Der TOA
Seit knapp 30 Jahren gibt es den TOA. Aber kaum jemand kennt ihn. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
Haben Sie schon einmal vom TOA gehört? Richtig, TOA, nicht TAO. Aber so ganz unähnlich sind sich die chinesische Philosophie des TAO und der TOA gar nicht mal. Bei TAO, wörtlich „der Pfad“ oder „der Weg“, geht es um ein universelles Prinzip. Laotse, der Begründer des Taoismus, betrachtete Gewalt und Konflikt als nicht sinnvoll, da Konflikte immer negative Auswirkungen haben. Im Taoismus geht es darum, Probleme durch friedliche Mittel zu lösen. Laotse wollte, dass die Dinge harmonisch ineinander übergehen, und dass man nicht kämpfen und nicht streiten, sondern mit dem Fluss gehen soll („Go with the flow“).
Ja nun. Keine Sorge, ich will Sie jetzt nicht mit chinesischer Philosophie quälen. Genau genommen will ich Sie überhaupt nicht quälen, sondern einmal wieder etwas Licht ins allgemeine Dunkel des Strafverfahrens bringen.
Hinter der Abkürzung TOA verbirgt sich der sogenannte Täter-Opfer-Ausgleich, der in § 155a StPO angesprochen wird. Wie man an dem kleinen a erkennt, handelt es sich um eine Vorschrift, die nicht von Anfang an in der Strafprozessordnung enthalten war, sondern erst später, 1999, eingefügt wurde. Im materiellen Strafrecht gab es diese Möglichkeit bereits seit 1994 durch § 46a StGB, was sich aber in der Praxis kaum bemerkbar machte.
§ 155a Täter-Opfer-Ausgleich
Die Staatsanwaltschaft und das Gericht sollen in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeiten prüfen, einen Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem zu erreichen. In geeigneten Fällen sollen sie darauf hinwirken. Gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten darf die Eignung nicht angenommen werden.
Wenn man diesen Gesetzestext liest, ist man natürlich auch nicht viel schlauer als vorher. Wie soll dieser „Ausgleich“ aussehen, wie soll er herbeigeführt werden? Und, wie man im Rheinland sagt, watt soll der Driss?
Nach der Auffassung des Gesetzgebers sollte damit der Justiz eine Reaktionsform auf Kriminalität zur Verfügung gestellt werden, die einerseits das Opfer einer Straftat und dessen Belange stärker in den Mittelpunkt des Interesses rückt, andererseits den Täter zur Übernahme von Verantwortung für die Folgen seiner Straftat veranlasst.
Täter-konzentriert
Das normale Strafverfahren ist auf den Täter, bzw. auf den Tatverdächtigen, konzentriert. In einem förmlichen Verfahren soll diesem eine Schuld nachgewiesen werden. Ist das geschehen, wird über ihn eine Strafe verhängt. Im Namen des Volkes. Das Opfer einer Straftat ist da in erster Linie nur Zeuge. Es kann sich zwar bei bestimmten Taten als Nebenkläger am Verfahren beteiligen, das ändert aber nichts daran, dass es eben nicht im Fokus des Verfahrens steht. Was es sich vom Täter wünscht, spielt keine große Rolle.
Klopperei auf der Baustelle
Nehmen wir ein einfaches Beispiel aus der Praxis:
Zwei Handwerke aus verschiedenen Betrieben waren auf einer Baustelle tätig. Einer der beiden benutzte die Leiter des anderen, der daraufhin erbost war. Es kam zunächst zu einem verbalen Streit. Im Rahmen dieses Gebrülls schlug einer der Handwerker dem anderen mit der Hand ins Gesicht. Nun hat die Hand eines Handwerkers eine andere Power als die eines durchschnittlichen Rechtsanwalts, und der Schlag führte daher zu einer ganz erheblichen Verletzung des Kontrahenten. Der Geschädigte musste operiert werden und hatte auch zum Zeitpunkt des Strafverfahrens noch erhebliche Beschwerden.
Bei einem „normalen“ Strafverfahren wäre nun der Schläger wegen Körperverletzung vor Gericht gestellt und vermutlich zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die wäre in der Summe recht niedrig gewesen, da der Mann eine Frau und mehrere Kinder zu unterhalten und bereits andere Schulden hatte. U.u. hätte er die Strafe auch gar nicht bezahlen können und hätte eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen. Das Opfer hätte zwar vielleicht die Strafe als Genugtuung empfunden, sein Schmerzensgeldanspruch wäre allerdings kaum zu realisieren gewesen.
Die in diesem Fall von der Amtsanwaltschaft eingeschaltete Täter-Opfer-Ausgleich-Vermittlungsstelle aus Frankfurt fand einen für alle Beteiligten besseren Weg, d.h. nicht sie fand den Weg, sondern die Beteiligten fanden ihn. Das ist nämlich der Trick bei der Sache. Der TOA-Ausgleich ist eine Mediation, bei der die Beteiligten selbst den besten Weg für einen Interessenausgleich suchen.
Das Opfer wollte zum einen erreichen, dass der Täter künftig kontrollierter reagiert und zum anderen eine angemessene finanzielle Entschädigung. Der Täter wollte natürlich in erster Linie nicht bestraft werden, hatte aber auch nicht wirklich die Kohle, um dem Opfer ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Was also tun?
Was tun?
Der Täter und seine Ehefrau überlegten gemeinsam, welche monatliche Belastung verkraftet werden könnte. Es kam dann zu einer Vereinbarung einer Gesamtsumme zur Wiedergutmachung des Schadens, die in monatlichen Raten abgezahlt werden konnte. Die Raten wurden vom Täter regelmäßig an die Vermittlungsstelle überwiesen und von dort aus sofort nach Eingang an den Geschädigten weitergeleitet. Und dann kam der Clou. Nach einem halben Jahr regelmäßiger Zahlungen wurde der gesamte Restbetrag in Form eines Darlehens aus Mitteln des Opferfonds der Vermittlungsstelle an den Geschädigten weitergeleitet. Der Beschuldigte musste bis zur endgültigen Tilgung Ratenzahlungen in den Opferfonds erbringen.
Die Vorteile dieser Regelung liegen auf der Hand. Der Geschädigte bekam recht schnell das Schmerzensgeld, das er ansonsten kaum erhalten hätte; der Täter wurde durch die regelmäßigen Zahlungen an die Vermittlungsstelle Monat für Monat daran erinnert, dass er Scheiße gebaut hatte. Eine Strafe hätte beiden nicht wirklch etwas gebracht.
Nach erfolgtem Täter-Opfer-Ausgleich stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.
Laotse hätte seine Freude gehabt.
Zu selten
Allerdings wird diese sinnvolle Möglichkeit doch eher selten genutzt. Zwar müssen laut Gesetz Staatsanwaltschaft und Gericht „in jedem Stadium“ prüfen, ob der TOA eine Möglichkeit wäre. Dass das tatsächlich passiert, kann ich leider nicht bestätigen.
Das mag aber auch daran liegen, dass der Gesetzgeber hier mal wieder etwas arg unpräzise war. Das Gesetz lässt nämlich völlig offen, wann denn ein Fall als geeignet anzusehen wäre. Geregelt ist lediglich, dass ein Fall ungeeignet ist, wenn der Verletzte einen entgegenstehenden Willen hat deutlich werden lassen. Außerdem geht ein TOA natürlich nur, wenn der Fall bis zur Anklagereife ausermittelt ist, denn das Ansinnen an den Beschuldigten, freiwillige Leistungen zur Tilgung einer möglicherweise bestehenden Schuld oder zur Erreichung sonstiger Strafzweckezu erbringen, ist nur bei hinreichendem Tatverdacht gerechtfertigt. Angesichts des Umstandes, dass der TOA für Täter und Opfer, aber auch durch seine die Befriedungsfunktion für die Gesellschaft, große Vorteile bietet, sollte der Justizminister einmal darüber nachdenken, wie man diesem Instrument zu mehr Popularität innerhalb der Justiz verhelfen kann.
Noch mal zusammengefasst, die Vorteile für das Opfer:
Das Opfer kann, im Gegensatz zu seiner Zeugenrolle im Strafverfahren, beim TOA eine aktive Position einnehmen. Es fühlt sich damit persönlich einbezogen und seine Interessen berücksichtigt. Das Opfer kann mitbestimmen, was besprochen und behandelt wird. Nach erfolgreichem TOA wird das Gefühl des Opfers, belästigt, gestalkt oder bedroht zu werden, verringert, falls es nicht komplett verschwindet. Das Opfer wird durch eine neutrale, unabhängige Schiedsstelle beraten. Im Idealfall erlebt das Opfer vom Täter echte Reue. Es erhält eine Entschädigung für die erlittenen körperlichen oder materiellen Schäden und zwar schneller als in jedem Zivilrechtsstreit oder in einem Adhäsionsverfahren. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass das Opfer das Erlebte besser verarbeiten kann.
Die Vorteile für den Täter:
Auch der Täter kann eine aktive Rolle einnehmen und wird dadurch einbezogen. Zeigt der Täter tatsächlich tätige Reue, was beim Opfer gut ankommt und die Folgen der Tat abmildert, tut dies auch dem Täter gut. Im Idealall kann durch den TOA sogar ganz von einer weiteren strafrechtlichen Verfolgung der Tat abgesehen werden.. Bei schweren Straftaten kann die Strafe immerhin noch nach $ 46a StGB gemildert werden.
§ 46a Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung
Hat der Täter
1.
in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder
2.
in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt,so kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundertsechzig Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen.
Law and order
Nun kann man sich natürlich als eingefleischter Hardliner auch auf den Standpunkt stellen, dass das alles nur sozialpsychologischer Quitschquatsch ist und jeder Straftäter ohne Wenn und Aber zu bestrafen ist. Allerdings deuten einige Studien darauf hin – eine Studie aus den Niederlanden belegt den Zusammenhang sogar –, dass sich ein durchgeführter TOA auch positiv auf das Rückfallverhalten auswirkt. Und das sollte letztlich das wichtigste Kriterium sein, denn auch das „normale“ Strafverfahren soll ja der Resozialisierung und damit der Verhinderung weiterer Straftaten dienen.