Nüchtern in Katar
Am Freitag änderte Katar zwei Tage vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft mal eben die vereinbarten Saufregeln. Nun gibt es in den Stadien keinen Alkohol. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
Die Karawane zieht weiter, der Sultan hätt Doosch
So hatten sich das die mitgereisten Fußballfans wohl vorgestellt: Drei Stunden vor dem Spiel sollte es alkoholhaltiges Bier bzw. Budweiser um die WM-Stadien herum geben. Drei Stunden, um sich bei preisbewussten 26 Euro pro Liter gepflegt die richtige Stimmung anzusaufen, um dann formvollendet „Schlaaand“ zu grölen und damit die Deutsche Nationalmannschaft anzufeuern. Weitere drei Stunden nach dem Spiel sollte es nochmal für drei Stunden Gerstensaft geben, um entweder ein grandioses 1:0 gegen Takatukaland oder aber eine bittere Niederlage gegen wen auch immer zu begießen. So war es geplant.
Und dann kommen diese lustigen Veranstalter aus dem Morgenland des Fußballs, die aufstrebende Fußballnation Katar, die Milliarden investiert hat, um den internationalen Fußball auf ein neues Level zu heben und dreht den angereisten Fans den Bierhahn zu und dem Sponsor Budweiser eine lange Nase. Das hat was. In Bayern würde man sagen „Mia san mia“!
Dummer ne, dummer ne, dummer ne Klore!
Dummer ne, dummer ne, dummer ne Klore!
Hammer nit, hammer nit, hammer nit!
Hammer nit, hammer nit, hammer nit!
Oh jeh! Su ne Driss, su ne Driss, su ne Driss!
Oh jeh! Su ne Driss, su ne Driss, su ne Driss!
Ganz ehrlich? Ich habe mich köstlich amüsiert. Mein Interesse an dieser WM war vor dieser Meldung irgendwie nicht so recht entwickelt. Früher war das anders. Ich habe die Kombination von Fußball und Bier vor der Pike auf gelernt.
1966 Schwarz-Weiß
Meine erste bewusst erlebte Fußball-WM 1966 war schwarz-weiß und das nicht so sehr wegen der Trikots, sondern weil es die WM nur im Schwarzweiß-Fernseher gab. Der war auch eher klein und mit den heutigen Smart-TV-Riesen nicht vergleichbar. Aus zehn Meter Entfernung vor einem Fernsehgeschäft im Schaufenster den Ball in der Totalen zu sehen, war schon eine Leistung. Aber die Kommentatoren erzählten einem ja dauernd, wer am Ball. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich gemerkt habe, dass Ballimaus kein Spieler war. Ich war gerade 8 Jahre alt und durfte die Spiele der deutschen Nationalmannschaft alle sehen, obwohl meine Eltern mit Fußball nicht allzu viel am Hut hatten. Aber auch die guckten sich das an. Meine Mutter schwärmte, warum auch immer, wie viele Mütter für Helmut Haller. Mein Vater schwärmte für niemanden so wirklich, musste das aber wohl gucken, weil man sonst am nächsten Tag nicht mitreden konnte und ich, tja ich war halt ein Anhänger von Wolfgang Overath vom 1.FC Köln. Die Mannschaft des Finales bekäme ich auch heute noch zusammen: Hans Tilkowski – Horst-Dieter Höttges, Willi Schulz, Wolfgang Weber, Karl-Heinz Schnellinger – Franz Beckenbauer, Helmut Haller, Wolfgang Overath – Uwe Seeler, Siggi Held, Lothar Emmerich. Das Turnier habe ich ohne einen Tropfen Alkohol gesehen, ich schwör. Nicht mal Mamas Eierlikörglas habe ich ausgeleckt. Und was war ich enttäuscht, dass „Wir“ das Finale verloren.
Bitterlich geweint habe ich.
Bei der WM 1970 in Mexiko waren die Spielzeiten für einen 12-Jährigen nicht optimal. Aber auch die brachte ich ohne Suff hinter mich.
Kleines dickes Müller
1974 sah das schon anders aus. Ich war 16 und bei dieser WM floss das Bier in Strömen. Geschaut wurde auf einem auch noch eher kleinen „Buntfernseher“ – so sagte man damals, in meiner Stammkneipe. Ja, so was hatte man damals mit 16 schon. Bei jedem Spiel der deutschen Mannschaft floss das Bier in Strömen und zum großen Teil aus einem etwas unhygienischen Zwei-Liter-Trinkgefäß namens Stiefel, den man tunlichst auf Ex zu leeren hatte, um nicht als Weichei zu gelten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie beim Finale ein Freund von mir den letzten Tropfen aus dem Stiefel in seinen nach hinten gebeugten Kopf rinnen ließ, um dann ohne einen Ton von sich zu geben nach hinten umzukippen und den Rest des Spiels ungestört zu schlafen, während wir anderen ziemlich hackedicht auf der Straße vor der Kneipe ein Poster von Johann Cruyff verbrannten und Gerd (kleines dickes) Müller feierten.
Blau
So blau wie bei dieser WM war es bei mir danach eigentlich nie mehr; aber die Verbindung von Fussball und Alkohol war seit dieser Zeit zur Freude der Brauereien, der Kneipen und der Ärzte für Lebererkrankungen und Matschbirnen irgendwie festgezurrt.
Meine eigene Fußballkarriere fand in der untersten Kreisklasse in einem Dorfverein statt. Und da gab es nach jedem Training eine Kiste Bier und nach dem Spiel am Sonntag ein vom örtlichen Sponsor bezahltes Mittagessen: stets Schnitzel mit Pommes und Freibier. Die sogenannten Sportwochen bestanden daraus, dass eine Bierbude in der Nähe eines Fußballplatzes stand und die Zuschauer sich langsam vollaufen ließen, während sie mehr oder weniger interessiert den Spielen zusahen. In der Halbzeit tranken auch die Spieler gerne ein paar Bitburger. Was man halt so macht. Nach der Halbzeit gab es interessante Dribblings und als Verteidiger musste man sich schon anstrengen, um zu erkennen, welcher von den beiden Bällen, die man sah, der richtige war. Fußball und Saufen waren untrennbar miteinander verbunden.
Der heilige Bund
Und nun kommt Katar an, ein Land, in dem die Wiege des Fußballs innerhalb weniger Minuten vertrocknet wäre und zerstört diesen heiligen Bund? Wer hätte das von einem Land erwartet, das wie kaum eines prädestiniert ist, eine Führungsrolle in der Welt der Machos einzunehmen. Ein Land, in dem Männer noch was zu sagen haben – jedenfalls solange es nicht nach einem Comingout klingt.
Was, die saufen da nicht? Konnte ja keiner wissen bei der Vergabe. Wie mögen die die Leistungen ihrer Mannschaft, die sich bisher noch nie für eine WM-Endrunde qualifizieren konnte, ohne Alkohol ertragen? Vielleicht kiffen die ja. Ich weiß es nicht.
Der gemeine mitreisende deutsche Fußballfan hat in der Regel jedenfalls die Kombination auf Fussball und Saufen derart verinnerlicht, dass es ihm schwerfallen dürfte, die zwei Halbzeiten zu je mindestens 45 Minuten ohne Bierbecher in der Hand zu überstehen. Was macht man nur mit der freigewordenen Hand? Wasser trinken? Man ist doch schließlich kein Kamel. Und auf einmal sieht man sogar das Elend auf dem Platz, das doch mit Minimum 2 Promille viel geschmeidiger daherkam.
Ich habe keine Ahnung, wie viele Fußballfans aus trinkfreudigen Regionen in Katar auflaufen werden. Die sollen wohl auch nicht ganz trocken gelegt werden. Wie man läuten hört, soll es nur an ausgewählten Orten was Alkoholisches zu trinken geben.
Nach Gesprächen zwischen den Behörden des Gastgeberlandes und der Fifa wurde entschieden, den Verkauf von alkoholischen Getränken auf das Fifa Fan Festival und andere Ziele der Fans sowie lizenzierte Veranstaltungsorte zu konzentrieren,
heißt es in einer Mitteilung der FIFA.
Die FIFA- Offiziellen sind offenbar vom Alkoholverbot in ihren Logen in den Stadien ausgenommen. Womöglich steht FIFA ja für Feiste Internationale Fussball Alkoholiker? Auch das ist nur eine Vermutung.
Es wäre ja Katar hoch anzurechnen, wenn es ihm gelingen würde, die unheilige Allianz von Fußball und Alkohol durch dieses Turnier zu zerschlagen. Wie viele Schlägereien um die Spiele könnten vermieden werden, wenn es dort ein striktes Alkoholverbot gäbe. Bei anderen Sportarten ist doch auch gute Stimmung, ohne dass es in der Arena nach Bier und Kotze riecht. Vielleicht kämen dann auch mehr Frauen und Kinder ins Stadion. In Katar dürfen die das immerhin schon seit 1998. Jedenfalls als Zuschauerinnen. Die Karriere selbst kickender Katarerinnen war so schnell beendet, wie sie begonnen hatte. Im Jahr der WM-Vergabe spielten die ihr erstes Länderspiel und 2014 schon das letzte.
Nun ist das ja hier eine Kolumne um Rechtsthemen. Und bei aller klammheimlicher Freude darüber, dass es in den Stadien mal ganz ohne Suff zugehen soll, ist doch das Alkoholverbot nicht nur ein Sakrileg gegen die Fußballreligion durch eine Konkurrenzreligion, sondern auch ein klarer Verstoß gegen die bestehenden Verträge. Ob das allerdings rechtliche Konsequenzen haben wird, wage ich zu bezweifeln. Wer mit Diktaturen – und nichts anderes ist so ein Emirat – Verträge schließt, muss sich immer darauf einstellen, dass die plötzlich nichts mehr von Verträgen wissen wollen. Das gilt auch für Gaslieferanten. Dass die FIFA nun das Turnier im letzten Moment – noch absagen könnte vergessen Sie es.
Aber vielleicht sagt sich der ein oder andere Fan in Katar nun: Hör mal zu Herr Emir, ich pack jetzt und dann gehn wir.
Jommer in en andere Kaschämm! Schämm!
Jommer in en andere Kaschämm!Die Karawane zieht weiter, der Sultan hätt Doosch!
Dä Sultan hätt Doosch! Dä Sultan hätt Doosch!
Die Karawane zieht weiter, der Sultan hätt Doosch!
Dä Sultan, dä Sultan dä hätt Doosch!