Die Notwendigkeit des Zweifels

Warum der Zweifel im Strafrecht erforderlich für die Gerechtigkeit ist. Eine Kolumne von RA Heinrich Schmitz


Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

In einem Interview mit der „Kölnischen Rundschau“ im Jahr 2012 habe ich folgenden Satz gesagt:

Für das Richteramt fehlte mir der dafür notwendige Glaube, dass man die Wahrheit erkennen könne.

Ein Satz, der mir, obwohl er nur als Erklärung dafür gegeben wurde, warum ich mich schon lange vor dem zweiten Staatsexamen für eine Verteidiger- und gegen eine Richterlaufbahn entschieden hatte, einige Kritik von Richtern einbrachte, der aber trotzdem richtig war.

Mein Ding ist der Zweifel, nicht die Gewissheit. Und ich verrate Ihnen auch warum.

Die Strafprozessordnung erweckt in § 244 Abs. 2 StPO zunächst tatsächlich den Eindruck, die Wahrheit ließe sich ermitteln:

Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.“

Das Gesetz definiert selbst aber nicht, was diese Wahrheit denn nun sein soll, deren Erforschung es dem armen Richter auferlegt. Selbst Richter sehen ein, dass in der Hauptverhandlung eines Strafverfahrens nicht die „reine“ Wahrheit, also irgendeine objektive Wahrheit, ermittelt werden kann. Deshalb müssen sie sich wohl oder übel mit deren kleiner, hässlichen Schwester, der sogenannten „prozessualen Wahrheit“ begnügen.

Wahrheitsfindung

Das macht insofern auch Sinn, als ein Strafverfahren keine philosophische Veranstaltung ist, sondern einem durch die Anklage klar definierten Ziel dient, herauszufinden, ob die Straftat, die dem Angeklagten vorgeworfen wird, tatsächlich stattgefunden hat. Das klingt ja schon mal einfacher als die Suche nach der reinen Wahrheit – ist es aber auch nicht wirklich.

Eine geradezu philosophische Bewertung der Problematik hatte bereits das Reichsgericht – wenn auch in einer Zivilsache – zum Besten gegeben, als es erkannte,

Vermöge der Beschränkung der Mittel menschlichen Erkennens kann niemand (selbst im Falle eigener unmittelbarer Anschauung eines Vorganges) zu einem absolut sicheren Wissen von der Existenz eines Tatbestandes gelangen. Abstrakte Möglichkeiten der Nichtexistenz sind immer denkbar. Wer die Schranken des menschlichen Erkennens erfasst hat, wird nie annehmen, dass er in dem Sinne zweifellos von der Existenz eines Vorganges überzeugt sein dürfe, dass ein Irrtum absolut ausgeschlossen wäre.« (RGZ 15, 338 (339))

Ein Satz, den man am besten vor jedem Prozesstag laut vorlesen sollte, um die entscheidenden Menschen an die Fehlbarkeit des Erkennens zu erinnern. Nur so, sicherheitshalber.

Schwarze Päpste

Es gibt nicht nur Ärzte, die als „Halbgötter in Weiß“ glauben, immer alles richtig zu machen, es gibt leider auch die schwarzen Päpste, die allen Ernstes meinen, unfehlbare Überzeugungen zu haben.

Da das Ziel des Strafverfahrens , die Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten, also nicht über eine objektive Erkenntnis führen kann, muss das Gericht sich mit Hilfe der zulässigen Beweismittel auf einen steinigen Weg machen, die Grundlagen für seine Entscheidung aus der Hauptverhandlung zu erarbeiten – oder sollte man doch besser sagen zu gewinnen ?

Die Beweismittel, also das, was die Staatsanwaltschaft so zusammengetragen hat, um die Anklage zu einer Verurteilung werden zu lassen, sind der Dreh- und Angelpunkt der Hauptverhandlung. Leider sind auch diese selbst mit diversen zwangsläufigen Fehlerquellen behaftet.

Da gibt es einmal die Fehlerquellen im Beweismittel selbst und dann die Fehlerquellen bei der richterlichen Bewertung dieser Beweismittel.

Mensch, Mensch

Die größte Fehlerquelle ist dabei natürlich wie immer der Mensch als Zeuge.

So ein Zeuge, also jemand der eine eigene Wahrnehmung „bekunden“ soll, um dem Gericht zu einer richtigen Entscheidung zu verhelfen, wird vor seiner Aussage erst einmal belehrt. In § 57 StPO steht drin, was Inhalt dieser Belehrung sein muss:

Vor der Vernehmung werden die Zeugen zur Wahrheit ermahnt und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage belehrt. Auf die Möglichkeit der Vereidigung werden sie hingewiesen. Im Fall der Vereidigung sind sie über die Bedeutung des Eides und darüber zu belehren, dass der Eid mit oder ohne religiöse Beteuerung geleistet werden kann. „

Naja, das mit der Wahrheit kennen wir ja nun schon, die kennt der Zeuge sowenig wie sonst jemand, er soll halt nur nicht lügen, nichts weglassen und nichts hinzufügen.

Name, Vorname und Alter dürfte in den meisten Fällen halbwegs unproblematisch sein, obwohl viele Zeugen da manchmal plötzlich ins Rechnen kommen oder insbesondere manche Damen verschämt fragen, ob sie die Frage nach dem Alter wirklich beantworten müssen. Diese Fragen dienen aber auch mehr der Identifikation des Zeugen, als der Rekonstruktion dessen, was denn so passiert sein soll. Die Frage nach einer verwandtschaftlichen Beziehung zum Angeklagten dient der Feststellung von eventuellen Zeugnisverweigerungsrechten des Zeugen, über die dieser ebenfalls zu belehren ist.

Und dann geht es los. Der Zeuge soll dem Gericht nach Möglichkeit zunächst einmal eine zusammenhängende Schilderung dessen geben, was er selbst wahrgenommen hat.

Das war doch so, oder?

Das scheitert oft aus den unterschiedlichsten Gründen. Es gab z.B. einmal einen schwerhörigen Amtsrichter aus der Eifel, der die Aussage der Zeugen dadurch in einen Zusammenhang brachte, dass er ihnen nach der Belehrung erzählte, was sie seiner Meinung nach so wahrgenommen hatten, und am Ende seines zusammenhängenden Vortrags lediglich sagte,

 das war doch so, oder ?

Meistens wurde das dann bestätigt. Die Zeugen freuten sich, so eine schöne, schlüssige , zusammenhängende Aussage getätigt und den Richter froh gemacht zu haben.

Es gibt auch Zeugen, die noch nie im Leben irgendetwas im Zusammenhang frei erzählt haben und sich in der Schule schon nicht trauten, aufzuzeigen oder mal ein Referat zu halten. Manche Zeugen schlottern geradezu vor Angst oder Aufregung und sind dankbar dafür, dass ihnen jemand die Worte in den Mund legt. Welche ist dann auch oft völlig egal, Hauptsache sie sind schnell wieder raus aus dem Gerichtssaal.

Bei Hauptverhandlungen ohne Verteidiger ist das hoch problematisch, weil natürlich durch eine derartig „angeleitete“ Aussage recht stromlinienförmig zum Urteil geführt wird. Ist ein Verteidiger eingebunden, dessen offizielles Fragerecht erst nach dem Richter und dem Staatsanwalt beginnt, können manche dieser „Aussagen“ immerhin wieder korrigiert werden.

Mancher Zeuge traut sich dann aber einfach auch nicht mehr einzugestehen, dass er vorher völligen Bullshit erzählt hat. Zeugen möchten, wie jeder andere auch, erst mal gut dastehen, und viele wollen auch die vermeintlichen Erwartungen des Gerichts bedienen. Das bedeutet gar nicht, dass sie bewusst lügen. Aber auch das Zweitgenannte gibt es reichlich.

Die meisten Menschen sind allerdings, was ihre eigenen Wahrnehmungen angeht, gar nicht in der Lage zu differenzieren, was sie wirklich selbst wahrgenommen haben und was lediglich Rückschlüsse oder Bewertungen sind.

Autofill

Das menschliche Gehirn hat die im Alltag ganz praktische Angewohnheit, wahrgenommene Sachverhalte logisch zu ergänzen. Der Stürmer fällt, also muss er wohl gefoult worden sein, und wenn es der Stürmer der eigenen Mannschaft ist, schreit man Foul, Elfmeter, auch wenn man das Foul mit seinen eigenen Augen gar nicht sehen konnte.

Sie glauben gar nicht, wie oft bei einer konkreten Nachfrage die Antwort kommt,

also, wenn Sie jetzt so ( ein Zeuge ergänzte „brutal“, dabei frage ich meistens ganz zuckersüß ) nachfragen, nein, gesehen habe ich das nicht, aber dass muss ja so gewesen sein.

Muss es natürlich nicht.

Hinzu kommt, dass eine Hauptverhandlung häufig erst sehr lange nach einem Vorfall stattfindet. Wissen sie noch genau, was sie vor einem oder zwei – oder wie ich es gerade in einem Zivilverfahren erlebe – vor 21 Jahren gesehen oder gehört haben ? Wenn Sie jetzt Ja sagen, möchte ich Sie zur Vorsicht anhalten. Auch hier spielt uns unser Gehirn manchen Streich, indem es Erinnerungslücken mit einer Autofill-Funktion selbsttätig schließt.

Jägerlatein ist natürlich

Erinnern ist eben kein Abrufen von Daten, die auf irgendeiner Hirnfestplatte gespeichert sind, es ist jedes Mal ein aktiver, kreativer Vorgang, bei dem das Gehirn aus verschiedenen Teilerinnerungen einen neuen Film zusammenstellt. Deshalb sind Jäger- und Anglerlatein – außer bei den bekannten Aufschneidern – selten bewusste Lügen, sondern subjektiv wahrheitsgemäße Aussagen über eine Jagdbeute, die halt in der Erinnerung immer weiter wächst.

Das Gehirn selektiert schon bei der Wahrnehmung und es selektiert bei dem was behaltenswert erscheint. Die imaginäre – und eigentlich gar nicht vorhandene – Festplatte im Gehirn wird sozusagen zuverlässig von temporären Dateien befreit. Es nützt auch nichts, wenn manche Richter die Zeugen dazu auffordern, ihre Erinnerung gehörig anzustrengen, es schadet sogar.

Der Zeuge, der gerade noch wahrheitsgemäß gesagt hat, „weiss ich nich'“, steht plötzlich unter einem massiven Erwartungsdruck. Sein Gehirn, das schließlich für ihn arbeitet und nicht für die Justiz, löst dieses Problem pragmatisch, indem es ihm flink irgend eine Erinnerung liefert, die ihm gerade angemessen erscheint.

Am Ende steht dann so oder so eine Zeugenaussage, deren Beweiswert der Richter zu beurteilen hat. Richtig spannend wird es natürlich, wenn mehrere Zeugen ihre Aussagen machen und jeder etwas anderes erzählt. Das ist weder selten noch verwunderlich, weil eben jeder Mensch seine sehr unterschiedliche Wahrnehmung und auch sehr unterschiedliche Erinnerungen hat.

Perspektive

Es kommt eben immer auf die Perspektive an. Zeugen, die den Angeklagten liebend gerne im Knast sehen wollen, nehmen geradezu zwangsläufig dessen negative Taten wahr, Zeugen, die dem Angeklagten nahestehen, haben manches Negative entweder gar nicht wahrgenommen oder in ihrer Erinnerung ausgeblendet. Oder beide Gruppen von Zeugen lügen, dass sich die Balken biegen. That’s life.

Und jetzt muss der Richter (oder mehrere Richter) sich eine Überzeugung bilden. Nur weil sich die Zeugenaussagen widersprechen, muss er die Flinte noch nicht ins Korn werfen.

Erst einmal macht er sich Gedanken über die Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen, wobei Zufallszeugen, die in keinerlei Beziehung zum Angeklagten oder zum eventuellen Opfer stehen, grundsätzlich als neutral und deshalb besonders glaubwürdig angesehen werden. Kann stimmen , muss aber nicht. Auch ein neutraler Zeuge kann Gründe haben, einem Angeklagten Böses zu wünschen, z.B. wenn der einer Bevölkerungsgruppe angehört, der er grundsätzlich feindselig gegenüber steht.

Auch Polizeibeamte genießen einen gewissen Glaubwürdigkeitsvorschuss. Die Frage, warum sollte der Polizeibeamte denn etwas Falsches sagen, beantworte ich gerne mit der Gegenfrage, warum denn nicht ? Selbst wenn es keinen konkreten Hinweis darauf gibt, bedeutet das ja nicht, dass es nicht so ist.

Und dass ein Polizist als Zeuge ja gar kein Interesse an der Verurteilung eines Angeklagten hat, kann man so auch nicht sagen. Ich hatte vor kurzem einen Polizeibeamten als Zeugen, der sich seit Jahren in den Kopf gesetzt hatte, der Angeklagte sei ein Brandstifter und der bei fast jedem Brand in einer bestimmten Ortschaft gegen diesen speziellen Angeklagten ermittelte, und zwar einzig gegen diesen Angeklagten.

Niemand

Auf meine Frage, wie er denn darauf komme, dass mein Mandant ein Brandstifter sei, kam die für einen Polizisten erstaunliche Antwort: „Das weiß doch jeder!“. Auf Nachfrage, wer denn jeder sei, ob er mir ein paar Namen dieses „Jedermanns“ nennen könne, musste er dann einräumen, jeder sei er. Dass dieser Zeuge, der ausweislich der Aussagen von Kollegen seine Meinung auch über den Flurfunk gestreut hatte, kaum als besonders glaubwürdig anzusehen war, liegt auf der Hand. Bei der ersten Vernehmung des Angeklagten hatte dieser Zeuge dem Angeklagten schon gesagt – und glücklicherweise protokolliert – „Ihnen glaubt hier niemand“.

Meine Frage, wer dieser Niemand denn sei, beantwortete er in erfrischender Einfalt, “ Ich bin Niemand“, was ich ihm gerne bestätigt habe, woraufhin er beleidigt reagierte. . Solche Zeugen kennt jeder Verteidiger, nicht immer kommt man ihnen aber so leicht auf die Schliche.

Ureigenste Aufgabe

Der Richter „sortiert“ sich also die Zeugen nach Glaubwürdigkeit und guckt dann mal , was so übrigbleibt. Die Kriterien sind kaum überprüfbar, die Begründungen für und wider die Glaubwürdigkeit austauschbar. Da die Beurteilung von Beweismitteln laut Rechtsprechung die „ureigenste Aufgabe“ des Richters ist, gesteht sich auch selten mal ein Richter ein, dass es vielleicht hilfreich sein könnte, ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen.

Schade eigentlich, obwohl auch diese Gutachten natürlich keine Gewissheit bringen, aber manchmal wenigstens ein paar bedenkenswerte Argumente.

Dass das Ganze noch spekulativer wird, wenn die Zeugen gar keine unmittelbaren Tatzeugen, sondern nur Puzzleteile in einem Indizienprozess sind, versteht sich von selbst. Da gibt es dann oft Indizienketten, die an keinem Hals hängen blieben, wenn sie Perlenketten wären.

Im Zweifel

Ja, werden Sie als aufmerksamer Prozessbeobachter anmerken, es gibt aber doch den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Ja , gibt es. Dummerweise setzt der aber voraus, dass der Richter überhaupt Zweifel hat. Und dann reichen nicht nur „theoretische“ Zweifel, sondern es müssen „vernünftige“ Zweifel sein. Oft genug wird dann ein Zweifel auf den Vornamen „Theoretisch“ getauft; was ist schon vernünftig und was nicht ? Und wenn ein Richter unbedingt gerne verurteilen möchte, hat er noch ein ganz tolles Argument gegen aufkommende Zweifel – die „allgemeine Lebenserfahrung“.

Wessen Lebenserfahrung das genau sein soll, erfährt man zwar selten, aber so oft wie man diesen Begriff hört und liest, muss es sie wohl geben. Der Klassiker „Alle Türken lügen vor Gericht“ wurde allerdings vom OLG Karlsruhe bereits 1979 als Erfahrungssatz ebenso kassiert, wie vom OLG Köln 1975 die allgemeine Lebenserfahrung, wonach Polizisten niemandem in Gegenwart von anderen an den Haaren ziehen. Solche an den Haaren herbeigezogenen „allgemeinen Lebenserfahrungen“ wollten Richter tatsächlich erkannt haben.

An die „freie“ Beweiswürdigung eines Gerichtes kommt man in der Revision nur dann heran, wenn sie logische Fehler, also Verstöße gegen Denkgesetze oder Zirkelschlüsse oder ähnliche Schnitzer – wie bei den „allgemeinen Lebenserfahrungen“ – enthält. Das kommt dann doch eher selten vor, aber es kommt vor.

Eine Spur ist eine Spur ist eine Spur

Andere Beweismittel, die den Eindruck von naturwissenschaftlicher Präzision erwecken, sind leider auch nicht immer viel besser. Klar ist es ein Indiz, wenn an der Tatwaffe eine DNA-Spur des Angeklagten gefunden wird, es ist aber kein Beweis für die Täterschaft. Eine Spur beweist immer nur eine Spur, zunächst einmal nicht mehr.

Wird am Tatort ein Haar des Angeklagten gefunden, dann bedeutet das nicht, dass der Angeklagte am Tatort war, sondern nur, dass ein Haar von ihm an den Tatort gelangt ist. Das kann auch schon wochenlang da rum liegen oder vom Opfer dorthin getragen worden sein, unter dem Schuh zum Beispiel, oder der wirkliche Täter hat es bewusst dort platziert, um eine falsche Spur zu legen. Dass keine Spur einer anderen Person am Tatort gefunden wurde, bedeutet eben nicht, dass keine andere Person am Tatort war, sondern nur, dass keine andere Spur gefunden wurde; sei es weil keine Spur da war, sei es weil die Spurensicherung sie nicht gefunden hat, sei es, dass gar nicht gründlich gesucht wurde.

Ein Fingerabdruck an einem Messer sagt nichts darüber aus, wann er auf das Messer gekommen ist oder wo. Vielleicht hat der Verdächtige sich damit auch nur ein Stück Salami abgeschnitten, bevor der Täter das Messer dann mit Handschuhen zum Mord benutzt hat.

Spurenlesen konnte Winnetou, aber den gab es ja nicht wirklich. Manche Spur führt zur Verurteilung nur, weil dem Gericht die Phantasie für eine alternative Erklärung fehlt oder weil die alternative Erklärung der Verteidigung als „lebensfremd“ – das ist der Blutsbruder der „allgemeinen Lebenserfahrung“ – verworfen wird.

Der Richter muss sich eine Überzeugung bilden, so oder so. Ich muss das nicht, ich muss nur zweifeln für den Angeklagten, nach denkbaren Alternativen suchen, kreativ, nicht unbedingt im Dienste der „Wahrheit“, aber im Dienste der Gerechtigkeit. Und das kann ich deutlich besser, als mir einzubilden, ich wüsste, was die Wahrheit ist.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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