Kulturelle Aneignung und Unwohlsein
Eine Schweizer Reggae-Band musste ihr Konzert abbrechen, weil jemand im Publikum sich wegen kultureller Aneignung unwohl fühlte. Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz
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Hinweis: Diese Kolumne enthält musikalische Darbietungen, die bei eimpfindlichen Personen zu akutem Unwohlsein führen könnten.
Es gab schon mehrere Konzerte, in denen ich mich unwohl fühlte. Bei der Red Piano Show von Elton John in der Kölnarena taten mir die Ohren weh, weil es viel zu laut war. Ich bat allerdings nicht darum, das Konzert abzubrechen, weil mir unwohl war, sondern blieb und hatte zwei Tage einen unangenehmen Pfeifton im Ohr. Bei einem Konzert in der alten Radrennbahn wurde um mich herum dermaßen viel gekifft, dass ich selbst high wurde, ohne auch nur einen Zug aktiv zu nehmen. Da blieb ich auch. Und bei manchem Konzert von Amateurbands waren die Töne dermaßen daneben, dass mir auch davon unwohl wurde.
Zauberwort
Nun gibt es also einen neuen Grund, sich unwohl zu fühlen: Kulturelle Aneignung heißt das Zauberwort einer gefährlichen politischen Korrektheit, die jeden weißen Träger z.B. einer Rastafrisur verdächtig und zum Anlass von Unwohlsein werden lässt.
Das Konzept der kulturellen Aneignung ist in aller Munde. Laut der US-Juraprofessorin Susan Scafidi ist kulturelle Aneignung demnach eine
unerlaubte Wegnahme geistigen Eigentums, traditionellen Wissens oder kultureller Artefakte.
Nun habe ich nichts gegen den Schutz von Urheberrechten, bin sowohl bei der VG Wort als auch als Texter von Liedern unter einem Pseudonym bei der GEMA Mitglied und würde jeden abmahnen oder verklagen, der es wagt, meine Urheberschaft zu verletzten, aber nicht jede Nutzung oder Weiterentwicklung anderer Ideen ist eine unerlaubte Wegnahme geistigen Eigentums.
Wenn jemand, warum auch immer, eine Rastafrisur trägt, nimmt er weder dem Erfinder der Rastafrisur – wer ist das eigentlich? – eine Idee, noch einem Jamaikaner seine Haare weg. Was weiß ich, ob nicht die Jamaikaner diese Frisur von den Azteken oder von den Persern übernommen haben. Es ist auch egal.
Hair
Man mag sich empören, wenn jemand sich durch Verwendung irgendwie typischer Merkmale einer anderen Kultur über diese lustig macht oder diese bewusst diskriminiert, aber doch bitte nicht darüber, dass jemand seine Haare so trägt, wie ihm das gefällt. Streng genommen dürfte dann nur derjenige eine bestimmte Frisur tragen, dessen Friseur die erfunden hat. Und es ist auch schon eine merkwürdige Vorstellung, dass in den Vorstellungen der Unwohlen offenbar alle Jamaikaner Rastalocken tragen.
Nee Leute, wer anfängt, Künstlern ihre Auftritte zu untersagen, weil er sich aufgrund irgendwelcher persönlicher Vorstellungen über das was jemand anders darf oder nicht darf, unwohl fühlt, der ist auf einem gefährlichen Weg. Darf ein Chinese Bach spielen oder muss er sich auf traditionelle chinesische Musik beschränken, auch wenn er ein Klaviervirtuose ist? Darf irgendein Westeuropäer Soulmusik machen oder dürfen das nur die Nachfahren von Sklaven? Muss man beim Friseur erst einen Ariernachweis vorlegen, bevor man sich einen Kurzhaarschnitt verpassen lässt? Darf ein Maler nur die Farben verwenden, die aus den Rohstoffen in seinem Land hergestellt werden? Und wieso durfte ein in Tunesien geborener Sohn eines Kubaners vom Puppenspieler aus Mexiko singen und sich trotz schwarzer Hautfarbe Roberto Blanco nennen?
Oder durfte ein Billy Mo sich einen Tirolerhut kaufen und Blasmusik machen?
Fragen über Fragen, die an Lächerlichkeit kaum zu toppen sind.
Ja, man muss sich an Karneval nicht als „Negerhäuptling“ verkleiden und im Bastrock durch die Gegend hüpfen, aber auch das wäre nun für mich kein Grund, gleich eine Karnevalsveranstaltung zu canceln.
Kulturverbote
Wer immer anderen etwas verbieten möchte, sollte dafür sehr, sehr gute Gründe haben, denn Kernpunkt unserer Verfassung ist die Freiheit. Das betrifft die persönliche Freiheit zur Geschmacklosigkeit genauso wie die Freiheit der Kunst und die Meinungsfreiheit oder die Freiheit, ein Konzert zu verlassen, wenn einem unwohl ist. Anderen aber die eigene Sichtweise aufzwingen zu wollen, ist gefährlich. Gerade die Freiheit der Kunst unterliegt kaum Einschränkungen und das darf sie auch nicht, weil es sonst bald keine Kunst mehr gibt.
Wer über Rastalocken und deren Nebenwirkungen auf sein Wohlsein diskutieren möchte, der kann das tun. Es gibt garantiert eine Facebook- oder notfalls auch Telegram-Gruppe in der sich Gleichgesinnte zusammentun können.
Die mir vorher zugegebenermaßen völlig unbekannte Band Lauwarm wird sich wohl über die Publicity freuen.Ich musste meinen Berner Sennenhund Chico allerdings erst mal fragen, was die da singen.
Und vielleicht ist es auch gut, wenn man sich frühzeitig darüber unterhält, was man alles nicht einschränken sollte, bevor die Hüter der grenzenlosen Korrektheit dafür sorgen, dass am Ende das herauskommt, was sich die Anhänger des Enthnopluralismus so sehr wünschen, nämlich eine strikte Trennung der verschiedenen Ethnien und nicht etwa ein friedliches Zusammenkommen der Kulturen.