Kein Bild – Tonaufzeichnung vor Gericht

Seit Jahren fordere ich, wie viele Kollegen, Videoaufzeichnungen von Hauptverhandlungen im Strafprozess. Nun wird der Gesetzentwurf von Justizminister Buschmann gleich mal wieder abgeschwächt. Warum eigentlich? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Im November legte Bundesjustizminister Buschmann einen Entwurf vor, der ab 2030 verpflichtende Videoaufzeichnungen von strafrechtlichen Hauptverhandlungen bei Land- und Oberlandesgerichten vorsah. Fand ich ebenso wie der Deutsche Anwaltverein gut, wird aber wohl wieder mal nichts.

Mit dem Scrabbelpreis verdächtigen „Hauptverhandlungs-Dokumentationsgesetz“ sollte in Deutschland etwas eingeführt werden, was in vielen europäischen Ländern seit Jahren Usus ist. Zwar nicht sofort, sondern erst 2030, also wenn ich persönlich nichts mehr davon haben werde, aber immerhin.

Geplant war, die Hauptverhandlung komplett auf Video aufzuzeichnen, den Ton zusätzlich mithilfe einer Transkriptionssoftware zu verschriftlichen und beides den Verfahrensbeteiligten umgehend, also im Idealfall noch am selben Tag, zur Verfügung zu stellen. Technisch dürfte das kein Problem sein. Ich mache mir häufig Transkripte von Gesprächen mit einer simplen und auch noch kostenlosen App. Und Videos können heute jeder 100-Jährige und seine Urenkel erstellen.So etwas hatte ich bereits 2014 gefordert.

Och nö

Das gefiel nun den Richtern aber irgendwie gar nicht. Kann man ja verstehen. Bisher steht in den Protokollen der Hauptverhandlungen vor Land- und Oberlandesgerichten lediglich, dass ein Zeuge aussagte, allerdings nicht, was er aussagte. Da macht sich das Gericht Notizen als Gedankenstütze, aber was es sich notiert, ob es das Richtige notiert, wird niemand je erfahren, weil diese Notizen halt gar nicht erst zur Akte gelangen. Zu beweisen, ob ein Richter versehentlich oder auch absichtlich eine Zeugenaussage falsch versteht oder falsch bewertet, ist nahezu ausgeschlossen.

Sie müssen sich einmal vorstellen wie das in Verfahren über viele Verhandlungstage mit unzähligen Zeugen funktionieren kann. Mal ganz davon abgesehen, dass das Erinnerungsvermögen von Menschen ganz unterschiedlich ausgeprägt ist, kann mir niemand erzählen, dass jemand sich nach dem 50. Zeugen noch wirklich daran erinnert, wer der zweite Zeuge war, und was genau er gesagt hat. Da müsste man schon mitstenografieren und sich ein Bildchen von dem Zeugen malen. Eine Videoaufzeichnung müsste doch auch für die Richter eine super Sache sein, wenn sie nochmal nachsehen wollen. Aber offenbar wollen die das gar nicht.

Ach was

Die OLG-PräsidentInnen meinen, es fehle schon an empirischen Erkenntnissen, ob die audiovisuelle Dokumentation eine bessere Wahrheitsfindung gewährleiste oder gar Fehlurteile verhindern könne. Ja nee, is klar. Wie sollte es auch empirische Erkenntnisse geben, wenn es bisher gar keine audiovisuellen Protokolle gibt? Und na klar, vermutlich hindert eine präzise Aufzeichnung der Zeugenaussagen die Kreativität der Richter bei der Rechtsfindung, oder so. Ich weiß es nicht.

Ein weiteres Argument der Richter:

Opferzeugen werden bei der ohnehin schon als zermürbend empfundenen Vernehmungssituation durch eine Aufzeichnung in dem Wissen um eine jederzeitige Verbreitungsmöglichkeit zusätzlich belastet.

Aha. Wer bitte sollte denn die Aufzeichnungen weiterverbreiten? Die Richter, die Staatsanwälte oder vielleicht verdächtigt man da mal heimlich wieder die böse Verteidigung irgendwelcher Ränkeschmiede. Und gerade in Fällen von sexuellem Missbrauch an Kindern, werden ja heute bereits bei der Polizei Videovernehmungen durchgeführt, gerade damit man die genaue Aussage bei der Urteilsfindung zugrunde legen kann. Wo soll das Problem sein?

Auch ein lustiges Argument der Richter ist, dass im Falle, dass ein Transkript der Aufnahme während der laufenden Hauptverhandlung bei einem noch nicht vernommenen Zeugen landen würde, dies dessen Aussageverhalten beeinflussen könnte. Ja, aber wie soll es dazu kommen? Wird da auch mal wieder die Verteidigung verdächtigt? Und außerdem kann auch jemand aus dem Publikum einer öffentlichen Hauptverhandlung den Zeugen munter über dessen Aussage informieren. Das ist ja nicht mal verboten. Ist ja eine öffentliche Sitzung und was die Zeugen sagen, kann auch in der Zeitung stehen.

Außer Kontrolle

Aber gut. Ich kann ja verstehen, dass manche Richter es unter allen Umständen vermeiden wollen, dass sich die Kollegen in der Rechtsmittelinstanz ansehen können, wie sie mit hochrotem Kopf einen Angeklagten anbrüllen oder anders unter Druck setzen oder auch einfach nur schlecht vorbereitet sind. Wer lässt sich schon gerne bei der Arbeit auf die Finger sehen? Ich kann das ja alles verstehen. Aber nein, aber nein, darum geht es den Richtern ja gar nicht. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass sich die Gerichte in hochstreitigen Verfahren mit einer „Beweisaufnahme über die Beweisaufnahme“ befassen müssten. Das schwäche das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine funktionierende Strafjustiz. Na so was. Also mein Vertrauen wäre eher geschwächt, wenn es keine Möglichkeit gäbe, das Gericht wirklich zu überprüfen. Wie sollte die Überprüfung denn mein Vertrauen schwächen? Vertrauen ist gut, Kontrolle wäre besser.

Es gibt da noch ein paar weitere Scheinargumente gegen die audiovisuelle Protokollierung.

Rolle rückwärts

Und was passiert nun?

Auf dem Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar, auf dem auch Buschmann sprach, reichte es, dass Buschmann „Video“ sagte, um das versammelte Publikum zu lauten Missfallenskundgebungen zu animieren. Ach guck an. Buhen können also auch Richter und Staatsanwälte, die immer soviel Wert auf die Würde des Gerichts legen.

Und dann kommt das Unglaubliche: Buschmann macht die halbe Rolle rückwärts. Schade.  Der Entwurf wird dank dieser Proteste abgeschwächt. Jetzt soll es also keine schönen Bilder von hochroten Köpfen mehr geben, sondern nur noch die transkribierten Tonaufzeichnungen. Immerhin ist das besser als der aktuelle Zustand, bei dem nur geheime Notizen die Basis einer Entscheidung bilden. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt in die richtige Richtung, zumal die Videodokumentation als Option offen bleibt.

Wie gesagt, das Ganze wird – falls überhaupt – erst zum 1.1.2030 verpflichtend werden. Aber Sie wissen ja, Prozess kommt von Procedere, also fortschreiten – und schreiten bedeutet halt nicht rennen, sondern eher gemächlich zu gehen. Was in der Justizgesetzgebung schnell geht, sind immer nur auf tagesaktuelle Wutthemen reagierende, sinnfreie Strafverschärfungen oder Einschränkungen der Verteidigerrechte. Alles andere dauert halt.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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