erscheint.

Normalerweise beginnt die Verjährung mit dem Abschluss der Tat. Ausnahmen gelten lediglich für einige Sexualstraftaten. Das hatte ich aber bereits einmal am Fall Wedel abgearbeitet.

Besonders seltsam finde ich diese Verjährungsregelung z.B. im Hinblick auf untergeordnete Chargen im Zusammenhang mit der industriellen Vernichtung von Menschen, insbesondere Juden, zur Zeit der Naziherrschaft. Während die bundesdeutsche Justiz, in den Anfangsjahren noch selbst recht braungewirkt und von Nazis durchsetzt, die Hauptmörder allenfalls halbherzig verfolgte, im wesentlichen aber ungeschoren ließ, kam es in den letzten Jahren häufiger zu Anklagen wegen Beihilfe zu einer Vielzahl von Morden gegen uralte Menschen, die als damals Heranwachsende in den Vernichtungslagern, z.B. in der Küche oder im Büro tätig waren. Hätten die damals ein paar Leute selbst, einfach so, ohne Mordmotiv erschlagen, könnte sie heute niemand mehr verfolgen. So aber haben sie zwar selbst niemanden getötet, weil sie aber den Mördern eine Suppe gekocht haben, können sie bis ans Lebensende angeklagt werden. Konsequent erscheint mir das nicht. Ich fand das schon im Fall Gröning eher seltsam und im Vergleich zu den wirklich mächtigen Tätern ziemlich ungerecht. Aber gut, diese Kategorie von Tätern ist bald ausgestorben und neue dieser Art sollte es nie mehr geben.

Verjährungszwecke

Die Verjährung im Strafrecht dient mehreren wichtigen Zwecken und hat verschiedene durchaus sinnvolle Funktionen.

Schutz vor unbegrenzter Verfolgung

Die Verjährung stellt sicher, dass der Staat nicht unbegrenzt Zeit hat, um eine Straftat zu verfolgen. Es gibt eine zeitliche Begrenzung, innerhalb derer der Staat Anklage erheben muss. Dies schützt vor einer übermäßigen und potenziell missbräuchlichen Verfolgung von Personen, insbesondere bei weniger schwerwiegenden Straftaten. Die Verjährung hilft dabei natürlich auch, eine ohnehin überlastete Justiz zu entlasten und die vorhandenen Ressourcen effizienter einzusetzen.

Förderung von Ermittlungen und Beweissicherung

Die drohende Verjährung zwingt die Strafverfolgungsbehörden, ihre Ermittlungen zeitnah durchzuführen und Beweise zu sammeln. Je länger ein Fall zurückliegt, desto schwieriger ist es, Beweise zu beschaffen und Zeugen zu finden. Und was die Aussage eines Zeugen über einen Vorfall, der mehr als 30 Jahre zurückliegt, wohl wert ist, können Sie mal testen, indem Sie selbst versuchen, sich an ein Ereignis aus 1993 zu erinnern. Für Details dürfte da kaum Platz im Hirn sein.

Die Verjährung zwingt die Strafverfolgungsbehörden dazu, ihre Arbeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu erledigen und trägt so auch zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens bei.

Rechtsfrieden und Resozialisierung

Die Verjährung trägt zum Rechtsfrieden bei, indem sie eine endgültige zeitliche Grenze für die Strafverfolgung setzt. Wenn eine angemessene Frist verstrichen ist, können sich die betroffenen Personen darauf verlassen, dass sie nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Dies ermöglicht ihnen dann, ihr Leben ohne ständige Angst vor einer Anklage fortzuführen. Sicher kann man den Tätern auch ein ewiges Leben in Angst vor Entdeckung  gönnen, aber so richtig vernünftig wäre das wohl auch nicht. Denn die Verjährung fördert ja irgenwie  auch die Resozialisierung von Straftätern, da sie ihnen die Möglichkeit bietet, nach Ablauf einer bestimmten Frist problemlos ein straffreies Leben zu führen und ihre vergangenen Fehler endgültig  hinter sich zu lassen.

Im Kölner Fall ist nicht bekannt, dass der Angeklagte nach der Tat von 1987 noch einmal straffällig geworden wäre. Zur Resozialisierung wäre eine Bestrafung da also schon gar nicht mehr erforderlich gewesen. Und wer weiß, ob eine zeitnahe Verurteilung nach Jugendstrafrecht, die dem Angeklagten damals wohl um die fünf Jahre Jugendstrafe eingebracht hätte, nicht zu einem ganz anderen, womöglich schlechteren,  Lebensweg geführt hätte. Dass jemand den Knast als „besserer“Mensch verlässt, ist nach meiner Erfahrung eher der Ausnahmefall.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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